Datenanalyse zum Ukraine-KriegRussische Truppen verschiessen täglich 50’000 Granaten
Das russische Militär legt die Ukraine mit seiner Feuerkraft in Schutt und Asche. Wie Putins Armee dabei vorgeht, zeigt ein einmaliger Datensatz.
Mehr als 2800 Kurz- und Langstreckenraketen hat das russische Militär gemäss der Zeitung «Kyiv Independent» seit Beginn der Invasion am 24. Februar auf Ziele in der Ukraine geschossen. Pro Tag kommen derzeit schätzungsweise 50’000 Artillerie-Granaten hinzu. Das sagt Niklas Masuhr, Analyst für militärische Strategien am Zentrum für Sicherheitspolitik der ETH Zürich. Täglich sterben 150 ukrainische Soldaten und Zivilisten in diesem Feuerhagel.
Wie die Russen in diesem Krieg vorgehen, lässt sich anhand einer einmaligen Datenbank aufzeigen. Die in den USA domizilierte Nichtregierungsorganisation Acled erfasst alle Militärschläge der Kriegsparteien. Acled, das auch vom deutschen Auswärtigen Amt unterstützt wird, steht für: «The Armed Conflict Location & Event Data Project».
Bis zum 24. Juni gibt es mehr als 4400 Einträge allein für russische Luftschläge, Raketenangriffe und Artilleriefeuer. Wobei ein einzelnes Ereignis für mehrere Raketen oder Artilleriegranaten stehen kann. «Mit dem Datensatz lässt sich der Kriegsverlauf nachzeichnen», sagt Analyst Masuhr. Bessere Daten hätten die Kriegsparteien oder das Verteidigungsbündnis NATO.
Diese Karte zeigt die wichtigsten Erkenntnisse aus den Daten:
Bis zum 27. Juni sind gemäss der UNO in der Ukraine fast 5000 Zivilisten und Zivilistinnen getötet worden – davon mehr als 300 Kinder. Gleichzeitig zeigen die Acled-Daten, dass die Russen seit Kriegsbeginn mindestens 40 Krankenhäuser sowie über 80 Schulen und Kindergärten zerstört oder beschossen haben. Zum einen ist das laut Wissenschaftler Masuhr «ein bewusster Angriff auf zivile Infrastruktur», zum anderen stünden manche zivilen Gebäude bei den Feuermissionen des russischen Militärs schlicht «im Weg».
Ein Ende der Zerstörung ist kaum abzusehen. Nach der Einnahme von Sjewjerodonezk hat das russische Militär die Angriffe auf weitere Ziele in der Ukraine abermals erhöht. Die intensive Raketenkampagne könnte darauf hindeuten, dass Russland immer noch über ein reichhaltiges Arsenal zur Zerstörung ukrainischer Ziele verfügt. Allerdings relativiert Masuhr, er sagt: Gerade der Angriff in Krementschuk sei mit veralteten Antischiffsraketen durchgeführt worden. Das könne ein Zeichen dafür sein, dass die Präzisionswaffen wie Iskander und Kalibr für Ziele tieferer Priorität zu teuer oder nicht verfügbar seien. Die Vermutung dabei: Die Russen hatten eine Fabrik treffen wollen, was mit der einen Rakete auch gelang. Die andere Rakete jedoch zerstörte ein Einkaufszentrum – dabei kamen mindestens 21 Menschen ums Leben und 59 wurden verletzt.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat bei seiner Rede am G-7-Gipfel in Bayern gesagt, er hoffe auf ein Ende der russischen Invasion noch in diesem Jahr.
«Die Arbeit läuft ruhig, rhythmisch, die Truppen bewegen sich und erreichen die Linien, die ihnen als Etappenziele vorgegeben wurden.»
Die russische Seite liess jedoch sogleich verlauten, es gebe keinen Zeithorizont. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte der Agentur Interfax zufolge, die Spezialoperation in der Ukraine verlaufe «nach Plan». Das Wort «Krieg» darf in Russland für die Invasion nicht benutzt werden. Und Präsident Wladimir Putin sagte am Mittwoch vor Journalisten in der turkmenischen Hauptstadt: «Die Arbeit läuft ruhig, rhythmisch, die Truppen bewegen sich und erreichen die Linien, die ihnen als Etappenziele vorgegeben wurden.»