Gesundheitsschäden durch Feinstaub Reifen- und Bremsabrieb erhöhen Risiko
Die Reduktion der Feinstaubmenge allein reicht vermutlich nicht, um das Gesundheitsrisiko zu senken. Das zeigt eine neue Untersuchung unter der Führung des Paul-Scherrer-Instituts.
Es ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte im europäischen Umweltschutz. Die Konzentration des Feinstaubs in der Luft ist in Europa markant gesunken. Auch in der Schweiz ist die Menge der lungengängigen, kaum sichtbaren Kleinstteilchen in den letzten 20 Jahren deutlich reduziert worden – dank grossen Anstrengungen. Dazu gehören unter anderem die Einführung der Katalysatoren und Dieselpartikelfilter bei den Strassenfahrzeugen. Der Schwefelgehalt in Brenn- und Treibstoffen wurde reduziert. Zudem gibt es Emissionsgrenzwerte für Feinstaub für Maschinen und Heizungen. Trotzdem sind in der Schweiz heute noch Bewohner städtischer Regionen einer hohen Belastung durch Feinstaub ausgesetzt. Feinstaub kann nachweislich unter anderem die Atemwege angreifen, reizt Schleimhäute, kann aber auch das Risiko für Herz- und Krebserkrankungen erhöhen.
Nun lässt eine im Fachmagazin «Nature» publizierte Studie aufhorchen. Ein internationales Forscherteam unter der Federführung des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen relativiert die gesundheitswirkenden Feinstaubmassnahmen, die nur auf die Reduktion der Menge ausgelegt sind. «Wenn man nur die Masse reduziert, so kann es sein, dass dabei nicht jene Stoffe gesenkt werden, die tatsächlich ein hohes Gesundheitsrisiko haben», sagt der Hauptautor Kaspar Dällenbach vom PSI. Die Forscher stellen dabei nicht die getroffenen Massnahmen infrage. «Aber wir dürfen nicht die Hände in den Schoss legen, sondern müssen bei weiteren Reduktionen des Feinstaubs vermehrt unser Augenmerk auf die Zusammensetzung des Feinstaubs legen», sagt Dällenbach.
Experimente mit Zellkulturen
Im Zentrum der Untersuchungen steht das sogenannte oxidative Potenzial des Feinstaubs. Dieser besteht aus einem Cocktail diverser kleinster Teilchen, die aus verschiedenen Quellen stammen und unterschiedliche Eigenschaften haben. Das oxidative Potenzial steigt mit dem Anteil sekundärer organischer Aerosole aus Holzfeuerungen und Metallemissionen aus Bremsen- und Reifenabrieb des Strassenverkehrs. Diese Partikel können Antioxidantien zerstören, also Verbindungen, die Schäden in Körperzellen und -gewebe verhindern. Dazu untersuchten die Forscher Zellen aus menschlichen Atemwegen, die Feinstaub ausgesetzt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass Partikel mit erhöhtem oxidativem Potenzial Entzündungsreaktionen in den Zellen verstärken.
Gleichzeitig mit der «Nature»-Studie kam eine Untersuchung der Universität Bern im Fachmagazin «PLOS One» heraus, die diese Beobachtungen unterstützt. Die Berner Forscher zeigen in Zellkulturen auf, dass Feinstaub das Abwehrsystem bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung wie zystische Fibrose oder Asthma schwächt. Noch ist allerdings ein direkter Zusammenhang zwischen dem oxidativen Potenzial und Gesundheitsschäden nicht eindeutig belegt. «Diese Studien sind aber ein weiteres Indiz dafür», sagt Dällenbach.
Starker Strassenabrieb in Städten
Verdichten sich in den nächsten Jahren die Indizien weiter, so ist das gesundheitspolitisch brisant. Denn die Forscher gingen noch einen Schritt weiter und untersuchten anhand von Beobachtungsdaten aus der Schweiz und Ausbreitungsmodellen die Verbreitung einzelner Komponenten des Feinstaubs in Europa. Der grösste Teil des Feinstaub-Cocktails besteht aus natürlichen Mineralteilchen und anorganischen Aerosolen wie Ammoniumnitrat und -sulfat aus der Landwirtschaft und aus der Verbrennung von Treib- und Brennstoff. Hinzu kommen eben Partikel aus Heizungen sowie Reifen- und Bremsabrieb.
«Das oxidative Potenzial wird durch die Emissionsquelle bestimmt», sagt PSI-Forscher Kaspar Dällenbach. Besonders betroffen sind demnach Menschen, die in Städten oder an stark befahrenen Strassen wohnen. Das zeigt sich zum Beispiel an den Messstationen in Bern beim Bollwerk und in Zürich bei der Kaserne. An beiden Orten stammt ein grosser Anteil des Feinstaubs während des ganzen Jahres aus Abrieb des Strassenverkehrs, gefolgt im Winter von Partikeln aus Holzfeuerungen.
Für Gerhard Lammel vom Max-Planck-Institut für Chemie geht die Studie sogar zu wenig weit. Es gebe auch Stoffe ohne Oxidationspotenzial, die sich aber chemisch in der Luft zu oxidierenden Substanzen verwandeln könnten. Die Studie unterstreiche aber einmal mehr, was seit langem bekannt sei: Verbrennungsprozesse von fossilen Brennstoffen, aber auch Holz, setzten besonders schädliche Stoffe frei.
Problem auch mit Elektroautos
Das kann sich in Zukunft ändern: Wenn auf den Strassen die Verbrennungsmotoren mehr und mehr durch Elektroautos ersetzt werden, wird der Feinstaub aus dem Strassenverkehr nochmals deutlich gesenkt. Die Krux dabei ist nur: Der Anteil des Feinstaubs mit oxidativen Stoffen aus dem Abrieb wird nicht kleiner, im Gegenteil – die Konzentration wird ansteigen. Die Zahl der Autos hat von 2010 bis 2015 in den EU-Staaten um 27 Prozent zugenommen, und auch in der Schweiz zeigt der Trend nach oben.
Ähnlich ist es bei den Feuerungen. Die EU will die Emissionen aus Haushalten bis 2030 halbieren. Das sei jedoch nur möglich, wenn die Verbrennungstechnologien bei Heizungen, sprich Holzfeuerungen, sauberer würden, schreiben die Autoren. Die Holzheizungen sind in den letzten Jahren auch im Zusammenhang mit den Anstrengungen im Klimaschutz attraktiver geworden. «Mit neuen Holzöfen lassen sich die gefährlichen Emissionen stark reduzieren», sagt Dällenbach. Schwieriger wird es im Strassenverkehr. Die Autoren verweisen auf die Möglichkeit, zum Beispiel den Kupfergehalt in Autobremsen zu reduzieren oder die Bremsbeläge besser zu isolieren.
Auch wenn die Schweiz enorme Fortschritte in der Lufthygiene gemacht hat, so schreibt das Bundesamt für Umwelt dennoch: «Damit die geltenden Grenzwerte für Feinstaub eingehalten werden können, müssen in der Schweiz gegenüber heute rund 50 Prozent der Feinstaubemissionen und etwa 50 Prozent der Vorläuferemissionen reduziert werden.» Ob dabei in Zukunft auch die oxidierenden Stoffe ein Thema werden, wird sich weisen.
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