Interview zu Ärger mit Zugtickets«Passagiere haben keinen Anspruch auf Kulanz»
Die SBB halten ihr Personal an, die Billette streng zu kontrollieren. Die Reisenden dürften nicht auf Nachsicht vertrauen, sagt Pascal Rüsch, der für die Ausbildung zuständig ist.
Der Fall hat hohe Wellen geworfen: Die SBB haben das Ticket einer 81-Jährigen für ungültig erklärt, weil darauf «Heidi» stand statt «Heidemarie» wie im Personalausweis. Deshalb beharrte der Kontrolleur auf einer Nachzahlung von 252 Franken. Auseinandersetzungen gibt es auch immer wieder wegen Online-Tickets, die wenige Sekunden nach Zugabfahrt gelöst werden.
Wie bilden die SBB ihre Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleiter aus? Sind sie nicht zu kleinlich? Und finden die SBB noch genügend Personal für diese immer schwieriger werdende Aufgabe? Pascal Rüsch war sieben Jahre lang selbst als Kundenbegleiter im Zug tätig und leitet seit bald drei Jahren die Ausbildung der Kontrollierenden. Er sagt, was dabei wichtig ist.
Eine 81-Jährige musste 252 Franken nachzahlen, weil auf ihrem Ticket «Heidi» statt «Heidemarie» wie im Personalausweis stand. Das hat viele empört. Sie auch, Herr Rüsch?
Es ist anspruchsvoll, unter solchen Umständen die richtige Entscheidung zu treffen – zumal man dabei unter Beobachtung steht. Es war sicher nicht die Absicht des Kollegen, dass sich die Frau ungerecht behandelt fühlt.
Der Kundensupport der SBB hat sich unterdessen bei der Frau entschuldigt und im Namen von SBB-Chef Vincent Ducrot geschrieben: «Uns erscheint das Vorgehen des Kundenbegleiters auch etwas kleinlich.»
Von aussen betrachtet sicher. Aber ich war in diesen Fall nicht direkt involviert und will auch nicht einen Kollegen öffentlich beurteilen. Wir werden intern Lehren daraus ziehen.
Können also Reisende mit Kurznamen wie Ruedi und Susi unbesorgt Zug fahren? Oder müssen sie befürchten, dass ihr Online-Ticket für ungültig erklärt wird?
Die Reisenden müssen wissen, dass E-Tickets persönlich und nicht übertragbar sind. Deshalb müssen wir sie eindeutig identifizieren können. Am besten verwendet man also gleich den offiziellen Namen. Sonst hilft zur Identifikation immer noch das Geburtsdatum, das bei hierzulande gekauften Billetten auf dem Ticket steht.
Bei internationalen Tickets ist dies nicht immer der Fall. Werden Sie diese Problematik nun in Ihren Schulungen vertiefen?
Der Umgang mit E-Tickets und die Sicherung der Einnahmen sind bereits heute ein wichtiger Teil der Schulungen. Das gilt sowohl für die achtmonatige Grundausbildung der neuen Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleiter als auch für die jährlich stattfindende eintägige Weiterbildung der bisherigen Angestellten. Wir werden den aktuellen Fall sicher in die künftigen Kurse einfliessen lassen.
Für viel Ärger sorgt auch, dass Online-Tickets nicht akzeptiert werden, wenn sie einige Sekunden nach Zugabfahrt gekauft wurden – selbst wenn die schlechte Internetverbindung im Zug oder auf dem Bahnhof schuld ist. Können Sie diesen Ärger nachvollziehen?
Wenn es technische Verzögerungen gab, ist der Ärger verständlich. Andererseits ist die Regel einfach und klar: Das Billett muss vor der Abfahrt des Zuges gekauft sein. Am besten löst man es immer vor dem Einsteigen. So kann man sich Ärger ersparen.
Oft muss es beim Bahnfahren aber schnell gehen. Gibt es dann noch ein Verbindungsproblem, kann das Ticket ein paar Sekunden zu spät eintreffen. Ist es nicht kleinlich, wenn dies beanstandet wird – zumal wenn die Kontrolle eine Viertelstunde später erfolgt?
