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Gewalt in Belarus
Mit der Elektro­schock­pistole zur Falsch­aussage gezwungen

Belorussian author and journalist Sasha Filipenko poses at the Jan Michalski Foundation for Writing and Literature, in Montricher, Switzerland, Tuesday, March 16, 2021. (KEYSTONE/Laurent Gillieron)
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Am 9. November hat die weissrussische Polizei die elterliche Wohnung des Exil-Autors Sasha Filipenko in Minsk verwüstet und seinen Vater in Geiselhaft genommen. Filipenko gilt als einer der schärfsten Kritiker des Lukaschenko-Regimes und lebt als Dissident in der Schweiz.

Letzte Woche, nach fünfzehn Tagen Haft, wurde sein Vater aus dem berühmt-berüchtigten Minsker Okrestino-Gefängnis freigelassen. In dieser Haftanstalt, auch Foltergefängnis genannt, hielt man ebenfalls die schweizerisch-weissrussische Regimekritikerin Natallia Hersche fest. Sie wurde 2021 zum Symbol des weissrussischen Widerstands.

«Der Hauptdarsteller wurde verschleppt und soll an die Front in der Ukraine geschickt werden.»

Mehrere Tausend Demonstrantinnen und Demonstranten wurden 2020 im Okrestino-Gefängnis festgehalten, weil sie gegen die Wahlfälschung des Präsidenten Alexander Lukaschenko auf die Strasse gingen. Alle berichteten von physischer und psychischer Folter und Ritualen der Demütigung.

Auch Sasha Filipenko ging damals auf die Strasse. Seither will man ihn zum Schweigen bringen, aber weil sie ihn nicht erwischen, geraten die Menschen um ihn herum ins Visier des Regimes. «Der Sinn der Repressionen ist, dass sie unlogisch sind», sagte Filipenko kürzlich im Interview mit dieser Zeitung.

Sein Vater wurde während der Haft dazu gezwungen, ein Protokoll zu unterschreiben, wonach ein Strafverfahren gegen seinen Sohn eingeleitet wurde. Drei weitere sind offenbar in Vorbereitung. In der Zelle, eigentlich für vier Personen vorgesehen, waren 22 Leute untergebracht.

Wie Sasha Filipenko gestern berichtete, sei das Licht nie gelöscht worden, damit niemand schlafen konnte, dem Vater sei die Brille abgenommen worden. Während des Verhörs sei er gezwungen worden, die Schuhe auszuziehen. Die Polizei habe die Fersen mit einer Elektroschockpistole malträtiert, so, dass keine Spuren zurückbleiben. Unter erneuter Androhung von Elektroschocks habe man den Vater zu einem Video-Geständnis erpresst, in dem er sich von seinem Sohn distanzieren sollte.

Sein Roman erzählt von Mechanismen der Machterhaltung

Nur kurz nach der Freilassung des Vaters wurden neue Drohungen gegen die Familie ausgesprochen, und die Bühnenadaption von Sasha Filipenkos jüngstem Roman «Kremulator», die im Januar in Moskau zur Aufführung kommen sollte, wurde behördlich gestoppt. Der Hauptdarsteller wurde jetzt zu einem Registrierungsbüro der Armee verschleppt und soll an die Front in der Ukraine geschickt werden.

Filipenko erzählt in «Kremulator», im Frühling 2023 auf Deutsch erschienen, von Mechanismen der Machterhaltung. Die Romafigur Pjotr Nesterenko ist Direktor des ersten Moskauer Krematoriums und dafür zuständig, die Leichen der zum Tode Verurteilten des stalinistischen Terrors zu verbrennen. Im Juni 1941 wird er selbst verhaftet. Weil er dem Tod immer wieder entkommen ist, fühlt er sich unsterblich, auch während der Verhöre.

Sasha Filipenko schlägt mit seinem Roman über Russlands Vergangenheit eine Brücke in die Gegenwart und erzählt herzzerreissend vom Leben in einer Diktatur zwischen Willkür und Brutalität und von der Sinnlosigkeit des Krieges. Auf der ersten Seite steht: «Alles in diesem Buch ist wahr – selbst das Erfundene.»