Pottwal, Weisser Hai, MönchsrobbeDie faszinierendsten Tiere im Mittelmeer
Zwei riesige Walarten, extrem seltene Robben und der grösste Raubfisch der Welt teilen sich einen einzigartigen Lebensraum.

Auf den ersten Blick mag das Mittelmeer vergleichsweise übersichtlich erscheinen. Mit seinen 2’510’000 Quadratkilometern macht es schliesslich nur 0,7 Prozent der weltweiten Meeresoberfläche aus. Doch das Mare Nostrum, «Unser Meer», wie es die Römer nannten, ist mehr als eine grosse Badewanne für Feriengäste. Es ist ein einzigartiger Lebensraum für faszinierende Meeresbewohner.
Die grössten Bewohner
Das grösste Lebewesen im Mittelmeer ist der bis zu 27 Meter lange Finnwal. Der planktonfressende Bartenwal kommt vorwiegend im nordwestlichen Mittelmeer vor, ebenso wie sein beachtlicher Verwandter, der Pottwal, mit dem charakteristischen eckigen Kopf, der dafür bekannt ist, beim Abtauchen besonders eindrucksvoll seine Schwanzflosse zu zeigen. Die beiden sind die grössten Vertreter der insgesamt elf Wal- und Delfinarten, die im Mittelmeer leben. Sie ziehen vom Gebiet zwischen Spanien und den Balearen zu einer besonders nahrungsreichen Region vor der ligurischen Küste.
Zwar ist der Finnwal der schnellste Schwimmer unter den Walen und konnte in ferner Vergangenheit mit einer Geschwindigkeit von bis zu 47 Kilometern pro Stunde seinen Jägern entfliehen – jedoch nur bis zur Erfindung des Dampfschiffs. Heute ist das Mittelmeer eines der am meisten befahrenen Meere der Welt. «Schiffskollisionen sind die hauptsächliche Todesursache für die beiden Walarten», sagt Nicolas Entrup, Direktor für internationale Zusammenarbeit bei der Umweltschutzorganisation Oceancare. «Finnwal und Pottwal kommen an die Oberfläche, um sich dort auszuruhen, sie haben so gut wie keine Chance, wenn Schiffe mit 20 Knoten (37 km/h) angefahren kommen», sagt Entrup.
Hotspot für Kollisionen zwischen Walen und Schiffen
Wegen der Kollisionen und anderer Faktoren wie der Überfischung und Verschmutzung des Mittelmeers sinkt die Anzahl der Wale beständig. Allein in den letzten 20 Jahren hat sich die Finnwalpopulation halbiert, von 3500 Tieren auf heute nur noch 1800. «Das ist extrem bedenklich», sagt Entrup.
Es gibt fünf Regionen, wo besonders häufig Schiffskollisionen vorkommen, einer dieser «Hotspots» ist das gesamte nordwestliche Mittelmeer inklusive des Wal-Migrationskorridors vor Spanien. «Dort haben wir einen Durchbruch erzielt», freut sich Entrup. Für diese Region hat die internationale Schifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (IMO) Anfang 2024 die weltweite erste Schutzzone eingerichtet, um die Zahl der Walkollisionen zu senken. So steht nun der Wal-Migrationskorridor unter speziellem Schutz, ebenso wie das Pelagos-Schutzgebiet, das wie ein Dreieck zwischen den Küsten Monacos, der Côte d’Azur, Liguriens, der Toskana und der Nordküste Sardiniens liegt. Es gehört zum Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Spami). Bisher ist die Verpflichtung, das Tempo der Schiffe dort auf 10 bis 13 Knoten zu drosseln, jedoch freiwillig.

Ein anderer Hotspot liegt im östlichen Mittelmeer vor der griechischen und türkischen Küste. Dort lebt eine zweite Population der insgesamt 2000 Pottwale des Mittelmeers, die vermutlich nur noch weniger als 200 Tiere umfasst. Im hellenischen Tiefseegraben, im Ionischen Meer, befindet sich mit 5100 Metern die tiefste Stelle des Mittelmeers. Pottwale können mehr als 1000 Meter tief tauchen und so nach ihrer bevorzugten Nahrung, den Tintenfischen, jagen. In dieser Region finden sie – wie auch die tieftauchenden Cuvier-Schnabelwale und weitere Meeresbewohner – optimale Lebensbedingungen vor.
