Nemos Sieg spaltet Berner PolitikBieler Stapi: «Ich schäme mich für unseren Regierungspräsidenten»
Der ESC sei «korrupt» und solle Bern «fernbleiben», findet FDP-Regierungsrat Philippe Müller. Der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr (SP) ist empört, und sogar aus Müllers Partei gibt es Widerspruch.
Nein, er könne nicht Stellung nehmen, weshalb der Eurovision Song Contest (ESC) eine «durch und durch korrupte» Veranstaltung sein soll, lässt Berns Regierungssprecher Reto Wüthrich am frühen Montagnachmittag ausrichten. Philippe Müller habe auf der Plattform X lediglich seine persönliche Meinung wiedergegeben. Und mit diesem Tweet sei nun alles gesagt. «Philippe Müller will sich nicht weiter zum Thema ESC äussern», so Wüthrich.
Der Satz markiert das kleinlaute Ende einer Kontroverse, die am Montagmorgen lautstark begonnen hatte. Um 6.06 Uhr setzte der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller auf X einen Tweet ab, der es in sich hatte. Gut 24 Stunden waren seit Nemos Sieg am ESC vergangen. Für einen amtierenden Regierungspräsidenten würde es eigentlich auf der Hand liegen, Nemos Berner Wurzeln hervorzuheben und sich zum Sieg zu äussern. Gratuliert hat etwa Müllers Amtskollege Conradin Cramer (Liberal-Demokratische Partei) aus Basel-Stadt und für eine Austragung in Basel geweibelt.
Philippe Müller wählte einen ganz eigenen Weg.
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Der ESC sei seit Jahren «durch und durch korrupt», beginnt er in seinem Tweet. Die diesjährige Ausgabe sei zudem «antisemitisch geprägt und von schlimmen Gewaltereignissen mit Polizeieinsätzen» begleitet gewesen. Müller findet in seinem kurzen Statement kein Wort der Würdigung für Nemos Erfolg. Stattdessen machte er klar, dass er den Event im kommenden Jahr keinesfalls in seinem Heimatkanton haben will: «ESC: Bleib fern von Bern!»
ESC bringt Wertschöpfung
Auf X löste Müllers Tweet sogleich eine Kontroverse aus. Ist dieses Statement nun seine private Meinung oder spricht er für die gesamte Berner Regierung? Diese Frage stellt sich insbesondere, weil Müller auf X explizit nicht als Privatperson, sondern als «Regierungsrat und Sicherheitsdirektor» auftritt.
Dass ein Mitglied einer Kollegialregierung bei einer Frage, in der es auch um wesentliche wirtschaftliche Interessen geht, so vorprescht, ist eher ungewöhnlich. Wie eine Studie der Universität Liverpool zeigt, ist der ESC längst kein reiner Musikwettbewerb mehr, sondern ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. In der britischen Stadt, wo der Event 2023 stattfand, sorgte der Event für Einnahmen von umgerechnet rund 62,3 Millionen Franken. Profitiert haben dabei vor allem die Gastronomie, die Hotellerie, der Detailhandel sowie der öffentliche Verkehr der Stadt.
Auf der anderen Seite ist auch klar, dass eine Durchführung den Austragungsort einiges kosten wird: Per Bieterverfahren will die SRG Gebührengelder sparen.
Trotzdem ist es kein Wunder, dass sich in den letzten Tagen auch Vertreter der Berner Wirtschaft – wie etwa Bernexpo-Chef Tom Winter – für eine Durchführung des ESC in der Bundesstadt starkmachten. Aber auch aus Müllers Partei, der FDP Kanton Bern, wurden zahlreiche Stimmen laut, dass sich Bern um eine Austragung bemühen solle.
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Florence Pärli, die für die FDP im Rennen um den Berner Gemeinderat antritt, forderte die Stadtregierung noch in Nemos Siegesnacht auf, den ESC in die neue Festhalle der Bern Expo zu holen. Diese Forderung teilten etwa auch Stadtrat Tom Berger und Daniel Beyeler, Geschäftsführer der FDP Kanton Bern, auf der Plattform X.
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«Schäme mich, Berner zu sein»
Sprach Müller in seinem Tweet für die gesamte Regierung? Nein, sagt Regierungssprecher Reto Wüthrich. Müller hat seinen Tweet mit dem restlichen Gremium nicht abgesprochen. «Der Regierungsrat hat seine nächste Sitzung am Mittwoch. Er konnte sich deshalb noch nicht mit dem Thema befassen», so Wüthrich.
Klar ist: Wenn der Gesamtregierungsrat Sicherheitsdirektor Müller nicht in den Rücken fallen will, sind die ESC-Träume in der Bundesstadt bereits ausgeträumt. Ohne Unterstützung des Kantons ist eine Bewerbung undenkbar.
Eine solche Bewerbung wollen weder Bern noch Nemos Heimatstadt Biel ausschliessen. Derzeit steht konkret zur Debatte, sich gemeinsam für die Austragung zu bewerben. Berns Stapi Alec von Graffenried (GFL) sagt, man wolle mit der Stadt Biel, Bernexpo, dem SCB und Bern Welcome prüfen, was 2025 in Bern möglich wäre. Einen Entscheid habe der Gemeinderat aber noch nicht gefasst. «Der Ball liegt bei der SRG, die als Organisatorin im Lead ist», so von Graffenried.
Sein Bieler Amtskollege Erich Fehr (SP) stellte am Montag in einem Interview mit Radio Canal 3 klar, dass er die Unterstützung des Kantons erwarte, sollten sich Bern und Biel für eine gemeinsame Bewerbung entscheiden. Müllers Tweet kritisiert er derweil scharf: «Ich schäme mich, Berner zu sein. Ich schäme mich für unseren Regierungspräsidenten», so Fehr. Er erwarte von Müller, dass er Nemo zum Sieg des weltweit grössten und wichtigsten Musikwettbewerbs gratuliere – egal, was der Sicherheitsdirektor persönlich vom ESC halte.
Fehr kritisiert auch, dass sich von der Berner Kantonsregierung bisher nur Müller öffentlich zum Thema ESC äusserte. Allerdings stimmt das nicht ganz. Denn auf seinem offiziellen Instagram-Kanal hat der Kanton Bern Nemo am Sonntagmorgen immerhin gratuliert.
Anerkennung für die grosse Leistung erhielt Nemo auch von der Landesregierung. Kulturministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) gehörte in der Nacht auf Sonntag zu den ersten Gratulantinnen. Und Justizminister Beat Jans (SP) zeigte sich am Montag offen für ein Treffen mit Nemo, um über die Anliegen von nicht binären Menschen zu reden.
Korrigendum: In einer ersten Version stand, dass der Kanton Bern Nemo noch nicht zum Sieg am ESC gratuliert hat. Das ist falsch. Der Kanton verschickte zwar keine Medienmitteilung oder verfasste ein Statement auf der Kommunikationsplattform X. Allerdings postete er eine Gratulationsbotschaft auf Instagram und auf Facebook.
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