Sexismus im ParlamentSagte der FDP-Mann wirklich «Kätzchen» zu ihr?
Ein Waadtländer Kantonsrat soll eine Ratskollegin verbal belästigt haben. Nun hat die Frau den Fall öffentlich gemacht und die Ratsleitung Massnahmen ergriffen.
Die Debatte im Waadtländer Kantonsrat vom Dienstagnachmittag war hitzig. Am Ende musste sie gar abgebrochen werden. Elodie Lopez von der Linkspartei Ensemble à Gauche bezichtigte FDP-Ratskollege Jean-Luc Bezençon am offenen Mikrofon der sexuellen Belästigung. Der FDP-Mann stritt alles ab, sprach von «Verleumdung», verlangte eine Entschuldigung und drohte mit einer Strafanzeige. Die Sitzung wurde zunächst für eine Stunde unterbrochen. Doch die Entschuldigung kam nicht. Also verliessen die Fraktionen der FDP und der SVP den Ratssaal.
Dabei hatte Lopez’ Wortmeldung mit dem ursprünglichen Thema im Rat nichts zu tun. Es ging um die Kosten für die Räumung des Mormont-Hügels bei Éclépens VD. Diesen hielten Klimaaktivisten aus Protest gegen die räumliche Expansion des Zementkonzerns LafargeHolcim während Monaten besetzt, bevor ihn Polizisten im Januar 2022 räumten.
FDP-Vertreter Bezençon kritisierte in der Debatte Mathilde Marendaz, eine andere Kantonsrätin der Partei Ensemble à Gauche, dafür, dass sie auf dem Mormont-Hügel mit einem Schild mit dem polizistenfeindlichen Spruch ACAB (All Cops Are Bastards) posiert hatte. Für das Foto, das in den sozialen Medien auftauchte, hat sich die Politikerin schon länger entschuldigt. Die Waadtländer Polizistenvereinigung hat dennoch eine Strafanzeige gegen die Politikerin eingereicht.
Freisinniger droht mit Klage
Nachdem Jean-Luc Bezençon im Ratssaal diese über ein Jahr alte Geschichte in der Debatte aufgegriffen hatte, schaltete Elodie Lopez, Parteikollegin der kritisierten Marendaz, an ihrem Pult das Mikrofon ein und warf dem FDP-Mann implizit Sexismus vor. Wörtlich sagte Lopez : «Ich hoffe, dass Sie die heute veröffentlichte Weisung aus dem Büro des Grossen Rates betreffend sexuelle Belästigung zur Kenntnis nehmen. Wenn man sich nämlich anmasst, Moralpredigten zu halten, sollte man meiner Meinung nach besser untadelig sein.»
Bezençon reagierte wütend, versicherte zwar, er schätze Lopez sehr, drohte ihr dann aber mit juristischen Konsequenzen, sollte sie sich nicht entschuldigen.
Zunächst blieb unklar, worauf Lopez in ihrer Wortmeldung anspielte. Gegenüber den Zeitungen «24 Heures» und «Le Courrier» nahm sie dann aber später ausführlich Stellung zu ihrer kaum 40 Sekunden dauernden Äusserung. Die Kantonsrätin aus Vevey hatte sich schon im letzten Dezember mit einem Brief ans Ratsbüro gewandt, weil sie gemäss ihrer Auffassung von Kollege Bezençon in der Cafeteria des Parlaments belästigt worden war.
Vorfälle gemeldet
Im Schreiben schilderte sie, sie sei von Bezençon «chaton» – zu Deutsch: Kätzchen – genannt worden. Diesen Übernamen habe der Politiker ihr und einer anderen Linkspolitikerin gegeben mit der Begründung, sie würden wie frisch geborene Kätzchen «die Augen noch geschlossen haben und sie eines Tages öffnen, um politisch nach rechts zu rücken». Zudem habe er sie gefragt, ob sie verheiratet sei oder in einer Beziehung lebe, und riet ihr schliesslich, sie solle sich «faire dresser par un mec de droite». Zu Deutsch etwa: Sie solle sich durch einen politisch rechts stehenden Typen «beeinflussen» lassen – das ist die freundliche Übersetzung. Ebenso gut kann man «se faire dresser» aber auch mit «dressieren lassen» übersetzen.
Weitere linke Waadtländer Politikerinnen haben auf die Vorfälle vom Dienstag reagiert, schildern auf Twitter eigene Erlebnisse und fordern die Bürgerlichen auf: «Räumt auf, bevor ihr schreit.»
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Von «24 Heures» mit seinen angeblichen Aussagen konfrontiert, weist Jean-Luc Bezençon sie kategorisch zurück: «Ich bin schockiert und fassungslos», sagt er. «Ich habe mich nie so geäussert.» Die genannten Begriffe würden in seinem Vokabular gar nicht existieren. Er sei schon seit Jahrzehnten in der Politik, die Leute würden ihn kennen und ihm vertrauen.
Das Büro des Kantonsrats reagierte am Abend mit einem dünnen Communiqué auf den Vorfall. Man könne «zu den im Ratssaal gemachten Äusserungen nicht Stellung nehmen.» Man werde sich aber bemühen, die Angelegenheit zu klären, und nehme «das Problem der sexuellen Belästigung sehr ernst». Aus diesem Grund habe man in Zusammenarbeit mit externen Experten eine Richtlinie erlassen und am Dienstag «einen ersten fakultativen Workshop zu dieser Richtlinie durchgeführt». Aktuell bemühe man sich, alle Abgeordneten über die Richtlinie zu informieren – und hoffe, die Ratsdebatte am kommenden Dienstag in friedlicher Atmosphäre wieder aufzunehmen.
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