Er provoziert, um aufzurüttelnJetzt reicht es Wawrinka
Der Romand greift nicht nur auf dem Court an wie diese Woche in Basel, er prangert auch die Missstände im Tennis an. Dabei schreckt der 38-Jährige vor niemandem zurück.
Über 20 Jahre ist es her, als Stan Wawrinka im Juli 2003 in Gstaad auf der Profitour debütierte. Inzwischen 38, tritt er zum 16. Mal an den Swiss Indoors an. Er hat alles gesehen im Tenniszirkus und fast alles erreicht: Er ist dreifacher Grand-Slam-Sieger, Davis-Cup-Champion, Olympiasieger im Doppel. So sehr er den Spätherbst seiner Karriere auskostet, wo ihm überall Applaus entgegenbrandet, so frustriert ist er über die Entwicklung in diesem Sport. Er sagt: «Die Jahre vergehen, und es ändert sich nichts. Oder nein, es ändert sich etwas: in die falsche Richtung.»
Nun reicht es dem Romand. Am Davis-Cup in Manchester filmte er kürzlich vor der ersten Begegnung gegen Frankreich die gähnend leere Halle und verbreitete das Filmchen in den sozialen Medien mit dem Kommentar: «Danke, Gerard Piqué und ITF.»
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Der spanische Welt- und Europameister im Fussball, der den Team-Wettbewerb mit seiner Vermarktungsfirma Kosmos übernommen und das neue Format eingeführt hatte, antwortete, er sei nicht mehr zuständig. Jetzt sei allein der Internationale Tennisverband (ITF) in der Verantwortung. Letztes Jahr sei die Gruppenphase unter ihm noch ein Erfolg gewesen. Worauf Wawrinka konterte: «Wenn es ein solcher Erfolg war, ist es schwer, zu verstehen, wieso der 25-Jahres-Vertrag nach fünf Jahren aufgelöst wurde.»
«Ich versuche, meine Position bestmöglich auszunutzen.»
Wawrinka ist zum Provokateur geworden, der die Dinge klar anspricht, um aufzurütteln. Und der sich vor keinem scheut. Seine Stimme hat Gewicht, er geniesst in der Szene eine breite Akzeptanz, steht für Glaubwürdigkeit und Hingabe für diesen Sport. Er sagt: «Ich versuche, meine Position bestmöglich auszunutzen, um einige Dinge zu verändern. Damit die nächste Generation in 20 Jahren nicht in der gleichen Position ist wie wir jetzt.»
Dabei bekommt der Internationale Tennisverband unter der Führung des Amerikaners David Haggerty oft sein Fett weg. «Wer den Davis-Cup gespielt hat, wie er früher war, für den ist das neue Format eine Katastrophe», sagt Wawrinka. Gruppenspiele mit vier Nationen an einem Ort, wo nur der Gastgeber Publikum mobilisiert, sind für den Romand ein No-go.
Umstrittener Davis-Cup
«Ich war von Anfang an dagegen. Nun, da ich es selber erlebt habe, wurde ich darin bestätigt. Und trotzdem wollen sie so weiterfahren. Dass die Meinung der Spieler nicht eingeholt wurde, ist ein Hohn. Ich sage nicht, wir müssten entscheiden. Aber man könnte wenigstens mit uns reden.»
Wenn Wawrinka über den Davis-Cup spricht, hört man hin. Denn er weiss, wovon er redet. Er war fast immer verfügbar, spielte 27 Begegnungen für die Schweiz und führte sie 2014 in Lille zum Titel. Vor leeren Rängen zu spielen, da blutet sein Herz. Und obschon der Deal mit Piqué und Kosmos zum Debakel wurde und nun die Gerichte entscheiden müssen, wer wem noch Geld schuldet, wurde Haggerty kürzlich mit grossem Vorsprung für vier weitere Jahre zum ITF-Präsidenten gewählt.
«Wenn ich nur eine Sache ändern könnte, dann wäre das der Kalender. Es ist einfach zu viel.»
Wawrinka nervt sich, dass die Spieler nichts zu sagen haben. Sie sollen einfach spielen – und das vorzugsweise ohne Pause. «Wenn ich nur eine Sache ändern könnte, dann wäre das der Kalender. Es ist einfach zu viel. Die Saison ist zu lang, zu intensiv, ständig gibt es Turniere, ein Match jagt den anderen. Es bräuchte eine richtige Pause. Das würde nicht nur den Spielern guttun, sondern allen, auch den Fans.»
Die Diskussion ist nicht neu, doch statt weniger gibt es immer mehr. Die Masters-1000-Turniere in Rom, Madrid und Shanghai wurden von sieben auf zwölf Tage ausgedehnt, analog zu Indian Wells und Miami. Die Grand Slams werden von 14 auf 15 Tage verlängert, weil ein zusätzlicher Sonntag viel Geld in die Kassen spült.
Alle wollen immer mehr. Doch die Spieler sind keine Roboter. Wenn die nächsten Stars wie Carlos Alcaraz, der Basel verletzt verpasst, Holger Rune und Jannik Sinner ähnlich lange Karrieren haben wollen wie die grossen drei, werden sie gezielt verzichten müssen. Doch das will gelernt sein.
Die Sache mit den Bällen
Ein Thema, das Wawrinka auch nervt, sind die unterschiedlichen Bälle von Woche zu Woche: «Im Moment spiele ich vier Wochen hintereinander an vier verschiedenen Turnieren mit vier verschiedenen Ballmarken. Das sind vielleicht Kleinigkeiten für Aussenstehende, aber das sind Dinge, die sich leider auf den Körper auswirken, vor allem mit den Jahren. Die Folgen sieht man: Viele der neuen Generation sind regelmässig verletzt. Nicht nur deswegen, wegen vieler Dinge.»
Wawrinka hofft, dass bald auch die Jungen ihre Stimme finden in tennispolitischen Angelegenheiten. Denn vieles läuft falsch. Solange er noch spielt, wird er diese Dinge anprangern. Mit der gleichen Konsequenz, wie er seine einhändigen Rückhandbälle longline ins Eck setzt.
Und er hat noch lange nicht vor, das Racket an den Nagel zu hängen. Am Samstag sprach er davon, noch «mehrere Jahre» seine Reisen durch die Tenniswelt zu geniessen. Die Tennis-Oberen müssen sich also warm anziehen.
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