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Prozess gegen Reichsbürger
Sie wollten den Bundestag stürmen und die Regierung stürzen – nun stehen sie vor Gericht

07.12.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (M) zu einem Polizeifahrzeug. Er trägt dabei Handschellen. Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen. Zahlreiche Beamte seien in mehreren Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde . Foto: Boris Roessler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Boris Roessler)

Die Razzia, bei der die mutmasslichen Umstürzler im Dezember 2022 verhaftet wurden, war eine der grössten, die es in Deutschland je gab: Mehr als 3000 Polizisten waren beteiligt, in 11 von 16 Bundesländern wurden an insgesamt 162 Orten Wohnungen durchsucht. Die Ermittlungen münden nun in die umfangreichsten Staatsschutzprozesse, seit in den 1970er- und 1980er-Jahren die Linksterroristen der Rote-Armee-Fraktion (RAF) vor Gericht standen.

Anders als damals, anders auch als im späteren Prozess gegen die Terrorbande des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), geht es diesmal nicht um Mordanschläge, sondern nur um Pläne zu einem gewaltsamen Umsturz. Die Behörden ermitteln gegen insgesamt 69 Personen, die Teil einer gemeinsamen Verschwörung gewesen sein sollen. Gegen 26 von ihnen beginnen jetzt die Verhandlungen vor Gericht. Den Rädelsführern werden die Gründung einer terroristischen Vereinigung und «Hochverrat» vorgeworfen, ein Umsturzversuch also.

Um die Verfahren in vernünftiger Zeit zu bewältigen, werden sie auf drei Oberlandesgerichte aufgeteilt: In Stuttgart beginnt heute Montag der Prozess gegen den sogenannten «militärischen Arm» der Gruppe: Es handelt sich um mehrere Ex-Soldaten und Ex-Polizisten, die den Auftrag hatten, eine neue Armee aufzubauen, die bei der Beseitigung des alten Staates behilflich sein sollte.

120 Kilo Gold, 420’000 Euro in bar und 382 Schusswaffen

In Frankfurt am Main folgt ab dem 23. Mai der Prozess gegen das Führungspersonal: den 72-jährigen Immobilienhändler Heinrich XIII. Prinz Reuss etwa, der als Rädelsführer gilt, die Richterin und AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann sowie Rüdiger von Pescatore, einen ehemaligen Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Bundeswehr. In München stehen ab dem 18. Juni dann mutmassliche Unterstützer vor Gericht, unter anderen eine Astrologin, ein selbst ernannter Seher und eine Hausärztin.

Das Verfahren in Stuttgart-Stammheim, dem Ort, an dem einst über die RAF geurteilt wurde, soll unter anderem mit der Vernehmung des Reichsbürgers Markus L. beginnen. Der Waffenhändler schoss bei seiner Verhaftung im März 2023 wild um sich und verletzte zwei Polizisten. Aus Sicht der Ankläger illustriert sein Fall, dass die Verschwörung um den Prinzen Reuss keine Fantasterei von Verrückten war, sondern leicht hätte in ein Massaker münden können.

Neben 120 Kilogramm Gold und 420’000 Euro Bargeld wurde bei den Beschuldigten jedenfalls ein grosses Waffenarsenal sichergestellt: 382 Schusswaffen, 347 Hieb- und Stichwaffen, 148’000 Schuss Munition, dazu Schutzhelme und -westen sowie Satellitentelefone.

Dr. Birgit Malsack-Winkemann, AfD, MdB, Deutschland, Berlin, 9. ordentlichen Landesparteitag des Landesverbandes Berlin der AfD, 04.05.2019 *** Dr Birgit Malsack Winkemann AfD MdB Germany Berlin 9 Ordinary State Party Congress of the State Association Berlin of AfD 04 05 2019

Laut Anklage planten Prinz Reuss’ Leute seit Sommer 2021 einen Sturz der deutschen Regierung, wenn nötig mit Gewalt. Unter anderem war dafür vorgesehen, den Bundestag zu stürmen. Die Abgeordnete Malsack-Winkemann führte zur Auskundschaftung mehrere frühere Elitesoldaten heimlich durch die weitläufigen Gebäude.

Der militärische Flügel unter dem Ex-Offizier von Pescatore verfolgte das Ziel, 286 «Heimatschutzkompanien» mit insgesamt 75’000 Mann in ganz Deutschland aufzustellen, die jeden Widerstand gegen den Putsch brechen sollten. Leute, die sich wehrten, werde man «an die Wand stellen». Auf Feindeslisten standen Persönlichkeiten von Kanzler Olaf Scholz bis TV-Talker Markus Lanz.

Die Verschwörer hofften zudem auf militärische Unterstützung durch die «Allianz» – eine eingebildete Macht von aussen, die verbrecherische Regierungen wie die deutsche bekämpfe, angeführt durch Wladimir Putin oder Donald Trump. Manche sollen auch auf die Hilfe von Ausserirdischen gezählt haben.

Reichsbürger-Ideologie und QAnon-Wahn

Ideologisch handelt es sich bei der Gruppe um eine Art schwer bewaffnete Reichsbürger-Sekte: Den deutschen Staat hält sie grundsätzlich für illegitim. Viele Verschwörer glauben zudem an den QAnon-Kult: die Wahnidee, die Mächtigen würden in unterirdischen Tunneln Kinder gefangen halten und ihnen Blut abzapfen, um daraus einen Verjüngungstrunk zu gewinnen.

Prinz Reuss wird nachgesagt, er habe mit den Umsturzplänen vielleicht auch sehr irdische Ziele verfolgt: Der thüringische Adlige hatte nach der Wiedervereinigung mehrheitlich erfolglos um die Rückgabe von Ländereien seiner Familie prozessiert, die in der DDR enteignet worden waren. Nach einem Putsch, so die Hoffnung, würden sie ihm von allein wieder zufallen.

Dass die Vorhaben der Reuss-Truppe nicht reine Hirngespinste waren, belegen nicht nur das angehäufte Waffenarsenal und die Zahl der Beteiligten, sondern auch die Detailplanung für den Tag X. Der neue «Rat», der die alte Regierung ablösen wollte, war bereits bestimmt: mit dem Prinzen an der Spitze, die AfD-Richterin Malsack-Winkemann sollte Justizministerin werden. Ebenso lag die Erklärung schon vor, mit der das alte Kabinett abgesetzt werden sollte. Militärchef von Pescatore wiederum hatte bereits begonnen, neue Uniformen, Rangabzeichen und Autokennzeichen herstellen zu lassen.

Bis zu ersten Urteilen in den Verfahren in Stuttgart und Frankfurt dürfte es laut Fachleuten vermutlich zwei bis drei Jahre dauern.