AlbumkritikMiley Cyrus ist jetzt Rockgöre
Frauen dominieren schon länger den Pop. Mit überrumpelndem Selbstbewusstsein nimmt Miley Cyrus den Männern jetzt auch noch die breitbeinige Gitarren-Pose.
Der etwas traurige, durch Zigtausende Marketing-Präsentationen gedemütigte Begriff Storytelling beschreibt treffend, wie popkulturelle Positionierungen heute entstehen. Wenn also Miley Cyrus plötzlich ein Rock-Album macht, wenn Supersängerin Taylor Swift von heute auf morgen schwarz-weiss im Wald steht und das Projekt «Folklore» nennt, wenn der sonst siegestrunkene Rapper Capital Bra im Video «Einsam an der Spitze» ein Folteropfer spielt und von der Bitternis des Ruhms singt, dann geht es vor allem darum, dass der Wandel eine neue Geschichte erzählt. Dass neue inhaltliche Twists in den Wikipedia-Eintrag finden.
Boomer erinnern sich, dass es das früher schon gab. Als Peter Maffay Ende der Siebziger auf einmal in Lederjacke auf dem Motorrad sass und vom Steppenwolf sang, war der treibende Gedanke, einen im Schlager fehlverwurzelten Mann endlich auch der Rock-Community nahezubringen. Um solche Crossover-Effekte geht es heute nicht mehr, zumindest nicht hier.
«Plastic Hearts» ist vor allem ein nächstes Kapitel, ein Update fürs Corporate Design.
Das neue Album von Miley Cyrus heisst zwar «Plastic Hearts», was in Wortwahl und Typografie eine überdeutliche Post-Punk-Referenz ist. Das Coverbild, harter Kontrast und pink eingefärbt, stammt von Mick Rock, der in den Siebzigern weltberühmte Hüllen für Lou Reed, Iggy Pop und Syd Barrett fotografierte. Billy Idol und Joan Jett gastieren bei je einem Song – alte Stars also, die schon in der eigenen Zeit eher breit gepinselte, schweissgebänderte Karikaturen waren.
Vielleicht ist es gerade diese völlig überdrehte semiotische Übererfüllung, die eines völlig klarmacht: Hier soll keinesfalls ein neues, total verrocktes Publikum für einen ehemaligen Teeniestar erschlossen werden. «Plastic Hearts» ist vor allem ein nächstes Kapitel, ein Update fürs Corporate Design. Unter anderem auch das Launch-Signal für die neue T-Shirt- und Hosen-Kollektion, die in der Nacht zur Albumveröffentlichung freigeschaltet wurde, mit Motiven im Graffiti-Stil, zwischen Tätowierer-Skizzenbuch und Bahnhofsklokabine.
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Und Miley Cyrus, die Anfang der Woche 28 geworden ist, hat es längst zu einer Art mythischem Pop-Wesen gebracht. Tochter des Country-Schnulziers Billy Ray Cyrus aus Nashville, in den Nullerjahren Protagonistin in der Disney-Jugendserie «Hannah Montana». Seit einem TV-Skandal 2013 ist sie so etwas wie die Gesamtkünstlerin, die Madonna in ihren besten Zeiten war. Die Macher der Dystopie-Serie «Black Mirror» schrieben ihr eine Folge auf den Leib. Sogar Nick Cave sang über sie.
Zwei Coverversionen hatte man zum neuen Werk vorab veröffentlicht – «Heart Of Glass», im Original von Blondie, und «Zombie» von den Cranberries – und beide liessen wenig Gutes ahnen. Miley Cyrus klang hier selbst wie eine Heavy-Knallcharge, wie die von Stadtfestbühnen bekannte Röhre. Die Sorge war grundlos.
Nichts für Fans von Deep Purple
«Plastic Hearts» ist eine souveräne Poprock-Platte: diverse atmosphärische Farben und Härtegrade, dazu Songwriting, das teilweise zumindest so klingt, als hätte es irgendwer im Morgengrauen auf einem Blatt Papier besorgt – obwohl natürlich auch hier wieder die gewohnten Fabrikteams im Einsatz waren.
Auch deshalb zur Sicherheit: Deep-Purple-Fans sollten sich von dieser Musik fernhalten, dafür nimmt «Plastic Hearts» zu viel Bezug auf den für Teenager designten Rock der etwas jüngeren Vergangenheit. Auf Werke von Pink oder Avril Lavigne, die kurz nach dem Millennium erschienen, zu einer Zeit also, als sich gerade die neue Persona des weiblichen Stars herauszubilden begann, die mittlerweile die Gegenwart des Pop dominiert.
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Dass Miley Cyrus 2020 auch klassische Vorbilder wie Debbie Harry von Blondie oder Stevie Nicks von Fleetwood Mac beschwört, dass sie hier zusammen mit Joan Jett das absolut grossartige Glamrock-Stöhn-Duett «Bad Karma» singt, das alles sind allerdings nur kleine Fingerzeige auf die feminine und feministische Tradition im Rock'n'Roll. Denn am Ende ist «Plastic Hearts» ein Album, das sich ganz und gar aus der Gegenwart und Präsenz des weiblichen Pop nährt. Eine Platte, die ein überrumpelndes Selbstbewusstsein ein- und ausatmet.
Miley Cyrus: «Plastic Hearts». RCA Records, 27. November 2020.
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