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Russische Oppositionelle in Freiheit
«Eine gesetzwidrige Ausweisung gegen meinen Willen»

epa11519969 Kremlin critic and Russian opposition politician Ilya Yashin attends a press conference following a 26-person prisoner swap between Russia, the US and five other countries, at the Deutsche Welle headquarters in Bonn, Germany, 02 August 2024. The prisoner exchange operation between Russia, the US, and its Western allies was carried out in Ankara under the coordination of the National Intelligence Organization for 26 people held in prisons in seven different countries. Among the prisoners are Wall Street Journal reporter Evan Gershkovich and Marine veteran Paul Whelan. It was the biggest prisoner exchange since the Cold War.  EPA/CHRISTOPHER NEUNDORF
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Nun sitzt er da, wo er niemals sitzen wollte, auf einem Podium ausserhalb Russlands, und kann nicht zurück. «Ich sage es, wie es ist», die Stimme von Ilja Jaschin bricht beim nächsten Satz hörbar weg: «Am allermeisten möchte ich jetzt nach Hause zurückkehren.»

Zu Hause, in Russland, hat er die letzten beiden Jahre im Gefängnis verbracht. Man glaubt dem 41 Jahre alten Politiker, der die Häftlingsuniform für die Pressekonferenz am Freitagabend in Bonn gegen einen Kapuzenpulli getauscht hatte, seine Worte trotzdem. Jaschin hatte auch aus dem Straflager heraus immer wieder erklärt, er wolle keinesfalls ausgetauscht werden.

Trotzdem ist er nun einer der 16 Gefangenen, die Wladimir Putin im Austausch für acht Russen gehen liess, die im Westen für ihre Vergehen in Haft sassen. Jaschin ist selbst Russe, hat ausschliesslich den russischen Pass. Man könnte auch sagen: Er wurde von seinem eigenen Staat als Geisel gehalten, genau wie die anderen politischen Gefangenen, die vergangene Woche als Teil des Deals in Deutschland landeten. Das sei kein Austausch gewesen, sagt Jaschin, sondern eine «gesetzwidrige Ausweisung gegen meinen Willen». Seinen Vorwurf richtet er keineswegs an diejenigen, die ihn befreit haben, sondern an Putin.

(L-R) Russian journalist and activist Vladimir Kara-Murza, Russian activist Andrei Pivovarov and Russian opposition figure Ilya Yashin address a press conference on August 2, 2024 in Bonn, western Germany, one day after they have been released from Russia as political prisoners in one of the biggest prisoner swaps between Russia and the West since the end of the Cold War. A total of 26 people, including two minors, from the United States, Germany, Poland, Slovenia, Norway, Belarus and Russia are involved in one of the biggest East-West prisoner swaps since the Cold War. The Kremlin on August 2, 2024 said that at least three Russians freed in the prisoner exchange were undercover Russian agents, a rare public admission into the work of Moscow's top-secret security services. (Photo by INA FASSBENDER / AFP)

Zwei Stühle neben ihm sitzt in Bonn Wladimir Kara-Mursa und dankt denen, die den Austausch möglich gemacht haben, «denen Menschenleben wichtiger waren als sogenannte Realpolitik». Die Erleichterung seiner Familie dürfte besonders gross sein, Kara-Mursa sass unter härtesten Bedingungen und geschwächt von den Folgen zweier Giftanschläge in Haft.

Er sei sich sicher gewesen, dort zu sterben, sagt er irgendwann. Noch als er aus seinem sibirischen Gefängnis nach Moskau gebracht worden sei, habe er damit gerechnet, womöglich erschossen statt ausgetauscht zu werden.

Sie weigerten sich, ein Gnadengesuch zu schreiben

Trotzdem spricht auch Kara-Mursa von dem Drang, nach Russland zurückzufliegen, hält während der Pressekonferenz seinen Inlandspass hoch, der eigentlich nicht ausreicht, um aus Russland ins Ausland und zurück zu reisen. Ihre Reisepässe durften die Ausgetauschten nicht mitnehmen. «In unserem Land kann man die Leute weder normal hinter Gitter bringen noch freilassen», zitiert er den sowjetischen Dissidenten Wladimir Bukowski. «Ein lustiger Staat, kein Platz für Langeweile.» Was Kara-Mursa wohl sagen will: Weder bei ihrer Inhaftierung noch bei der Freilassung hielt sich der Staat an die Gesetze.

