Moskaus FamilienpolitikRusslands Frauen sollen jetzt für Putin gebären
Weil die Bevölkerung schrumpft, ruft der Kremlchef das «Jahr der Familie» aus und ehrt «Heldenmütter», die zehn Kinder gebären. Darüber schütteln viele Russinnen nur den Kopf.
Nachdem Wladimir Putin sein Land auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, um massenweise Waffen zu produzieren, widmet er sich nun den Frauen: Sie sollen massenweise Kinder gebären. Anders lässt sich eine neue Verordnung nicht interpretieren, die der russische Präsident Ende Januar erlassen hat.
Ab sofort sollen Eltern in Russland mehr staatliche Unterstützung erhalten, wenn sie mindestens drei Kinder zur Welt bringen. Und der Kreml gibt sich grosszügig: Neben Direktzahlungen und besseren Arbeitsbedingungen soll es für kinderreiche Familien auch kostenfreie Museumsbesuche geben.
Putin lancierte bei einem öffentlichen Auftritt das «Jahr der Familie» für 2024. Der Präsident liess am sogenannten Forum der Nächstenliebe Mütter, Väter und Kinder aus allen Regionen Russlands nach Moskau bringen, um vor ihnen zu verkünden, dass «die Familie im Mittelpunkt der gesamten Politik» stehe. Um dies gebührend zu feiern, sind in diesem Jahr über 300 Veranstaltungen geplant, an denen «familiäre Traditionen» zelebriert werden sollen.
Heirat im Gefängnis
Nicht thematisiert bei diesen Anlässen sind die Tausenden Familien, bei denen ein Mitglied zu Unrecht im Gefängnis sitzt. Einer dieser politischen Häftlinge ist Andrei Piwowarow, ein prominenter Oppositioneller in Russland. Der Kreml hat ihn zu vier Jahren Strafkolonie verurteilt, weil er die «unerwünschte Organisation» Open Russia leitete. Diese gründete einst der Kremlkritiker Michail Chodorkowski, mit dem Ziel, demokratische Werte und Menschenrechte zu fördern.
Piwowarow heiratete im Sommer 2023 seine Partnerin Tatjana Usmanowa. Im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt sie, wie sich die beiden in der Gefängnisküche das Jawort gaben. «Die Zeremonie dauerte zehn Minuten. Dann wurde ich aus dem Raum geworfen.» Usmanowa lebt allein, kann ihren Mann nicht umarmen und nicht einmal mit ihm telefonieren. «Das ist sie – die moderne Familie in Russland», sagt sie ironisch.
Das «Jahr der Familie» ist auch ein Schlag ins Gesicht vieler Russinnen, deren Männer unfreiwillig in der Ukraine kämpfen. Putins Mobilisierung hat ihr Familienleben zerstört.
Längst nicht alle Soldatenmütter nehmen das stillschweigend hin. Tausende Russinnen sind mittlerweile der Telegram-Gruppe «Weg nach Hause» beigetreten und fordern ihre Männer zurück. Für Putins «Jahr der Familie» haben sie offenkundig wenig übrig. In einem Manifest auf Telegram bezeichnen sie es als «ironisch, wenn man bedenkt, dass Frauen ohne ihre Männer heulen, Kinder ohne Väter aufwachsen und viele bereits Waisen sind.» Immerhin, stellen die Frauen fest, habe «Putin immer noch einen Sinn für Humor».
Das «Jahr der Familie» verdeutlicht jedoch ein ernsthaftes Problem: Die russische Bevölkerung schrumpft. Hunderttausende Soldaten sind in der Ukraine gestorben. Über 1,5 Millionen Menschen haben Russland seit der Invasion verlassen. Und der Kreml kämpft seit den 90er-Jahren gegen eine tiefe Geburtenrate. Behält die Statistikbehörde Rosstat recht, leben in 22 Jahren noch 139 Millionen Menschen in Russland. Also 8 Millionen weniger als jetzt.
Dabei war es bei den Präsidentschaftswahlen 2012 ein zentrales Versprechen Putins, die Bevölkerung bis 2050 auf 154 Millionen zu erhöhen. Nun, vor den Wahlen im März, lanciert Putin das Thema erneut. So hat der Kreml unter anderem eine Kampagne gegen Abtreibungen gestartet. Seit 2024 ist der Verkauf von Abtreibungsmedikamenten eingeschränkt. Über weitere Gesetze diskutiert derzeit die Duma. Werden diese umgesetzt, könnten Frauen nur dann abtreiben, wenn der Ehemann zustimmt. Auch würde die obligatorische Bedenkzeit vor einer Abtreibung verlängert, um «auf den Herzschlag des Fötus zu hören».
Medaillen für gebärfreudige «Heldenmütter»
Experten weisen darauf hin, dass ein restriktives Vorgehen nur kurzfristig die Geburtenrate anhebt. Doch der Kreml schreckt vor keiner Massnahme zurück, selbst wenn sie lächerlich erscheint. Jedes Jahr verteilt Putin Medaillen an besonders grosse Familien, darunter den «Orden für elterlichen Ruhm» oder den Titel «Heldenmutter», wenn eine Frau über zehn Kinder geboren hat. Beide Auszeichnungen gab es bereits zu Sowjetzeiten. Putin hat sie wiederbelebt.
Der Kreml organisiert selbst Wettbewerbe, an denen Familien gegeneinander antreten. Sie duellieren sich in der Disziplin «traditionelle Werte»: Wer klare Geschlechterrollen oder die Liebe zum Vaterland nach Putins Gusto am besten vermittelt, gewinnt. Mit solchen Events kann sich Russland klar vom Westen abgrenzen, der «die Institution der Familie zerstört», wie Putin an der Eröffnung zum «Jahr der Familie» behauptete.
Ob sich dadurch aber auch die Bevölkerungszahl steigern lässt, bleibt zu bezweifeln. Bisher zeigten diese Massnahmen kaum Wirkung. Die Geburtenrate stagniert beim Wert 1,6 statt der benötigten 2,1 für ein Wachstum. Bleibt es dabei, drohen Russland ein massiver Arbeitskräftemangel sowie eine abnehmende Wirtschaftskraft.
Putin wünscht sich deshalb gebärfreudige Frauen und nutzt das «Jahr der Familie» als Bühne für pathetische Reden. Doch für Russinnen wie Tatjana Usmanowa bleibt es «eine schlechte Show, die niemand ernst nimmt». Sie hofft auf ein «neues Russland», auf einen Staat, der Frauen nicht vorschreiben will, wie viele Kinder sie zur Welt bringen sollen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.