Quarantäne für RückkehrerSchlittert Spanien in zweite Corona-Welle?
Auf der Iberischen Halbinsel wird befürchtet, dass die Touristen wegen steigender Fallzahlen wieder ausbleiben und das Land zu Unrecht mit Reisebeschränkungen bestraft wird. Doch viele Probleme sind hausgemacht.
Am Samstagmorgen flog der britische Verkehrsminister Grant Shapps mit der Familie in die Spanien-Ferien, doch die Entspannung währte kurz. Denn Stunden später wurde er zu einer Videokonferenz des Johnson-Kabinetts gerufen, in der beschlossen wurde, dass britische Spanien-Rückkehrer wegen der stark angestiegenen Fallzahlen in seinem Ferienland in Quarantäne müssen.
Auch den Tory-Abgeordneten Paul Scully traf es. Die Nachricht aus London überraschte ihn auf Lanzarote. Er postete ein Foto von einem Krug Bier vor Meereskulisse auf Instagram und merkte an, er könne nach seiner Rückkehr ja gut und gerne von Quarantäne aus arbeiten. Die meisten britischen Spanien-Touristen jedoch waren entsetzt.
«Todesstoss für Feriensaison»
Noch entsetzter waren die Spanier. Die britischen Quarantäne-Massnahmen seien ein entsetzlicher Schlag für den Tourismus, schrieb die Madrider Zeitung «El País». Und «La Vanguardia» aus Barcelona konstatierte den «Todesstoss für die Feriensaison». Der Verband der spanischen Flughafenbetreiber klagte, die gerade begonnene Erholung sei dahin. In sozialen Netzwerken wurde geraunt, Spanien werde an den Pranger gestellt, während andere Länder ihre Fallzahlen unter den Teppich kehrten.
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Spaniens Aussenministerin Arancha González Laya stellte fast trotzig fest, Spanien sei weiter ein «sicheres Land». Sie will nun mit Briten, Iren, Norwegern und anderen Europäern, die Quarantäne für Spanien-Rückkehrer vorschreiben, verhandeln, ob nicht wenigstens für Tourismusgegenden mit wenig Infektionen ein Flugkorridor eingerichtet werden kann. Für die Balearen und Kanaren haben die Briten inzwischen eine Ausnahmeregelung erreicht.
Es ist im Moment sicherer, sich auf den Kanaren aufzuhalten, als in Grossbritannien.
Fast 900 Neuansteckungen innerhalb von 24 Stunden meldete die staatliche Gesundheitsbehörde Ende vergangener Woche für ganz Spanien. Das sind mehr als damals im März, bevor der fast totale Lockdown verkündet wurde. Anfang Juli hatte das Ministerium eine Ansteckungsrate von 5,3 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gemeldet. Am Freitag waren es 23,37. Spanien belegt damit laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten den fünften Platz hinter Luxemburg, Rumänien, Bulgarien und Schweden. In Spanien spricht man von einer möglichen zweiten Welle.
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Allerdings sind die Fälle in Spanien regional krass unterschiedlich verteilt. Am stärksten betroffen sind Katalonien und Aragón. Frankreich rät deswegen von Reisen in diese Regionen jenseits der Grenze dringend ab, ein Schlag für die Costa Brava. Die Kanaren hingegen haben in 14 Tagen nur 5,8 Erkrankungen pro 100’000 Einwohner gezählt, weshalb sie sich ungerecht behandelt fühlen. Jorge Marichal, Chef des Hotelierverbands in Santa Cruz de Tenerife, sagt: «Es ist im Moment sicherer, sich auf den Kanaren aufzuhalten, als in Grossbritannien.»
Corona-Tracking funktioniert schlecht
An der vergleichsweise guten Lage der Ferieninseln haben auch vereinzelte Exzesse wie am Ballermann auf Mallorca vorläufig nichts geändert. Auf den Balearen verweist man auf die Maskenpflicht fast überall im Freien sowie das Abstandsgebot, das nun streng durchgesetzt werde.
Als weiterer Seuchenherd ist das Nachtleben in den Grossstädten ausgemacht, weshalb die katalanische Landesregierung Bars, Clubs und Discos bis auf weiteres geschlossen hat. In Barcelona sind die Einwohner sogar dazu aufgefordert, Häuser nur zu dringenden Erledigungen zu verlassen. Da ist es nur ein kleiner Schritt zurück zum totalen Lockdown, der im März und April galt. Der Regierung in Barcelona wird nun vor allem von konservativen Medien in Madrid planloses Vorgehen vorgehalten. Viel zu schnell sei das Nachtleben wieder geöffnet worden. Das Tracking der Ansteckungswege funktioniert in der Tat kaum.
Tatsache ist auch, dass das lange Eingesperrtsein bei vielen Spaniern ein solches Bedürfnis nach Nähe hat wach werden lassen, dass die sich nach der Öffnung sofort in die Arme sanken. Seitdem gelten Familienfeiern als Seuchenherde. Der italienische Virologe Roberto Burioni hat den traditionellen mediterranen Lebensstil als Gefahrenherd ausgemacht, weshalb man in Ländern wie Italien und Spanien besonders wachsam sein müsse.
Eine wenig hilfreiche Rolle bei der Seuchenbekämpfung haben in Spanien jedoch auch politische Streitereien gespielt. So preschte Kataloniens Ministerpräsident Quim Torra im März bei Lockdowns vor, die spanische Zentralregierung unter Pedro Sánchez zog nach. Sánchez befürchtete, der Separatist Torra werde eine Art gesundheitspolitische Sezession anstreben und machte lieber gleich das ganze Land dicht – auch eine Form, die Einheit Spaniens zu betonen.
46’000 statt 30’000 Tote
Von Anfang an lieferten Zentralregierung und Regionen unterschiedliche Daten, und das zeitversetzt, was beträchtliches Chaos in der Corona-Zählung verursachte. Die Zeitung «El País» zählte kürzlich die von den Regionen gemeldeten Corona-Toten zusammen – und kam auf 46’000, gut 16’000 mehr als das Gesundheitsministerium in Madrid.
Die unterschiedlichen Zählweisen verschiedener Ministerien und Forschungsinstitute waren von Anfang an ein Problem, immer wieder wurden unplausible Daten gemeldet. Gerade die katalanische Regierung betrieb aus Protest gegen die zentralisierte Seuchenbekämpfung während des Alarmzustandes phasenweise geradezu Obstruktion. All das hat in vielen Teilen Europas das Vertrauen in die spanische Politik nicht gerade gestärkt.
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