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Meinung

Pro und Kontra
Sind Schönheits-OPs unfeministisch?

Young woman receiving a botox injection
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BotTalk

Ja

Leonie Georg

Der moderne Feminismus verhandelt manches neu, was früher klar gesetzt war, und das ist in vielen Fällen gut so. Die aktuelle feministische Debatte um Schönheits-OPs aber hat ein wenig aus den Augen verloren, dass all die aufgespritzten Lippen, eliminierten Falten, Fettabsaugungen und Bruststraffungen da draussen einem Schönheitspostulat huldigen, das Männer formuliert haben (und dem sie sich selbst, aus guten Gründen, lieber nicht unterwerfen). Dazu ein paar Zahlen: Laut der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (Isaps) wurden im Jahr 2022 rund 15 Millionen chirurgische und rund 19 Millionen nicht-chirurgische Schönheitseingriffe durchgeführt. Der Anteil der Männer liegt immer noch bei weniger als 15 Prozent.

Es handelt sich um ein Ideal, das für die allermeisten Frauen auf natürlichem Wege kaum erreichbar ist und in einer patriarchalen Gesellschaft dennoch massgeblich darüber entscheidet, ob eine Frau als attraktiv wahrgenommen wird oder nicht. Der Feminismus hatte dazu mal eine klare Haltung: Wenn man nicht länger nach dem rein Äusserlichen beurteilt werden wollte, musste man dieses groteske Ideal ignorieren, man durfte ihm schon gar nicht nacheifern (was nicht hiess, dass einem das eigene Aussehen egal war). Der weibliche Körper, so der Konsens unter Feministinnen, durfte in allen Lebensphasen der sein, der er ehrlicherweise nun mal war. Diesen Konsens gibt es so nicht mehr.

Verständlich, dass einige dem Perfektionsdruck, dem sie tagtäglich auf Social Media ausgesetzt sind, eines Tages nachgeben. Verständlich auch, dass man das, wofür man sich draussen in der Welt starkmacht, nicht in allen Facetten des eigenen Lebens durchzieht. Der Gang zum Schönheitschirurgen ist nicht verwerflich. Unfeministisch ist er dennoch.

«Influencerinnen halten gerade reihenweise ihre begradigten Nasen und aufgespritzten Lippen in die Kamera und verkaufen dies als befreienden Akt unter dem Slogan ‹Choice Feminismus›.»

Dass eine Frau sich Fett absaugen lassen muss, um sich gut zu fühlen und anerkannt zu werden, widerspricht dem Gedanken der Gleichberechtigung. Männer werden weiterhin nach anderen Kriterien beurteilt, und deshalb (siehe oben) lassen auch so wenige von ihnen «etwas machen». Eine Diskussion, die diesen Missstand nicht thematisiert, untergräbt den Grundgedanken des Feminismus. Feministisch wäre es nämlich, andere Vorstellungen von Schönheit zuzulassen oder noch besser, zu normalisieren. Vielleicht sogar mal nicht männliche, westliche oder weisse. Ah, aber das hatten wir doch schon. Wie war das noch mal mit der Body Positivity? Und wo ist die eigentlich hin? Huch.

Bizarrerweise gibt es innerhalb des Feminismus heute einige, die Schönheits-OPs nicht nur nicht unfeministisch finden, sondern sogar ausgesprochen feministisch. Motto: «Wir alle sind mit diesem Ideal konfrontiert, und es ist unser Recht und unsere Freiheit als Frauen, da mitzumachen.» Influencerinnen halten gerade reihenweise ihre begradigten Nasen und aufgespritzten Lippen in die Kamera und verkaufen dies als befreienden Akt unter dem Slogan «Choice Feminismus». Das ebenfalls operierte Model Emily Ratajkowski schreibt in ihrem Buch «My Body»: Da Frauen ohnehin Sexobjekte seien, habe sie diese Rolle zu ihren eigenen Bedingungen übernommen. «Ich fand, dass in meiner Entscheidung eine Stärke lag.»

PARIS, FRANCE - SEPTEMBER 29: Emily Ratajkowski attends the Coperni Ready to Wear Spring/Summer 2024 fashion show as part of the Paris Fashion Week on September 29, 2023 in Paris, France. (Photo by Victor LOCHON/Gamma-Rapho via Getty Images)

Und Sophie Passmann, immer dort zur Stelle, wo der Feminismus gerade neu verhandelt wird? «Frauen haben nicht die Wahl, ob sie auf ihr Äusseres reduziert werden, sie haben lediglich die Möglichkeit, einen Umgang damit zu finden, der für sie möglichst ressourcenschonend ist.» So lautet ihre Antwort, wenn Leute wissen wollen, warum ausgerechnet sie klein beigegeben und den Termin beim kosmetischen Chirurgen gebucht hat. Es ist ein Beispiel für Pop-Feminismus, der es sich nur noch bequem macht, indem er eine konforme Handlung einfach umetikettiert und für alternativlos erklärt.

Natürlich darf man Feministin sein oder sich so nennen und sich trotzdem unters Messer legen. Man sollte nur bitte nicht so tun, als sei das kein Widerspruch. Warum auch? Frau sein – oder ganz allgemein Mensch – heisst immer auch, in einem Widerspruch zu leben. Feministisch wäre es vielmehr, sich folgende Fragen zu stellen: Warum trete ich für eine gleiche Behandlung der Geschlechter und für Body Positivity ein und habe mit meinen Augenfalten trotzdem nicht leben können? Woher stammt dieser verdammte Perfektionsdruck? Bin ich hier nur Opfer oder auch schon Mittäterin, und was müsste geschehen, damit sich endlich etwas ändert?