Allerdings führt genau dort eine vielbefahrene Schifffahrtsroute durch – mit 30’000 Frachtschiffen pro Jahr. Dennoch seien dort die Wale einfacher zu schützen, sagt Entrup. «Es gibt Ausweichrouten, die nur wenige Seemeilen länger sind als der direkte Weg.» Einige Schifffahrtsunternehmen, darunter MSC Cruises, haben sich verpflichtet, das Walgebiet zu umfahren.
Spezielle Bojen leiten Laute von Pottwalen weiter
Oceancare hat zudem das spezielle Warnsystem Save Moby entwickelt, das Schiffen in Echtzeit anzeigt, wenn Pottwale in der Nähe sind. Pottwale haben die lauteste Stimme im Ozean. Sie geben Klicklaute mit einer Stärke von bis zu 230 Dezibel ab – ein Presslufthammer macht 120 Dezibel Lärm. Speziell entwickelte Bojen empfangen die Walgeräusche und geben dann ein Signal an sich nähernde Schiffe weiter. «Die griechische Regierung plant, dieses System künftig in der Strasse von Kythira, also zwischen dem Peloponnes und Kreta, einzusetzen», sagt Entrup. In der Meerenge können die Schiffe nicht ausweichen.
Tote Pottwale, die immer wieder in Griechenland oder der Türkei angespült werden, zeigen in mehr als 50 Prozent der Fälle Verletzungen wegen Kollisionen. «Im letzten Jahr haben wir keine angeschwemmten Pottwale erfasst», sagt Entrup. Im Gegenteil, die Beobachter der griechischen Forschungseinrichtung Pelagos haben in der Zeit ungewöhnlich viele Jungtiere im östlichen Mittelmeer gezählt. Es sei aber noch zu früh, von einem Erfolg zu sprechen, sagt Entrup. «Wir sehen erst in einigen Jahren, ob die Jungtiere überleben und sich vermehren.» Pottwale werden erst mit 9 (Weibchen) oder 18 Jahren (Männchen) geschlechtsreif und bekommen nur alle 5 Jahre Nachwuchs.
Von den elf im Mittelmeer lebenden Wal- und Delfinarten stehen nur zwei nicht auf der Roten Liste, wo gefährdete bis vorm Aussterben bedrohte Arten erfasst sind: der grosse Tümmler, bekannt aus dem Film «Flipper», und der Streifendelfin, der Beobachter mit Saltos und hohen Sprüngen verblüfft.
Die seltensten Bewohner

Ein positives Beispiel, dass Schutzzonen helfen können, zeigt sich bei einem der seltensten Säugetiere Europas, der Mittelmeer-Mönchsrobbe. Vermutlich gibt es nur noch 500 Tiere, die im östlichen Mittelmeer in griechischen und türkischen Gewässern leben. Einst besiedelten die mit den Seehunden verwandten Tiere die Küsten rund ums Mittelmeer in Kolonien. Doch die ausgedehnte Jagd nach ihnen wegen des Fleischs, Fells und Öls, und weil sie angeblich den Fischern die Beute wegfrassen, machte ihnen fast den Garaus. Der Bestand war im Jahr 1985 so niedrig, dass sie zwischenzeitlich zu einer der zwölf weltweit bedrohtesten Tierarten gehörten.
Vielleicht gibt es aber noch einige Tiere mehr, denn derart seltene Meeresbewohner sind schwer zu zählen. Herkömmliche Methoden, etwa mit Schiff und Feldstecher, werden zwar auch heute noch angewendet, zudem setzen Forschende aber auch auf moderne Techniken. Zum Beispiel haben Freiwillige in einem Citizen-Science-Projekt unter Leitung von Elena Valsecchi von der Universität Mailand-Bicocca in Wasserproben nach DNA-Spuren der Tiere gefahndet, sogenannte Umwelt-DNA (e-DNA).
Dabei fanden sie überraschend häufig Hinweise auf Mönchsrobben, etwa in den Gewässern vor den Balearen, wo in über 20 Jahren nur vier Mönchsrobben gesichtet worden waren. Das Team machte sechs Gebiete aus, wo Mönchsrobben ausserhalb des bekannten Lebensraums im östlichen Mittelmeer wieder aktiv sein könnten. Diese Orte ähneln den früheren Lebensräumen der Tiere, schreiben die Forschenden in einer Veröffentlichung in «Scientific Reports» vom letzten Jahr.
