Tennis-Hoffnung Leandro RiediEr hört auf, sich fertigzumachen – und wird zum Seriensieger
Der 21-jährige Zürcher hat immenses Potenzial, kämpft aber oft gegen sich selbst. Eine neue Strategie hilft ihm. Auch in Basel gegen den Titelverteidiger?
In kaum einem Sport wird man so sehr auf sich zurückgeworfen wie im Tennis. Man ist nicht nur auf dem Court allein, sondern auch am Abend im Hotelzimmer. Die Deutsche Andrea Petkovic fand, irgendwo unterwegs in der Tenniswelt, in den Figuren der Bücher, die sie las, treue Begleiter. Leandro Riedi hat einen neuen besten Freund gefunden, der ihm das Leben auf der Tour angenehmer macht: sich selber.
Dass es so nicht mehr weitergehen kann, dämmerte ihm Ende letzten Jahres. Er hatte sich im November zum zweiten Mal von Coach Yves Allegro getrennt, und der sprach Klartext mit ihm. Er müsse endlich lernen, sich nicht immer selber so unter Druck zu setzen und fertigzumachen, sagte der Walliser. Sonst bringe er es nirgendwohin. «Die Worte von Yves waren für mich wie ein Schlag ins Gesicht», sagt Riedi. «Aber dann realisierte ich: Er hat recht.»
«Ich merkte: Wenn ich so bin, gebe ich mir die beste Chance im Leben.»
Allein reiste Riedi ans Challenger-Turnier in Helsinki und versuchte da, netter zu sich zu sein. «Ich sagte mir: Ich muss mich unterstützen, denn sonst tut es niemand. Ich bin immer sehr lieb zu meinen Doppelpartnern. Also nahm ich mir vor, mich zu behandeln wie meine Doppelpartner. Mein erster Match war gar nicht gut, trotzdem blieb ich positiv und merkte: So macht es richtig Spass. Plötzlich war ich mein bester Freund. Und ich merkte: Wenn ich so bin, gebe ich mir die beste Chance im Leben. Nicht nur auf dem Platz, auch daneben.»
Dass es ihm gleich so gut laufen würde, überraschte ihn dann aber doch. Er gewann als Qualifikant das Turnier in Helsinki und in der folgenden Woche auch jenes im italienischen Andria. Mit zwölf Siegen in Serie schloss er die Saison ab und stiess in der Weltrangliste von Rang 277 auf 157 vor. Er sagt: «Ich bin Yves heute noch dankbar für jenes Gespräch. Er hat mir die Augen geöffnet. Ich merkte: Ich muss mich ändern, ich muss netter sein mit mir.»
Es gelingt ihm nicht immer. «Vor allem in den Trainings bin ich manchmal noch viel zu hart mit mir», sagt er. «Es ist schon gut, wenn man ehrgeizig ist. Aber man kann es auch übertreiben. Du musst dir immer positive Energie geben. Egal, was du falsch gemacht hast. Ich werde je länger, desto besser darin. Ich bin mir ein besserer Freund als vor sechs Monaten.»
Bänderriss, Stressfraktur, Rücken
Das half ihm auch in dieser schwierigen, von Rückschlägen geprägten Saison. «Wenn ich spielte, spielte ich meist gut», sagt Riedi, momentan die Weltnummer 162. «Aber leider bremste mich mein Körper immer wieder. Ich spielte nur 13 Turniere, und es ist schon Ende Oktober. Das ist wenig.»
Anfang Jahr erlitt er einen Bänderriss im linken Fuss. Im März fiel er mit einer Stressfraktur im linken Fuss zwei Monate aus. Und nachdem er Mitte September in Manchester sein Davis-Cup-Debüt gegen Andy Murray gegeben hatte, streikte der Rücken.
«Wie er gegen mich retournierte, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Wir trauten alle unseren Augen nicht.»
Riedi unterlag dem Schotten vor 9000 Zuschauern nach grossem Kampf in drei Sätzen. «Ich war mental voll dabei und überzeugt, ich würde gewinnen», sagt er. «Danach war ich am Boden zerstört. Aber im Nachhinein merkte ich: Das war ein Riesenmatch und eine sehr wertvolle Erfahrung.»
In Basel auf Riedi angesprochen, sagt Murray: «Wie er gegen mich retournierte, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Mit voller Power bei jedem Return, mit vollem Risiko. Wahrscheinlich braucht er noch etwas mehr Konstanz von der Grundlinie. Die Jungen wie er, die sehr aggressiv spielen, müssen die Balance finden. Sie müssen ihren Instinkten folgen und offensiv spielen. Aber manchmal darf man dem Gegner auch die Chance geben, den Fehler zu begehen. Jedenfalls trauten wir alle unseren Augen nicht, wie gut er retournierte. Das war sehr eindrücklich.»
Doch eben: Statt den Schwung auf der Challenger-Tour weiterzuziehen, musste Riedi wieder pausieren. Seit einer guten Woche ist er wieder voll fit und dank einer Wildcard in Basel dabei, wo er heute Mittwoch (ab 18 Uhr) Vorjahressieger Félix Auger-Aliassime fordert.
Riedi war acht, als er mit seinem Vater erstmals die Swiss Indoors besuchte und vor dem Pokal posierte. «Ich schaute bei der Qualifikation zu, auf einmal kam Roger zum Training, und es entstand ein Riesenrummel», erinnert er sich. Nun steht er in der St. Jakobshalle erstmals im Mittelpunkt.
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