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Regisseur Ryusuke Hamaguchi
Der bescheidenste Oscar-Preisträger der Welt

Der Erwartungsdruck nach dem Oscar sei immens gewesen, sagt der japanische Regisseur Ryusuke Hamaguchi.
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Als der Regisseur Ryusuke Hamaguchi seinen weltberühmten Landsmann Haruki Murakami fragt, ob er dessen Kurzgeschichte «Drive My Car» verfilmen dürfe, war er zuerst einmal nervös. Lange hörte er nichts vom Meister, dann kam die Zusage. Dass Murakami eine Weile brauchte, lag wahrscheinlich daran, was ihm Hamaguchi geschrieben hatte: Er müsse die Dialoge abändern, denn echte Menschen würden einfach nicht so reden wie in Buch.

Der Film «Drive My Car» dauert drei Stunden, ein Monument aus Nuancen, 2022 erhielt der 45-Jährige dafür den Oscar für den besten internationalen Film. «Es gibt ja nichts auf der Welt, was nur gut oder nur schlecht ist, dazu gehört auch der Oscar für ‹Drive My Car›», sagt Hamaguchi im Videogespräch. Der Erwartungsdruck danach sei immens gewesen.

Mit «Drive My Car» gelang Ryusuke Hamaguchi 2021 der Durchbruch.

In «Drive My Car» erwischt der Theaterregisseur Kafuku seine Frau Oto beim Sex mit einem jungen Schauspieler. Nach ihrem plötzlichen Tod inszeniert Kafuku ein Tschechow-Stück und besetzt dafür eben jenen jungen Mann, der mit seiner toten Frau eine Affäre hatte. Gleichzeitig öffnet er sich gegenüber seiner Fahrerin, die ihn in einem roten Saab herumchauffiert.

Die strenge Art, wie Kafuku das Theaterstück mit den Darstellern einübt, entspricht in etwa der Arbeitsweise Hamaguchis. Zentral sind die Dialoge, sie verraten viel über eine Figur: wie sie redet natürlich, aber vor allem, ob es die Wahrheit ist oder nur das, was sie für die Wahrheit hält. Entsprechend lässt Hamaguchi seine Schauspielerinnen und Schauspieler den Text zu Beginn gefühllos aufsagen, bis sie ihn quasi automatisch können. Irgendwann hört er, wonach er sucht: ein gewisses Gewicht in den Sätzen, wie er in einem Interview sagte.

Ryusuke Hamaguchi poses with his Oscar for Best International Feature Film for 'Drive My Car' in the press room during the 94th annual Academy Awards ceremony at the Dolby Theatre in Hollywood, Los Angeles, California, USA, 27 March 2022. The Oscars are presented for outstanding individual or collective efforts in filmmaking in 24 categories.  EPA/DAVID SWANSON
Schauspiel-Workshop in «Drive My Car»: Hamaguchi selber wendet eine ähnliche Methode an.

Solche Einverleibungen der Kunst sind immer Thema in Hamaguchis Filmen, sei es «Drive My Car» oder «Wheel of Fortune and Fantasy». Sie erzählen vom Leben, dem die Kunst gefährlich werden kann, weil sie alles offenlegt. Von der Performance, die zur Identität wird – oder umgekehrt: Ernst und Humor lassen sich nicht immer so genau voneinander trennen.

«In der Kunst kommt zum Ausdruck, was ich den Geschmack der Wertvorstellungen nennen würde», sagt Hamaguchi. Er antwortet überlegt, man merkt aber auch seinen Schalk. Im Verlauf des Interviews fällt er einmal aus der Zoom-Leitung und kehrt nach ein paar Minuten wieder zurück, als sei nichts gewesen.

Hamaguchi gehört zu den wichtigsten Regisseuren Japans

Heute gehört Hamaguchi zu den wichtigsten japanischen Regisseuren, gerade widmete ihm die renommierte Filmzeitschrift «Sight & Sound» die Titelgeschichte. Hamaguchi studierte Ästhetik und Filmtheorie in Tokio und betrat während seines Studiums den Filmclub. Zu seinen Vorbildern gehören John Cassavetes, Eric Rohmer oder Howard Hawks.

Im neuen Kinodrama «Evil Does Not Exist» lässt der Japaner die Sache ruhig angehen. Oder mysteriöser: Takumi lebt mit seiner Tochter auf dem Land, schlägt Holz und sammelt Flusswasser für einen Udon-Imbiss in der Nähe. Es passiert ansonsten nicht viel, abgesehen von den Eindringlingen aus der Stadt, die in der Region einen Glamping-Park aufbauen möchten. Dahinter steht eine Agentur, die jene Subventionsbeiträge abschöpfen möchte, die nach der Pandemie die Wirtschaft ankurbeln sollen.

Takumi mit seiner Tochter in «Evil Does Not Exist».

Es ist eine Form von innerem Kolonialismus in Japan – und es ist das einzige Thema, bei dem Hamaguchi energisch wird. Die Metropolen würden das Land im eigentlichen Sinne ausbeuten. In abgelegenen ländlichen Regionen stünden die AKW, die die Städte mit Strom versorgen. Dort würden die Ressourcen gewonnen, die es für hochwertige Luxusgüter brauche. Die Städte würden sich das Land zu einem «Fressen» machen, so Hamaguchi, der in mehreren Dokumentarfilmen die Opfer der Tsunamikatastrophe von 2011 porträtiert hat.

In «Evil Does Not Exist» wehren sich die Landbewohner gegen die Glamping-Idee: Eine Präsentation vor versammelter Dorfgemeinde wird hitzig, hier die weltläufige Business-Sprache aus Tokio, dort die lokale moralische Autorität. Es ist klar, wo Hamaguchi steht. Auch wenn er selber ein Stadtmensch sei, die Sehnsucht nach dem Landleben sei ihm nicht völlig fremd. Allerdings könne er gar nicht Auto fahren.

Klingt doch gut: Agenturleute stellen in «Evil Does Not Exist» das Glamping-Projekt vor.

Als ökologische Fabel gegen den kapitalistischen Raubbau klingt «Evil Does Not Exist» fast etwas banal. Aber Hamaguchi erzeugt Bedeutung anhand von Leerstellen und Feinheiten wie den kleinen Abwehrreaktionen der Landbewohner. Es sind immer Bewegungen im Untergrund der Bilder, wo man zuerst gar nicht merkt, dass sich etwas aufgetan hat wo und Gefühle hochschiessen.

Hamaguchi mag «Schatten der Engel» (1975)

«Filme manipulieren, sie stellen eine illusorische Welt her, in der das Publikum aufgehen soll», sagt der Oscar-Preisträger. «Mir ist es wichtig, eine Distanz herzustellen, weil ich dem Publikum nichts vorspielen möchte. Ich möchte es nicht einlullen und nicht betrügen. Man soll meine Filme mit klarem Kopf schauen.» Es gehe ihm auch um Fairness. Um die Ehrlichkeit dem Publikum gegenüber.

Aus der Schweiz übrigens sei ihm «Schatten der Engel» (1975) von Daniel Schmid ein Vorbild – sowie das Theaterstück «Der Müll, die Stadt und der Tod» von Rainer Werner Fassbinder, das dem Film zugrunde liegt. Die Buchausgabe des Stücks steht bei ihm auf einem Regal über dem Laptop. Er greift kurz aus dem Frame, um es herunterzuholen und in die Kamera zu zeigen. Ein Moment, der wirkt wie ein klein wenig Hamaguchi-Zauber.

«Evil Does Not Exist», im Kino.