Putin hatte am Donnerstagabend eine Liste der 16 Menschen veröffentlicht, die er angeblich begnadigt habe. Mehrere der Befreiten haben inzwischen berichtet, wie sie in den letzten Tagen ihrer Haft dazu gedrängt wurden, Gnadengesuche zu formulieren. Sie sollten ihre Verbrechen gestehen, Reue zeigen, Putin um Verzeihung bitten. Als Kara-Mursa seine Weigerung habe begründen sollen, habe er Putin einen «Diktator, Usurpator und Mörder» genannt und dieselbe Kritik am Krieg wiederholt, die ihn letztlich hinter Gitter gebracht habe.

epa11520013 Kremlin critic and Russian opposition politician Vladimir Kara-Murza holds his Russian passport at a press conference following a 26-person prisoner swap between Russia, the US and five other countries, at the Deutsche Welle headquarters in Bonn, Germany, 02 August 2024. The prisoner exchange operation between Russia, the US, and its Western allies was carried out in Ankara under the coordination of the National Intelligence Organization for 26 people held in prisons in seven different countries. Among the prisoners are Wall Street Journal reporter Evan Gershkovich and Marine veteran Paul Whelan. It was the biggest prisoner exchange since the Cold War.  EPA/CHRISTOPHER NEUNDORF

Der Menschenrechtler Oleg Orlow erzählt Ähnliches. Er nimmt nicht an der Pressekonferenz teil, berichtet auf Telegram von dem leeren Blatt Papier, auf das er sein Gnadengesuch schreiben sollte. Auch er habe sich geweigert, schliesslich sei er unschuldig. Am nächsten Morgen hätten sie ihn dann aus seiner Zelle geholt, er solle verlegt werden, schnell seine Tasche packen.

Vergangenen Samstag steht Oleg Orlow vor dem Militärspital in Koblenz, er ist gerade entlassen worden und spricht mit einem Reporter der Nachrichtenseite «Meduza». «Ich möchte in Russland sein. Natürlich ist das eine Vertreibung», sagt er. Aber er wolle auch nicht so tun, als wäre er nicht glücklich gewesen, als er am Samstag «auf dem grünen Rasen um das Spital lief und in die Sonne geschaut» habe. Er habe den Himmel schliesslich vier Monate lang nicht gesehen.

Orlow hatte jede Gelegenheit, Russland vor seiner Festnahme zu verlassen. Stattdessen stellte er sich auf öffentliche Plätze in Moskau, hielt Plakate hoch: «Unser Unwille, die Wahrheit zu wissen, und unser Schweigen machen uns zu Mitschuldigen an Verbrechen», stand auf dem ersten.

Jeder der befreiten Russen sass entweder wegen seiner Oppositionsarbeit oder seiner Kriegskritik, die in Russland so viel schwerer fällt als im sicheren Bonn, im Gefängnis. Die Künstlerin Sascha Skotschilenko musste ins Gefängnis, weil sie im Supermarkt Preisschilder gegen kritische Nachrichten ausgetauscht hatte, Zettel mit winziger Schrift: Das Ergebnis von Putins Lügen, stand auf einem, sei die Bereitschaft der Menschen, «Krieg und sinnlose Tode» zu rechtfertigen.

Motivation für Putin, «mehr Geiseln zu nehmen»

Man kann die Zerrissenheit, die Orlow angesprochen hat, verstehen. Kara-Mursa und Jaschin haben der deutschen Regierung dafür gedankt, dass sie mit dem Austausch Leben gerettet hat. Sie haben aber auch das Dilemma angesprochen, dafür einen Mörder freizugeben. Der Deal motiviere Putin womöglich dazu, «mehr Geiseln zu nehmen», sagt Jaschin und erinnert an die vielen Hundert politischen Gefangenen, die noch in Russland sind. Am Ende betont er: Erst wenn der Krieg in der Ukraine ende, kämen auch mehr Menschen in Russland frei.

Jaschin hatte Ähnliches schon aus dem Gefängnis geschrieben, als er Putin und seinen Wächtern noch ausgeliefert war. «Was den Westen betrifft: Ich denke, er sollte sich darauf konzentrieren, die Ukraine zu retten», hatte er auf eine schriftliche Frage dieser Redaktion geantwortet. «Wenn Sie Russland helfen wollen, retten Sie die Ukraine.»