Interne Umfrage offenbart ProblemeSBB-Mitarbeiterinnen berichten von sexueller Belästigung
Im Lokführerstand soll es bei den SBB häufig zu Übergriffen kommen. Rund 800 Frauen sind gemäss einer internen Umfrage betroffen. Eine Vertraulichkeitsklausel erschwere das Melden von Vorfällen.
Lokführerinnen der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) berichten von anzüglichen Kommentaren und unangemessenen Annäherungen ihrer männlichen Kollegen, wie aus einer Umfrage von Ende 2023 hervorgeht. In einem Fall soll ein Zugchef beispielsweise das Aussehen einer Lokführerin am Telefon mit den Worten «Ah, jetzt sehe ich deinen Knackarsch» kommentiert haben. Esther Weber, Fachgruppenleiterin Frauen im Lokpersonalverband und selbst Lokführerin, spricht im «SonntagsBlick» von einer «Stammtischkultur» im Lokführerzimmer, in der sich Männer mit frauenfeindlichen Sprüchen zu überbieten versuchten. «Frauen, die sich gegen Belästigungen wehren, werden oft verspottet», so Weber.
Im Pausenraum würden «Techniken» besprochen, wie sich Frauen im Führerstand am besten berühren liessen. Angehende Lokführerinnen würden beim Zeigen, wie die Bremse funktioniere, am Busen berührt. Da der Ausbildner rechts stehe und die Bremse sich links befinde, lasse sich die Brust so «aus Versehen» streifen.
Genaue Zahlen halten die SBB zurück
Die interne Umfrage der SBB zeige, dass vier Prozent der Mitarbeitenden – also rund 1400 Personen – in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt hätten. Besonders betroffen sind Frauen: Zwölf Prozent der weiblichen Mitarbeitenden sollen angegeben haben, sexuell belästigt worden zu sein – hochgerechnet seien dies rund 800 Frauen. Die genauen Zahlen werden von der SBB-Führung bislang zurückgehalten, was intern auf Kritik stösst.
Die SBB betonen, dass sie das Problem ernst nehmen und Fälle von sexueller Belästigung konsequent nachverfolgen. Personalchef Markus Jordi verweist auf eine Nulltoleranzpolitik und Massnahmen wie Sensibilisierungsprogramme, die demnächst umgesetzt werden sollen. Dennoch kritisieren betroffene Frauen den Umgang mit den Vorfällen. Eine Vertraulichkeitsklausel, die sie bei der Meldung eines Vorfalls unterschreiben müssten, hindere sie daran, offen über das Geschehene zu sprechen.
Hohe Dunkelziffer
Obwohl die SBB auf dem Papier als fortschrittliches Unternehmen gälten – mit Initiativen wie einem Frauennetzwerk und einem «Queernet» für Angestellte aus der LGBTQ-Community –, fehle es an konkreten Schritten, um die Ergebnisse der Umfrage in wirksame Massnahmen zu überführen. Weber fordert eine bessere Sichtbarkeit, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht toleriert wird.
Laut SBB liegen die Ergebnisse der Umfrage im schweizerischen Durchschnitt. Trotzdem sei die hohe Dunkelziffer ein Problem. 2023 wurden nur 36 Fälle offiziell gemeldet, obwohl die tatsächliche Zahl laut Jordi deutlich höher liegt. Mitarbeitende fürchteten oft negative Konsequenzen, wenn sie sich gegen Belästigungen wehrten – ein Umstand, der dringend angegangen werden müsse.
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