Der harte Weg des SCB-StürmersTrainer um Trainer stempelte ihn ab – dabei war er noch ein Kind
Austin Czarnik wurde sehr jung mit Schicksalsschlägen in der Familie und Ablehnung konfrontiert. Diese Erfahrungen haben den US-Amerikaner stark gemacht für die Sportkarriere.
An diesen Tag vor 17 Jahren erinnert sich Austin Czarnik, als wäre er gestern gewesen.
Wie er im Schulhausgang zwischen vierter und fünfter Lektion verpasste Anrufe von Tante und Bruder auf dem Handy sieht, obwohl beide wissen, dass er in der Schule nicht telefonieren darf.
Wie er zum Lehrer eilt und um eine Ausnahme bittet, da ihm Böses schwant.
Wie er als Erstes die Tante erreicht und sie ihm ohne Umschweife vom Autounfall seines Vaters und Onkels erzählt.
Wie er später im Spital steht und hört, dass es seinen Vater schlimm erwischt hat: Nackenbruch, ein halbes Dutzend gebrochene Rippen und weitere gravierende Verletzungen im Rückenbereich, die ebenfalls nichts Gutes verheissen. Und er, 14-jährig, mit der Frage konfrontiert wird, ob er ein geliebtes Familienmitglied verlieren wird.
Schon wieder.
Der Schwarzschimmel an der Schule
Beim ersten Mal war er noch zu jung, um das Ausmass zu begreifen. Sein drei Jahre jüngerer Bruder wuchs mit einer raren Blutkrankheit auf, die Ärzte hatten ihm nach der Geburt eine Überlebenschance von zehn Prozent gegeben.
Beim zweiten Mal, da war er schon sieben, erkrankte seine Mutter schwer – wegen eines Schwarzschimmel-Befalls an seiner Schule, wo sie den Lehrpersonen im Unterricht aushalf. Sie bangte um ihr Leben, Czarnik erzählt von bis zu 70 Krampfanfällen pro Tag. Auch er erkrankte. Wie sein Bruder, beide Cousins und mehrere Mitschüler wurde er Asthmatiker. Noch heute leidet er, vor jedem Training und Spiel gehört der Griff zum Inhalator dazu.
«Und doch sind wir alle noch hier», sagt Czarnik. Der Pfarrerssohn ist überzeugt: «Auch Gott stand uns allen bei.» Er sitzt im Stadionrestaurant des SC Bern, seinem neuen Arbeitgeber, und fragt nach einem Glas Wasser. Sein Hals ist trocken, nachdem er seine Geschichte in fast einem Zug erzählt hat.
Er lacht, wie er es in den letzten 45 Minuten immer wieder tat. Nicht, weil das Erzählte ihn amüsieren würde. Sondern weil er weiss, wie verrückt seine Story klingt. Eigentlich müsste seine ganze Familie tot sein, hat er einmal gesagt. Und nun haben alle sogar mehr erreicht, als ihnen zugetraut worden war.
Das gilt für seinen Vater, der wieder gehen kann und zudem die Prognose, nie mehr etwas Schweres hochheben zu können, längst widerlegt hat.
Das gilt auch für Czarnik, der auf seinem Weg zum Eishockeyprofi viele Widerstände überwand.
Er wuchs in Washington auf. Nicht in der US-Hauptstadt, sondern in einem kleinen Vorort Detroits. Wie alle hörte auch er die Musik der Lokalhelden Eminem und Kid Rock, die über die raue Seite der Autostadt mit dem schlechten Ruf rappten. Downtown Detroit war nahe, aber dennoch weit weg: «Wir wussten, welche Gegenden wir meiden mussten. Washington war damals ländlich, und mich interessierte vor allem Eishockey», sagt Czarnik.
Nicht der Red Wings wegen. «Dort spielten für mich zu viele Europäer und Russen», sagt er lachend. Rückblickend wisse er natürlich, welch wunderbare und sportlich einmalige Zeit jene Jahre für Detroits NHL-Team mit den Superstars Lidström, Fetissow, Fedorow, Larionow und Co. war.
Czarnik spielte für die Jugendteams der Vororte, die in Detroit traditionell nach ihren Sponsoren benannt sind: Honeybaked (Ham), Compuware, Belle Tire – frei übersetzt «In Honig gebackener Schinken», «Computerteile», «Belle Reifen». Obwohl er stets zu den besten Skorern gehörte, wechselte er Jahr für Jahr die Mannschaft – nicht der kurligen Clubnamen wegen, sondern weil die Coaches ihn nicht mehr wollten. Alle fanden Czarnik zu klein und zu schmächtig. «Warum wollen viele Trainer Kinderteams wie Profimannschaften aufbauen?», fragt er sich heute noch.
Immer wieder neue Teams bedeuteten auch ständig neue Gspänli. Das war eine erste Lektion für die spätere Profikarriere, in der er fast zehn Jahre lang zwischen NHL und AHL-Farmteam hin- und hergeschoben werden sollte. «Letzteres war schlimmer», sagt Czarnik, «weil das auch immer mit einem Umzug für die Familie gleichbedeutend war.»
