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«Club of Rome»-Chefin in Glasgow
Schluss mit der verdammten Selbstgefälligkeit

«Wie China die Besteuerung der Reichen vollzieht, ist beachtlich»:  Sandrine Dixson-Declève, die neue Chefin des Club of Rome.
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Die Party beim Klimagipfel «Countdown» läuft schon, als die neue Direktorin des Club of Rome mit ihrer kleinen Entourage im Sheraton Hotel in Edinburgh eintrifft. So wie Sandrine Dixson-Declève da über die Teppichböden der Beletage gleitet, vorbei an Büffets mit veganen Burgern, Buns und Tacos, erinnert ihre Körpersprache ein wenig an einen Boxchampion, wäre da nicht das Kleid mit dem Blumenmuster, die Hornbrille, der Dutt. Ihren Kopf hat sie immer leicht nach vorne gereckt, die Schultern ein wenig nach hinten. Eher Angriff als Verteidigung.

Wenn sie mit einem redet, schaut sie, als suche sie nach Lücken. Sucht sie auch. Nach Lücken in der Argumentation. Wahrscheinlich, weil sie nicht nur eine unbequeme, sondern eine in Teilen auch schmerzhafte Wahrheit als Botschaft hat. Es ist eine Botschaft, die der Club of Rome schon lange predigt.

Es geht letztlich um alles

2022 jährt sich die Veröffentlichung des legendären Grundlagentextes «Die Grenzen des Wachstums» zum 50. Mal. Auf der Konferenz des amerikanischen Smithsonian Instituts im März 1972 hat der Club ihn erstmals präsentiert. Mit den Mitteln der Mathematik und der Systemtheorie kam das Buch zu dem Schluss: «Wenn die derzeitige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen unvermindert anhält, werden die absoluten Grenzen des Wachstums auf der Erde in den nächsten hundert Jahren erreicht.»

Um Nachhaltigkeit, das Modewort der Stunde, ging es schon damals, vor 50 Jahren. Wenn sich die Menschheit selbst retten will, so die Erkenntnis des Berichts, muss ein Systemwandel her. Eine historisch noch nie dagewesene, globale und tiefgreifende Revolution aller Bereiche der Gesellschaft und der Zivilisation. Es wäre eine Welt ohne den Zwang des Wachstums, ohne den Druck der Börsenmärkte und der Investoren. Fossile Brennstoffe wären ein Irrtum der Vergangenheit und Raubbau nicht nur eine Sünde, sondern ein Verbrechen. Das klingt nach Utopie. Aber es wäre die Rettung.

Dixson-Declève will aber nicht nur wissenschaftliche Fakten präsentieren. Der Club of Rome soll nicht mehr nur der ewige Mahner sein.

Die Hälfte der Zeit ist jetzt rum. Das macht die UNO-Klimakonferenz COP26, die jetzt in Glasgow stattfindet, so dramatisch. Es geht dort ja nicht nur ums Klima, sondern auch um Energie, Ernährung, Entwicklung. Letztlich um alles. Die Liste der Frontlinien, die man in den Programmen von COP26 findet, ist endlos.
Vieles von dem, was Sandrine Dixson-Declève in diesen Tagen in Edinburgh und Glasgow sagt, ist seit fünfzig Jahren bekannt. Wenn man sie fragt, warum sich trotzdem seit Jahrzehnten so wenig getan hat, sagt sie: «Weil der Bericht zu einer Zeit veröffentlicht wurde, als wir weltweit und insbesondere im Westen das grösste Wirtschaftswachstum hatten. Welcher Politiker will schon sagen, dass sich alle einschränken sollen, wenn es allen gerade immer besser geht? Nein, nein. Politische Zyklen funktionieren kurzfristig.»

Sie steht jetzt an einem der Stehtische, schaut sich um: «Meine ganze Vergangenheit ist hier.» Al Gore zum Beispiel, da drüben. Der Oscar-preisgekrönte Ex-US-Vizepräsident und Klimaretter, mit seinem kantigen Filmstargesicht, trägt immer noch diese amerikanischen Anzüge, die wie ein Wandschrank geschnitten sind. Sandrine Dixson-Declève lächelt Al Gore zu, wechselt ein paar Worte mit ihm.

Die Party ist der Eröffnungsabend der Countdown-Konferenz in Edinburgh, eine Art Vorglühen für den Weltklimagipfel in Glasgow. Es geht hier allerdings eher um Lösungsmodelle und Zukunftsglauben als um Politik mit ihren Konsensfindungen, Verhandlungen, Kompromissen, die seit so vielen Jahren die Nerven aller Beteiligten aufreiben. Es ist jetzt 26 Jahre her, dass die erste COP in Berlin stattfand.

