Neue Studie zum GlaubenMacht Religion womöglich gar nicht glücklich?
Menschen, die an Gott glauben, seien zufriedener, heisst es immer wieder. Nun hat ein Psychologe nachgerechnet – und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

- Eine Langzeitstudie hat den Einfluss von Religion auf das Glück untersucht.
- Die positiven und negativen Effekte von Glauben könnten sich demnach aufheben.
- Das Einkommen hat 130 Prozent grösseren Einfluss auf Lebenszufriedenheit als Religion.
- Die Studie zeigt auch mögliche Gründe für eine verzerrte Wahrnehmung von Religion.
Irgendwo da oben wacht eine göttliche Wesenheit über das Schicksal der Menschen. Ein gütiges Geschöpf, das die Geschicke jedes Einzelnen auf der Erde leitet und in diesem Sinne auch für das Glück der Menschen zuständig ist. Und tatsächlich: Zahlreiche Studien scheinen diese Aussagen zu betätigen. Sie legen nahe, dass religiöse Menschen glücklicher durch ihr Leben schreiten als Atheisten, Agnostiker oder anders Zweifelnde.
Doch wenn Religiosität die generelle Lebenszufriedenheit erhöht, warum wenden sich dann so viele Menschen weltweit von der organisierten Religion ab? Diesen Umstand bezeichnete der Glücksforscher Ed Diener in einer Studie aus dem Jahr 2011 als das «Religionsparadoxon»: Ist ja auch seltsam – die guten, glückspendenden Dinge sollten die Menschen doch begeistern statt verschrecken. Oder?
Der Psychologe Gabriele Prati von der Universität Bologna präsentiert im Fachjournal «Psychology of Religion and Spirituality» nun eine mögliche Auflösung für das von Ed Diener postulierte Paradoxon: Womöglich ist es mit der glückspendenden Wirkung der Religiosität nämlich gar nicht so weit her. Die Ergebnisse legen nahe, dass der direkte Effekt von Religiosität für das Wohlbefinden keine praktische Relevanz habe, schreibt der Psychologe in seiner Studie.
Langzeitstudien zeigen keinen relevanten Einfluss von Religion
Zwar lasse sich ein statistisch signifikanter Effekt identifizieren, allerdings sei dieser so klein, dass er mehr oder weniger irrelevant erscheine. Mit anderen Worten: Die Menschen würden sich demnach auch deshalb von der organisierten Religion abwenden, weil diese sie mitnichten mit tiefem Glück erfülle.
Für ihre aktuelle Arbeit wertete Prati riesige internationale Studien aus. Zum einen analysierte er die Datensätze von fast 650’000 Probanden aus 115 Ländern, die zwischen 1981 und 2021 in regelmässigen Abständen für den European Value Survey (EVS) und den World Value Survey (WVS) umfangreiche Auskunft gegeben hatten. Zudem flossen die Analyse der Wisconsin Longitudinal Study (WLS), der Survey of Health, Ageing, and Retirement in Europe (SHARE) sowie der Midlife in the United States (MIDUS) mit mehreren 10’000 Teilnehmern in die Arbeit ein.
Diese Langzeitstudien bieten den Vorteil, dass die gleichen Probanden immer wieder befragt werden und so Veränderungen im Leben einzelner Menschen erstens identifiziert und zweitens mit potenziellen Einflussfaktoren erklärt werden können.
Das Einkommen ist für Zufriedenheit wichtiger
Die Auswertung ergab zwar, dass sich ein positiver Effekt von Religiosität auf die generelle Lebenszufriedenheit beziehungsweise das Glücksempfinden nachweisen lässt. Dieser sei aber, so Prati, winzig und vermutlich von lebenspraktischer Irrelevanz. Um diese Aussage greifbarer zu machen, zieht der Psychologe einen Vergleich heran: Der Einfluss von Einkommen auf die Lebenszufriedenheit sowie auf das Glücksempfinden (in diesem Fall wird unterschieden) sei um 150 beziehungsweise 130 Prozent grösser als der entsprechende Effekt von Religiosität.
Unzweifelhaft spiele Religion im Leben sehr vieler Menschen eine wichtige Rolle, schreibt Prati. Dies bedeute aber nicht automatisch, dass Religion auch einen direkten und bedeutsamen Einfluss auf das Wohlbefinden habe.
Antrieb für die Studie des Psychologen Prati war es, die Stärke des postulierten positiven Effekts von Religiosität auf das Glücksempfinden zu quantifizieren. Das nämlich, so das Argument des Wissenschaftlers von der Universität Bologna, sei in den zahlreichen Studien zum Thema bislang nicht gemacht worden. Stattdessen hätten diese Publikationen lediglich auf die statistische Signifikanz des Zusammenhangs geachtet. Heisst: Die Arbeiten haben im Wesentlichen nur gezeigt, dass da etwas wirkt oder wirken sollte – nicht aber, wie stark dieses Etwas das Glücksempfinden beeinflusst.
Heben sich positive und negative Effekte von Religion auf?
Dazu komme, so Prati, dass grosse Metaanalysen zur Wirkung von Religiosität auf die Lebenszufriedenheit durch den sogenannten Publication Bias verzerrt seien: Studien ohne aufregende Ergebnisse wie etwa ein Null-Effekt sind zwar wissenschaftlich relevant, lassen sich aber nicht leicht publizieren und werden deswegen oft niemals bekannt.
Am Ende fehlen sie dann aber, wenn viele Arbeiten in Metaanalysen zusammengefasst und als Paket neu ausgewertet werden. Das verzerrt natürlich das Ergebnis – in diesem Fall wohl in die Richtung, dass ein Effekt übertrieben wird.
Woran könnte es nun liegen, dass der Glaube einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat? Prati weist unter anderem darauf hin, dass Religion nicht nur positive, sondern auch negative Wirkungen haben könne, die sich als Gesamtpaket womöglich gegenseitig aufhöben. Auf der einen Seite mag der Glaube an ein gütiges Gotteswesen tröstlich sein, das Gemeinschaftserlebnis in Gemeinden sinnstiftend wirken und der religiös geprägte Alltag Struktur und das Gefühl von Kontrolle verleihen.
Auf der anderen Seite könnten eben das schlechte Gewissen, das durch strikte, unerfüllbare Moralvorstellungen ausgelöst wird, sowie die damit verbundene Furcht vor göttlicher Strafe positive Effekte verringern oder gar neutralisieren.
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