Britischer Premier in ZeitnotSunak will Flüchtlinge deportieren und findet keine Airline – nun droht grösserer Ärger
Mit aller Macht versucht Rishi Sunak, sein Projekt der massenhaften Abschiebung von Asylsuchenden nach Ruanda innert Tagen durchzudrücken. Doch da gibt es Hindernisse.
Nichts scheint sich der britische Premier Rishi Sunak sehnlicher zu wünschen als die Verfrachtung einer ersten – und sei es winzigkleinen – Gruppe von Flüchtlingen nach Ruanda. Seit zwei Jahren schon bereitet man in London die Deportation unerwünschter Asylbewerber in den ostafrikanischen Staat vor, und bisher hat man keinen einzigen Flug nach Kigali abheben sehen.
Dabei drängt die Zeit. Sunak hat seinen Wählern versprochen, über die Drohung mit Ruanda all die unerlaubt über den Ärmelkanal kommenden «kleinen Boote» zu stoppen und der Nation «illegale Migranten» vom Leib zu halten. Aber es ist ein leeres Versprechen geblieben bisher. Letzten Umfragen zufolge wachsen die Zweifel an einem Erfolg des Ruanda-Plans von Sunak.
Allein am letzten Wochenende sind fast 750 Menschen in Booten über den Kanal gekommen. Aufs Jahr gerechnet, könnten das 55’000 Neuankömmlinge werden – nicht weniger als im Vorjahr, sondern wesentlich mehr.
Gerichte stoppten Sunaks Deportationspläne
Dabei hatten sich die britischen Konservativen so viel erhofft von ihren Ruanda-Plänen. Radikaler als alles «drüben auf dem Kontinent» nahm sich die Idee aus. Wer ohne Erlaubnis über den Kanal setzte, war automatisch «illegal» und hatte keinerlei Anspruch darauf, auch nur einen Aufnahmeantrag auf Asyl zu stellen. Ihren Antrag sollten die Migranten gefälligst in Ruanda einreichen, wohin man sie postwendend befördern würde von England aus.
Eine Rückkehr von dort nach Grossbritannien war ausgeschlossen. Hunderte von Millionen Pfund offerierte die britische Regierung der ruandischen dafür, dass sie sich mit der leidigen Angelegenheit nicht länger herumschlagen musste. Als Wahlschlager betrachtete erst Boris Johnson und danach Rishi Sunak diese «britische Lösung» des Migrationsproblems.
Zornige Proteste begleiteten die Tory-Pläne allerdings von Anfang an. Und just als im Juni 2022 die erste Maschine nach Ruanda mit Asylsuchenden beladen werden sollte, stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer einstweiligen Verfügung die Aktion. Im November 2023 erklärte dann auch Grossbritanniens Oberstes Gericht diese Politik für ungesetzmässig – weil Ruanda nach Ansicht der Richter Flüchtlingen «nicht die nötige Sicherheit» bot.
Auf dieses Urteil reagierten Sunak und seine Minister ebenso prompt wie entrüstet. Sie brachten im Dezember im Unterhaus ein neues «Gesetz zur Sicherheit Ruandas» ein, dessen Aufgabe es war, den Gerichtsspruch per Parlamentsbeschluss ausser Kraft zu setzen.
Das neue Gesetz bestimmte ganz einfach, dass Ruanda «sicher» war – egal was die Gerichte glaubten – und dass die geplante Massenabschiebung, ungeachtet irgendwelcher juristischer Einsprüche, stattfinden konnte. Nach den Richtern begehrten aber auch die Lords und Ladys des Oberhauses, die Mitglieder der buntgewürfelten zweiten Kammer Westminsters, gegen den Plan auf. Diesen kommt bei der Beratung neuer Gesetzesvorlagen ein gewisses Prüfrecht zu, das die Beschlussfassung verzögern kann und manchmal zu Änderungen führt.
Viele dieser Parlamentarier, die den Plan zutiefst unmoralisch fanden, kamen in den letzten Wochen mit radikalen Änderungsvorschlägen. Sie versuchten auf verschiedenen Wegen, die regierungsamtliche Behauptung zu erschüttern, Ruanda sei «ein sicheres Land» und Einspruch unmöglich.
Pingpong zwischen britischem Ober- und Unterhaus
Besonders scharfe Kritik rief im Oberhaus die Tatsache hervor, dass die Regierung sogar Personen, die zum Beispiel in Afghanistan an der Seite der Briten gekämpft oder diese in irgendeiner Form unterstützt hatten, nach Ruanda abschieben wollte. Aber ein ums andere Mal lehnte die Tory-Mehrheit im Unterhaus die Änderungswünsche des Oberhauses wieder ab.
Und diese Woche geht das «parlamentarische Pingpongspiel» der beiden Kammern in seine letzten Runden. Am Ende kann es nur einen Gewinner geben. Fürs Oberhaus kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo es sich geschlagen geben muss, will es nicht seine eigene Legitimation gefährden. Letztlich steht die Entscheidung der gewählten Kammer zu, also dem Unterhaus.
Premier Sunak glaubt so, ein endgültig verabschiedetes Ruanda-Gesetz binnen weniger Tage endlich König Charles zur Unterzeichnung vorlegen zu können. Damit wäre der Weg frei für die Massendeportation. Wobei immer noch einige Hindernisse auszuräumen bleiben, bevor Abschiebungen möglich werden.
Denn bisher hat die Regierung noch keine Fluggesellschaft finden können, die bereit wäre, die zur Deportation bestimmten Flüchtlinge nach Ruanda zu schaffen. Weder die üblichen Airlines noch die staatseigene ruandische Linie Rwandair wollen mit Sunaks Ruanda-Projekt in Verbindung gebracht werden, weil sie befürchten, dass das ihrem Ansehen nicht zuträglich wäre.
Eilanträge an Gerichtshof für Menschenrechte
Unterdessen hat die ruandische Regierung selbst deutlich gemacht, dass sie mit einer langsamen Anlaufzeit rechnet. Und dass sie im ersten Jahr nicht mehr als 500 Asylbewerber aufzunehmen bereit sei. In London war immer von Zehntausenden die Rede, die man auf diese Weise abschieben könne.
Das grösste Problem aber könnte erst noch auf Sunak zukommen. Flüchtlingsorganisationen und Anwälte bereiten bereits Anträge auf eine neue einstweilige Verfügung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor.
Sollte sich dieses Gericht in den nächsten Wochen erneut querlegen, verlangt die Tory-Rechte schon jetzt den sofortigen britischen Austritt aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Moderate Tories, bis hinein in die höchsten Kabinettsränge, haben denn auch keinen Zweifel daran gelassen, dass sie bei einem solchen Austritt nicht mitspielen würden.
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