Plötzlich sind die Rollen neu
Neben dem Eis musste Czarnik schon als Kind wie ein Erwachsener funktionieren. Der Opferbereitschaft seiner Eltern verdankte er seine Eishockeykarriere. Wegen der Schicksalsschläge musste aber auch er für sie da sein. Als seine Mutter im Spital war, habe er sich entschieden, nun auch selber das Haus aufzuräumen und zu putzen, erzählt Czarnik, «normalerweise kämst du als 13-Jähriger nicht auf solche Gedanken». Unterstützung benötigte auch sein Vater, als er nach dem Unfall noch monatelang im Rollstuhl sass.
Czarnik sagt: «All diese verrückten Dinge, die unserer Familie zustiessen, schweissten uns zusammen.» Die frühen Erlebnisse hätten ihn empathischer gemacht, ist er überzeugt. Seine damalige Verlobte und heutige Ehefrau war erst 28, als sie ihre Mutter verlor, erzählt er. «Ich glaube, dass ich wegen meiner Erfahrungen wirklich mit ihr mitfühlen und eine echte Unterstützung sein konnte.»
Das Leben hat ihn auch für die härteren Seiten des Profisports gestählt. Ein Star in der NHL wurde er nie. Kleine Spieler müssen in mehreren Bereichen Weltklasse verkörpern, um sich in der besten Eishockey-Liga festsetzen zu können. Zu 206 Partien in acht Saisons schaffte es Czarnik aber trotz seiner bloss 1,75 Meter und 77 Kilogramme.
Ein erster Wendepunkt war die Berufung mit 15 ins Junioren-Programm von USA Hockey, das eine vorzügliche Ausbildung bietet. So lernte er auch, in Duellen um den Puck sich trotz physischer Unterlegenheit mit intelligentem Spiel zu behaupten.
Smart war auch Czarniks nächster Schritt: Er entschied sich für eine weniger renommierte Universität. Doch von dort aus hatten es mehrere kleinere Stürmer in die NHL geschafft. Sein Trainer, ein nur 1,73 grosser ehemaliger Spieler, wurde zum Förderer, der ihn verstand und coachte wie kaum ein anderer zuvor. Auch auf höchster Universitätsstufe war er regelmässig Topskorer. Dennoch wurde er im NHL-Draft übergangen – zwei Jahre hintereinander.
«Das war eine weitere Motivation, es allen zu zeigen», sagt Czarnik. Woher kommt diese Beharrlichkeit? «Von meiner Familie. Dem Ungemach, das wir erlebten, und wie wir damit umgingen: Immer weiter!» Als 23-jähriger Free Agent ergatterte er sich seinen ersten NHL-Vertrag.
Mit 31 hatte er genug von diesem Leben
Bei den Boston Bruins erlebte Czarnik eine goldene Spielergeneration und jene Garderobe, die oft als die beste bezeichnet wird bezüglich Leadership und Umgang mit Mitspielern. Noch heute schwärmt er von Grössen wie Bergeron, Chara oder Marchand, die einen Nobody wie ihn mit einer Selbstverständlichkeit unter ihre Fittiche genommen hätten.
Es folgte eine unfreiwillige Nordamerika-Tour mit 9 Teams und 13 Trainern in 8 Jahren. Zur letzten Station wurde seine Heimatstadt – ohne Happy End. Denn auch die Red Wings schoben ihn am Ende ins Farmteam ab. Letzten Sommer, mittlerweile 31, hatte Czarnik keine Lust mehr auf dieses Nomadenleben.
Es gab zwar Interesse aus dem paradiesischen San Jose, auch aus Pittsburgh, wo er mit Superstar Sidney Crosby hätte spielen können. Bei allen Angeboten ahnte Czarnik aber: Seine wirkliche Destination wäre am Ende ein weiteres Farmteam in der AHL. Also prüfte er erstmals Angebote aus Europa – und landete in Bern.
Alle sind sie mitgekommen, seine Ehefrau, die dreijährige Tochter und der 14 Monate alte Sohn. «Wichtig beim Entscheid für Europa war mir, dass meine Familie endlich ein komfortables Leben hat», sagt Czarnik. Kein weiteres ständiges Hin und Her zwischen Teams und Ligen. Seine Partnerin sei ihm stets beigestanden, «sie opferte fast alles für meine Karriere», sagt Czarnik.
Darum verneint er die letzte Frage, ob er sich nach all seinen Erlebnissen als künftiger Coach sehe: «Das hat mich meine Frau auch schon gefragt.» Er glaubt aber nicht, dass sich der Trainerberuf mit seinem Wunsch für das Leben nach der Karriere vereinbaren lässt: «Sie soll dann tun und arbeiten können, was sie will, während ich sie unterstützen kann.»
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