Klima ist von allen Themen, die der Club of Rome untersucht, das mit der grössten Dringlichkeit – natürlich auch für Sandrine Dixson-Declève. Sie wurde in Belgien geboren, ist in Kalifornien aufgewachsen und dann wieder nach Brüssel zurückgegangen. Ihre Berufung zur Präsidentin haben die rund hundert Mitglieder des Club of Rome vor drei Jahren beschlossen, als darüber nachgedacht wurde, wie man das 50. Jubiläum von «Die Grenzen des Wachstums» strategisch nutzen kann. Damals herrschte Einigkeit, dass der Club nicht wie bisher weitermachen kann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind über den ganzen Globus verteilt, sie schreiben Berichte und Analysen über den Zustand dieses Planeten, der nach den Kriterien der Meteorologie, Geologie, Biologie, aber auch der Soziologie und Ökonomie zunehmend dramatischer wird. Sandrine Dixson-Declève will aber nicht nur wissenschaftliche Fakten präsentieren. Der Club of Rome soll endlich nicht mehr nur der ewige Mahner sein.

Zwei Frauen krempen den Club um

Es war ein Zeichen, zwei Frauen an die Spitze eines Vereins zu setzen, der wie so viele naturwissenschaftliche Organisationen vor allem ein Herrenklub war. Und: Er war und ist ein überwiegend amerikanisch-europäischer Klub. Deswegen wurde vor drei Jahren nicht nur Dixson-Declève, sondern auch die südafrikanische Medizinerin Mamphela Ramphele in die Doppelspitze gewählt. Sie ist eine Freiheitsheldin in ihrer Heimat, die sich als Studentin dem Black Consciousness Movement anschloss, mit Steve Biko hatte sie zwei Kinder. Sie war mehrmals in der Verbannung, war später mal eine der Direktorinnen der Weltbank und lebt heute als Unternehmerin in Kapstadt.

Diese beiden Frauen verändern gerade die Rolle des Club of Rome. Sie haben Erfahrungen in der Politik und in der Wirtschaft, treffen sich mit Wirtschafsgrössen, mit Politikern, mit Leuten also, die etwas zu sagen haben. Sie versuchen, Entscheidungsträger zu überzeugen, dass sie ihre Geschäftsmodelle, ihre Politik ändern müssen. Und zwar radikal.

Dass die Doppelspitze die nördliche und die südliche Halbkugel vertritt, ist für Sandrine Dixson-Declève nicht nur eine symbolische Geste. Aber auch das geht ihr nicht weit genug. «Eine der Veränderungen seit 1972 ist, dass es in Afrika oder in Asien inzwischen Entwicklungen gibt, bei denen sich Länder zu Wirtschaftsnationen gemausert haben, die ganz anders funktionieren als Europa und Amerika.»

Sandrine Dixson-Declève sitzt in der Lobby des Konferenzzentrums von Edinburgh, der Drehscheibe der Konferenz. Lernen von China? Die Volksrepublik ist auf Klimakonferenzen eher der Problemfall, die Nation mit den meisten Einwohnern und den höchsten Emissionen wird vorsichtig umworben, aber nach Glasgow wird Xi Jinping nicht kommen. Nur: Ohne China geht nichts.

«Sicher dürfen wir die Menschenrechtsfragen nicht ignorieren», sagt Sandrine Dixson-Declève. «Aber wie sie zum Beispiel die Besteuerung der Reichen vollziehen, ist beachtlich.» Beachtlich? Sie sagt dann noch, dass man sowieso nicht um drastischere Massnahmen herumkomme. So etwas wie ein globaler Klimanotstand? Und stellt sich bei solchen Überlegungen nicht die Frage, ob das mit demokratischen Mitteln machbar ist? «Demokratien brauchen Zeit», sagt sie. «Man muss aufpassen, dass man die Leute mitnimmt.» Und das mit den drastischen Massnahmen spielt die Welt ja gerade schon durch. Die Seuche hat die Menschheit zu Massnahmen gezwungen, die das Leben, den Alltag, die Wirtschaft und den Verkehr über Wochen und Monate erschwert oder ganz lahmgelegt haben. Reiseverbote, Lockdowns, Maskenpflicht. Ein Widerspruch zur Demokratie ist das für sie nicht: «Ist das Tragen einer Maske wirklich eine so grosse Einschränkung der Freiheit? Ich finde nein, weil es viele andere schützt.»

Wenn sie von drastischen Massnahmen spricht und von den Grenzen der Demokratie, werden die Leute in Europa und Amerika oft still. Da hilft es, dass sie nach fünfzig Jahren noch die «Grenzen des Wachstums» auf den Tisch legen kann. Auch wenn sie erst sechs war, als das Buch erschien. Wie steht es 2021 um die Voraussagen, die die Wissenschaftler um die Umweltforscherin Donella Meadows und ihren Mann, den Ökonom Dennis Meadows, damals errechneten? «Was den Klimawandel betrifft, haben sie recht behalten», sagt Sandrine Dixson-Declève. Was Donella Meadows damals auch vorhergesagt hat: Dass es nie nur eine Krise gibt. Ihre Berechnungen sagten voraus, dass das Bevölkerungswachstum Pandemien verschärfen würde. Damals lebten 3,8 Milliarden Menschen auf der Erde, heute sind es fast acht. Sandrine Dixson-Declève jedenfalls bleibt im Angriffsmodus. Zwangsläufig. Sie ist auf einem Feldzug gegen die Selbstgefälligkeit, da gibt es keine Pausen.