Wir prüfen jeden Fall individuell. Aber man muss sich bewusst sein: Es gibt keinen Anspruch auf Kulanz. Deshalb ist es so wichtig, das Ticket vor der Fahrt zu lösen.
Dürfen die Kontrollierenden überhaupt kulant sein?
Es gibt einen Handlungsspielraum, der im Einzelfall genutzt werden kann. Aber nochmals: Vonseiten der Reisenden gibt es keinen Anspruch darauf. Kommt es zu einem Zuschlag, kann man sich an die zuständige Stelle wenden, die auf dem Formular aufgeführt ist.
«Die Hemmschwelle ist gesunken – vor allem nachts.»
Hätten die Kontrollierenden gerne mehr Handlungsspielraum? Oder ziehen sie möglichst scharfe Regeln vor, an die sie sich halten können?
Das ist individuell. Einige würden gerne mehr aus ihrer Erfahrung handeln. Andere ziehen klare Vorgaben vor.
Wird in der Ausbildung geübt, wann man kulant sein soll und wann nicht?
Ja. Erst ist es wichtig, dass alle die Vorgaben kennen und diese anwenden können. Danach gibt es in den Kursen Rollenspiele, bei denen auch die Kulanz ein Thema ist. Und bei der praktischen Lernbegleitung im Zug kommt es tagtäglich zu realen Situationen mit Reisenden. Am Ende des Ausbildungsmoduls absolvieren die Kundenbegleitenden eine Prüfung.
In welchem Fall könnten Sie sich denn Kulanz vorstellen?
Zum Beispiel wenn jemand angerannt kommt und dem Kontrollpersonal bereits vor dem Einsteigen sagt, man habe noch kein Billett, werde jetzt aber sofort eins kaufen. In Fernverkehrszügen haben Reisende grundsätzlich die Möglichkeit, vor Abfahrt des Zuges beim Kontrollpersonal ein Billett mit 10 Franken Servicezuschlag zu kaufen.
Ist der Job der Kontrolleure schwieriger geworden?
Er war schon immer anspruchsvoll und ist noch anspruchsvoller geworden. Denn es gibt heute mehr Reisende und immer mehr verschiedene Ticketarten, die unser Zugspersonal kennen muss.
Kommt es auch vermehrt zu Konflikten?
Wir stellen fest, dass in Konfliktfällen die Hemmschwelle gesunken ist – vor allem nachts. Da gibt es verbale Entgleisungen, Drohungen und Mitarbeitende werden angerempelt. Die Mehrheit der Kundenkontakte ist jedoch nach wie vor positiv.
«Wir möchten, dass sich unser Personal jederzeit sicher fühlt.»
Wie bereiten Sie Ihr Personal auf heikle Situationen vor?
Wir schulen alle neuen Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleiter auf Gewaltprävention. Da wird mit realitätsnahen Szenarien geübt – in Eisenbahnwaggons und mit Uniform. Auch alle bisherigen Mitarbeitenden werden diesen Kurs nochmals absolvieren. Wir möchten, dass sich unser Personal jederzeit sicher fühlt.
Üben Sie in diesen Kursen auch das Deeskalieren?
Exakt darum geht es – um Deeskalation, nicht um Selbstverteidigung. Die Teilnehmenden lernen, wie sie mit ihrer Stimme und Gestik deeskalieren können. Und wenn es sehr heikel wird, empfiehlt es sich, sich zurückzuziehen und den Kollegen oder die Kollegin zu holen. Oder die Polizei zu alarmieren.
Ist es schwierig, genügend Personal für diesen oft unangenehmen Job zu finden?
Wir finden noch genügend Personal, aber die Suche ist aufwendiger geworden.
Ist die Fluktuation hoch?
Sie hat zugenommen. Es ist ein schöner, aber auch ein anspruchsvoller Beruf. Wir haben 2200 Kundenbegleiterinnen und Kundenbegleiter und bilden jährlich knapp 300 Personen aus.
Wenn Sie selbst die Regeln bestimmen könnten: Würden Sie sie so festlegen, wie sie nun sind? Oder das eine oder andere anpassen?
Meiner Ansicht nach sind die geltenden Regeln sinnvoll. Sie sind auch klar kommuniziert und müssen nicht geändert werden.
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