Konflikt zwischen Russland und Israel«Russische Juden sollen nicht zu Geiseln werden im Ukraine-Krieg»
Die Auswanderung russischer Juden nach Israel nimmt stark zu. Der Kreml will nun die Jewish Agency in Russland verbieten. Israels Regierung ist in Alarmstimmung.
Israel und Russland steuern mit Wucht auf einen diplomatischen Konflikt zu. Grund sind Bestrebungen der russischen Regierung, die Büros der Jewish Agency im Land zu schliessen. Dies wäre ein gezielter Schlag gegen die Auswanderung russischer Juden nach Israel, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich zugenommen hat. Israels Regierung ist in Alarmstimmung. Sie sieht darin auch eine Strafaktion Moskaus gegen die zunehmende Kritik an Russlands Kriegsführung.
Der Streit schwelt dabei schon seit mindestens einigen Monaten. Hintergrund ist die russische Gesetzgebung gegen sogenannte ausländische Agenten: So werden von der Moskauer Regierung Organisationen eingestuft, die Geld aus dem Ausland bekommen oder die angeblich unter ausländischem Einfluss stehen. Zum Ziel werden dabei immer wieder Regierungskritiker und jüngst auch ausländische Medien.
Organisation für jüdische Einwanderung nach Israel
Die 1929 gegründete Jewish Agency ist in Russland seit rund 30 Jahren aktiv und organisiert im Auftrag der israelischen Regierung weltweit die jüdische Einwanderung nach Israel, Alija genannt. Die russischen Behörden werfen der Jewish Agency nun zum Beispiel als Gesetzesverstoss vor, Daten russischer Staatsbürger zu sammeln.
Die israelische Seite war lange bemüht, den Konflikt möglichst unter der Decke zu halten. Ende voriger Woche allerdings ging Russlands Regierung dann von Worten und Warnungen zu Taten über: Das Justizministerium reichte beim Moskauer Bezirksgericht Klage gegen die Jewish Agency ein mit dem Ziel, deren Aktivitäten in Russland zu verbieten. An diesem Donnerstag soll es eine Anhörung geben.
In Israel löste dies hektische Aktivitäten auf höchster Ebene aus. Premierminister Yair Lapid kündigte die Entsendung einer Expertenkommission nach Moskau an mit dem Auftrag, «alles zu unternehmen», um in Verhandlungen mit der russischen Seite das Schlimmste abzuwenden. Die Delegation konnte jedoch nicht wie geplant in der Nacht zu Montag starten, weil eine russische Einreisegenehmigung fehlte.
Ein Kremlsprecher dementierte, dass Moskau verhindern wolle, dass noch mehr «kluge Köpfe» nach Israel abwandern.
Zweimal in den letzten Tagen berief Lapid zudem hochrangig besetzte Krisentreffen ein. Ein Verbot der Jewish Agency in Russland, so erklärte er hinterher, sei ein «schwerwiegendes Ereignis mit Auswirkungen auf die Beziehungen».
Unterdessen geht man in Israel auf Motivsuche für Moskaus Vorgehen. Ein Kremlsprecher hat bereits dementiert, dass Moskau damit verhindern wolle, dass noch mehr «kluge Köpfe» nach Israel abwandern. Der sogenannte Brain-Drain allerdings ist beachtlich: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren bereits in den Neunzigerjahren rund eine Million zumeist gut ausgebildete Juden nach Israel eingewandert und hatten dort unter anderem zum Aufschwung des Hightechsektors beigetragen.
Angesichts des Ukraine-Kriegs ist nun die Zahl der russische Einwanderer wieder steil angestiegen: 17’000 neue Immigranten wurden seit Jahresbeginn gezählt. Das sind doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr. Und es sind 40 Prozent mehr jüdische Einwanderer aus Russland als aus der Ukraine. Noch leben rund 150’000 Juden in Russland, aber dank jüdischer Vorfahren haben bis zu 600’000 Russen die Möglichkeit, einen israelischen Pass zu bekommen. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Oberrabbiner mit Schweizer Wurzeln verlässt Moskau».)
Premier Lapid kritisiert Russlands Krieg
Hinter dem russischen Vorgehen werden vor allem politische Gründe vermutet – es wirkt wie eine Botschaft an Premierminister Lapid. Anders als sein Vorgänger Naftali Bennett, der Präsident Wladimir Putin nicht verprellen wollte, hat sich Lapid bei der Verurteilung des Kriegs eindeutig aufseiten des Westens gestellt, zuletzt beim Besuch des US-Präsidenten Joe Biden vorige Woche in Jerusalem.
Der Druck auf die Jewish Agency wird deshalb nur als ein erster Schritt wahrgenommen, dem weitere russische Massnahmen folgen könnten. Israel fürchtet dabei auch um seine weitgehende Handlungsfreiheit in Syrien, wo regelmässig iranische Stellungen bombardiert werden.
Im diplomatischen Schlagabtausch droht Israel bereits, eine Schliessung der Jewish Agency in Russland nicht ohne Gegenmassnahmen hinzunehmen. Der Ton wird täglich schärfer.
Nachman Shai, Minister für die Diaspora, nannte Russlands Vorgehen «aggressiv» und erklärte: «Russische Juden sollen nicht zu Geiseln werden im Ukraine-Krieg.» Und Natan Sharanski, der in der Sowjetunion als Dissident im Gefängnis gesessen hatte und später die Jewish Agency in Jerusalem leitete, rief alle Juden in Russland auf, nun schnellstmöglich nach Israel zu kommen.
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