Regierungskrise in DeutschlandGrüne schicken Habeck ins Rennen um das Kanzleramt
Die Grünen schicken Robert Habeck mit einem starken Ergebnis in die Bundestagswahl. Offen bleibt, mit welchen Inhalten die Partei in den Wahlkampf geht.
Lange schon gibt es keinen Zweifel an den Ambitionen von Robert Habeck – nun wurde er auch offiziell zum Grünen-Kanzlerkandidaten gekürt. 96,5 Prozent der Delegierten stimmten am Sonntag auf dem Parteitag in Wiesbaden für die Kandidatur des Wirtschaftsministers. «Ich will Verantwortung suchen und tragen – mit der Erfahrung, die ich gesammelt habe», bekräftigte Habeck in seiner Bewerbungsrede.
Er wolle Verantwortung übernehmen «vor allem für die Menschen in Deutschland», sagte der 55-Jährige. «Und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt.» Habeck sprach in seiner gut einstündigen, immer wieder von Jubel und Applaus unterbrochenen Bewerbungsrede von grossen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem zunehmenden Populismus, für die andere Parteien keine Lösungen hätten. Deshalb brauche es die Antworten der Grünen.
Habeck gilt innerhalb seiner Partei als ausgewiesener Realpolitiker. In den Vordergrund stellt er die Bündnisfähigkeit der Partei in der politischen Mitte. «Wir müssen Brücken bauen» und «einigungsfähig sein», sagte er auch in seiner Parteitagsrede. Der Vizekanzler wirbt dabei für eine politische Kultur, bei der die konstruktive Suche nach Lösungen im Vordergrund steht. Dies sei sein Angebot: «In der Politik zu lernen – wie jeder andere jeden Tag auch».
Der betont realpolitische Kurs Habecks stösst zwar vor allem beim linken Parteiflügel auch auf Widerstand. Äusserungen zum Lieferkettengesetz, das Habeck aussetzen und am liebsten «wegbolzen» möchte, sorgten in den vergangenen Wochen bei manchen für Empörung.
Demonstrative Geschlossenheit am Grünen Parteitag
Auch öffentliche Vorstösse des Klimaschutzministers, bei der Energiewende mit Rücksicht auf die Wirtschaftslage vorerst nicht noch «einen draufzupacken», kamen bei vielen Grünen nicht gut an. Auf dem Parteitag war davon allerdings nichts zu spüren, stattdessen präsentierte sich die Partei in demonstrativer Geschlossenheit.
Für die nötige Rückendeckung soll auch Habecks Vertraute Franziska Brantner sorgen, die zur Parteichefin gewählt wurde. Ihr Ko-Vorsitzender, der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak, hat ebenfalls bereits zugesichert, hinter Habeck zu stehen.
Schon bei der Bundestagswahl 2021 hatte Habeck Interesse für die Kanzlerkandidatur erkennen lassen, diese dann aber seiner damaligen Grünen-Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock überlassen. Nach dem für die Partei eher durchwachsenen Wahlergebnis von 14,8 Prozent erhielt der Vater von vier Kindern in der neuen Ampel-Koalition die Schlüsselposition des Wirtschafts- und Klimaschutzministers und wurde Vizekanzler.
In der neuen Position startete er rasant mit Gesetzespaketen zum Ausbau erneuerbarer Energien. Rasch wurde seine Arbeit aber von der Sicherung der deutschen Energieversorgung nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine überlagert – einschliesslich der zeitweisen Reaktivierung von Kohlekraftwerken und des Baus neuer Flüssiggasterminals. Gleichwohl profilierte sich Habeck in dieser Zeit als Krisenmanager.
Habeck muss die Grünen aus dem Umfragetief bringen
Ein schwerer Rückschlag kam 2023 mit der verunglückten Präsentation des sogenannten Heizungsgesetzes, das die Energiewende auch im Gebäudebereich vorantreiben soll, und dem Verlust seines Staatssekretärs und Vertrauten Patrick Graichen nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft. Seither kämpft Habeck darum, sein Image durch pragmatische Sacharbeit wieder zu verbessern. Als Kanzlerkandidat muss er nun versuchen, die Grünen aus ihrem Umfragetief herauszubringen.
Habeck hat für einen Spitzenpolitiker eine eher ungewöhnliche Biografie. Er studierte Philosophie, promovierte über «Die Natur der Literatur» und arbeitet gemeinsam mit seiner Frau als Schriftsteller. Relativ spät wagte er zunächst auf kommunaler Ebene den Einstieg in die Politik, legte dann aber bei den Grünen eine steile Parteikarriere hin.
Schon 2004 wurde Habeck Grünen-Vorsitzender in Schleswig-Holstein, nach der Wahl 2009 Fraktionsvorsitzender im Landtag in Kiel. 2012 wurde er Landesminister für Umwelt und Energiewende sowie stellvertretender Ministerpräsident. Dieses Amt behielt der gebürtige Lübecker, der mit seiner Familie nahe der dänischen Grenze lebt, auch in der 2017 in Schleswig-Holstein gebildeten Jamaika-Koalition.
Nur ein Jahr später wurde Habeck an der Seite von Baerbock zum Grünen-Bundesvorsitzenden gewählt. Nun steht er vor seiner bislang grössten Herausforderung.
AFP/step
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