Die furchterregendsten Bewohner

Im Mittelmeer tummeln sich schätzungsweise 45 Haiarten, von denen 15 Arten häufig vorkommen. Dazu gehören die kleineren Exemplare wie etwa der ein Meter lange Dornhai, der am häufigsten ist. Er tritt in Schwärmen mit vielen Tausend Tieren auf. Beeindruckend sind zudem Blauhaie, die vor Mallorca gesichtet werden, Fuchshaie mit ihrer besonders grossen Schwanzflosse und sogar Hammerhaie mit der bizarren Kopfform.
Aber die meiste Aufmerksamkeit erregt stets der grösste Raubfisch der Welt, der auch im Mittelmeer heimisch ist: der Weisse Hai. Und sogar eines der grössten jemals gefundenen Exemplare stammt von dort, genauer aus maltesischen Gewässern. Am 17. April 1987 fing der Fischer Alfredo Cutajar ein trächtiges Weibchen, das über sieben Meter lang gewesen sein soll.
Weisse Haie kommen im gesamten Mittelmeer vor. Sie werden aber häufig vor der tunesischen Küste gefangen und bei der Jagd auf Thunfisch in der Strasse von Sizilien. Wie der Weisse Hai vor 250’000 Jahren ins Mittelmeer kam, ist eine kuriose Geschichte: Möglicherweise hat sich damals ein oder haben sich wenige trächtige Weibchen verschwommen. Weisse Haie gebären stets an ihrem eigenen Geburtsort ihre Jungen.
«Versehentlich in die Strasse von Gibraltar abgebogen»
Die Weissen Haie im Mittelmeer sind genetisch mit den vor Australien lebenden verwandt. «Wahrscheinlich sind einige Tiere von Südafrika aus nach Norden gereist, anstatt mit einer Strömung nach Australien zurückzukehren, und dann versehentlich in die Strasse von Gibraltar abgebogen», sagt Leslie Noble von der Nord-Universität in Norwegen. Der Haiforscher hat zusammen mit Kollegen und Kolleginnen vor Jahren die genetischen Analysen dazu durchgeführt. Derzeit untersucht er mit seinem Team, ob sich Weisse Haie aus dem Mittelmeer mit Artgenossen aus dem Atlantik paaren.
Während die Weissen Haie einst im Mittelmeer weitverbreitet waren, sind die Zahlen in den letzten 50 Jahren dramatisch zurückgegangen. Es ist aber nicht genau bekannt, wo sich die verbliebenen Weissen Haie aufhalten, wohin sie wandern, wo sie ihre Jungen zur Welt bringen und wie viele es von ihnen tatsächlich noch gibt. Auch sie sollen nun mithilfe von Umwelt-DNA aus Wasserproben aufgespürt werden.
«Die Weissen Haie im Mittelmeer müssen dringend geschützt und besser erforscht werden», fordert Leslie Noble. Sollten die Räuber an der Spitze der Nahrungskette aussterben, wird das gesamte Ökosystem instabil.
Angst vor den Weissen Haien müssten Touristen nicht haben. «Die Wahrscheinlichkeit, im Mittelmeer von einem Weissen Hai angegriffen zu werden, ist um ein Vielfaches geringer als das Risiko, auf dem Weg zum Strand von einem Auto angefahren zu werden», sagt der Forscher.
Dabei sind Weisse Haie zwar gross, aber es gibt noch einen gigantischeren Vertreter der Gruppe im Mittelmeer: den Riesenhai. Von ihm geht hingegen kaum eine Gefahr aus. Der mit bis zu zwölf Metern Länge zweitgrösste Fisch der Welt – nach dem Walhai – ist ebenso friedlich wie dieser als Planktonfresser unterwegs. Der Riesenhai wird im Frühjahr öfter im nordwestlichen Mittelmeer gesichtet, scheint je nach Saison in den Gewässern um Sardinien zu leben und taucht sporadisch in der Adria auf.
Über die genaue Verbreitung und Zahl der geschützten Tiere ist jedoch nicht genug bekannt. Auch seine Verbreitung muss genauer erforscht werden. «Derartige Informationen könnten helfen, dass die Tiere vor Fischernetzen geschützt werden, wo sie allzu häufig verenden», sagt Noble.
Für Nicolas Entrup von Oceancare gehen die Schutzmassnahmen für die faszinierenden Lebewesen im Mittelmeer zwar voran – aber viel zu langsam. «Wir sehen noch nicht genug, dass der negative Trend aufgehalten werden kann.»
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