Das wäre doch einmal eine Debatte, die es wert wäre, geführt zu werden.

Nein

Barbara Vorsamer

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste, beste Feministin im Land? Ein kluger Spiegel würde direkt zwei Gegenfragen stellen: Was ist Schönheit? Und: Was hat der Feminismus damit zu tun? Zwei Fragen, die ungleich komplizierter, aber auch so viel interessanter sind, als die kürzlich von so vielen Medien gestellte Frage, ob eine gute Feministin wohl ihr Aussehen optimieren darf, womöglich gar mit Spritzen und Operationen.

Wer so tut, als könne man diese Frage klar mit Nein beantworten, suggeriert, es gäbe zwei klare Linien in der Debatte, die sich an dieser Stelle kreuzen. Als gäbe es eine Linie, die gute von schlechten Feministinnen trennt, und als gäbe es eine Linie, die akzeptable Schönheitskorrekturen von inakzeptablen trennt. Beide Linien gibt es nicht. Jede, die sich morgens einen BH anzieht und die Haare kämmt, optimiert ihr Aussehen, und die meisten Frauen tun wesentlich mehr als das. Mit welcher Begründung kann man die tägliche Verwendung von Eye Patches, Augencremes, Primer und Concealer in Ordnung finden – aber die Frau, die sich diesen Aufwand spart und sich die Augenringe deshalb alle paar Monate wegspritzen lässt, abwerten?

Manche sagen hier, das eine seien harmlose Malereien, das andere sei eine riskante Operation. Doch so klar ist die Grenze nicht, denn wo beginnt das Risiko? Wenn man sich beim Rasieren in die Wade schneidet, es nach dem Waxing zu Entzündungen kommt, wenn man sich bei der ILP-Haarentfernung Verbrennungen zuzieht oder erst bei einer Laserbehandlung im Studio? Auch von Cremes haben Menschen schon Ekzeme bekommen. In einer Welt, in der der Schönheitsdruck auf Frauen immens ist und in der attraktive, gepflegte Menschen erwiesenermassen erfolgreicher sind als andere, muss sich jede positionieren. Welche Position sie einnimmt, hat allerdings wenig damit zu tun, ob sie eine gute oder eine schlechte Feministin ist.

«Es gibt kein feministisches Leben im Patriarchat.»

Dass heutzutage alles, was – insbesondere prominente – Frauen tun, sofort einem Feminismus-Check unterzogen wird, ist die unangenehme Kehrseite der eigentlich erfreulichen Entwicklung, dass die soziale Bewegung beliebt und auf kuriose Weise chic geworden ist. Noch in den Neunzigern wollten die wenigsten Frauen mit diesem F-Wort in Verbindung gebracht werden, und «Emanze» war sowieso eine Beleidigung. Heute wollen sehr viele Frauen gute Feministinnen sein – und lassen sich ablenken von der Frage, wie feministisch korrekt individuelle Entscheidungen sind.

Kann man für mehr Frauen in Führungspositionen sein und selbst nur Teilzeit arbeiten? Kann man für sexuelle Freiheit sein und selbst in einer monogamen Beziehung mit einem Mann leben? Kann man Fettfeindlichkeit ablehnen und sich selbst das Dessert verkneifen? Kann man alles und darf man alles, auch als Feministin. Das macht Teilzeit arbeiten, heiraten und Diät halten keinesfalls zu feministischen Akten, aber eben auch nicht direkt zu unfeministischen. Es sind erst mal nur Lebensentscheidungen von Frauen, die irgendwie klarkommen müssen.

Es sind die übergeordneten Fragen, die für die Debatte interessant sind: Warum arbeiten so viele Frauen Teilzeit, ist das wirklich schlecht, und wer oder was müsste sich ändern, damit mehr Frauen Führungspositionen übernehmen? Wie könnte eine wahrhaft freie weibliche Sexualität aussehen? Wie kann man sich gegen den Schlankheitsdruck wehren, und wie findet man zu einer guten Beziehung zum eigenen Körper? Tatsächlich beschäftigen sich viele sehr kluge feministische Denkerinnen schon seit Jahrzehnten mit diesen und anderen Fragen. Man kann dazu hervorragende Bücher lesen, Klassiker sind «Fat is a feminist issue» von Susie Orbach oder «Bad feminist» von Roxane Gay, eine aktuelle Empfehlung wäre «Hässlichkeit» von Moshtari Hilal. Dass deren Gedanken viel weniger Aufmerksamkeit bekommen als die Frage, ob sich eine junge deutsche Moderatorin ins Gesicht spritzen lassen darf, ist nicht die Schuld des Feminismus, nicht einmal die Schuld der Moderatorin.

Es ist das Patriarchat, das sehr viel lieber Frauen beim Streiten anfeuert, als ihnen ernsthaft zuzuhören. Leider hat nun auch dieser Text einen Teil dazu beigetragen. Frei nach Adornos geflügeltem Wort, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe, muss man zugeben: Es gibt kein feministisches Leben im Patriarchat.