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 «I’m a Celebrity … Get me out of here!»
Raus aus Westminster, rein in den Dschungel

Matt Hancock im November 2021 in London. 
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Wer Matt Hancock (44) ist, wissen in Grossbritannien alle. Dabei ist der Mann kein prominenter Sportler, kein Film- und auch kein Bühnenstar. Nein, Hancock war in den ersten 15 Monaten der Covid-Pandemie ganz einfach britischer Gesundheitsminister. Die Menschen auf der Insel haben damals quasi mit ihm gelebt. Haben ihn täglich auf dem Bildschirm gesehen. Hingen an jedem Wort, das ihm über die Lippen kam. 

Plötzlich aus dem Bild der Öffentlichkeit purzelte Hancock im Juni vorigen Jahres, als er von einer Überwachungskamera dabei beobachtet wurde, wie er (reichlich unbeholfen) seine engste Mitarbeiterin im Büro liebkoste. Was nicht nur für seine Frau und seine Kinder unerwartet kam, sondern zu Lockdown-Zeiten auf Anordnung des Gesundheitsministeriums auch gänzlich verboten war. 

Damals verschwand Matt Hancock von der politischen Bühne. Seinen Platz im Parlament behielt er zwar, aber auf den Hinterbänken. Im Regierungsteam wollte ihn niemand mehr sehen. Auch dass er den neuen britischen Premier Rishi Sunak bei dessen Wahl zum Chef der Konservativen Partei vorige Woche unterstützte, nützte ihm wenig. Dieser lud ihn nicht einmal zur Übernahme eines noch so kleinen Postens in seiner Regierung ein.

Sie müssen allerlei Dinge verzehren, die weltweit auf keiner Speisekarte zu finden sind.

Kein Wunder, dass Hancock nun beschlossen hat, eigene Wege zu gehen. Ohne die Partei um Erlaubnis zu fragen, sagte der zur Unperson Gewordene der berühmt-berüchtigten TV-Show «I’m a Celebrity» seine Teilnahme zu. «I’m a Celebrity … Get me out of here!» («Ich bin eine Berühmtheit … Holt mich hier raus!») ist ein im australischen Dschungel über mehrere Wochen hinweg gefilmtes Unterhaltungsformat, bei dem sich mehr oder minder bekannte Zeitgenossen aus dem Vereinigten Königreich zum Amüsement des heimischen Publikums verschiedenen schaurigen Härtetests unterziehen. 

Sie müssen sich etwa von Insekten bekrabbeln lassen, müssen in finsteren Erdlöchern sitzen, müssen mit Schlangen kämpfen oder allerlei Dinge verzehren, die weltweit auf keiner Speisekarte zu finden sind. Kommenden Sonntag geht es für Matt Hancock los – wohl gegen ein stattliches Entgelt und vor einer treuen Fangemeinde. Die Dschungelshow zählt durchschnittlich rund 12 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.

Helle Empörung

Doch Hancocks Ausflug in die Wildnis stösst nicht überall auf Gegenliebe – wegen unerlaubter Absonderung von der Truppe, gewissermassen, wurde er nun von seiner Partei suspendiert und aus der Fraktion verbannt. Hancock muss, wenn er aus dem Dickicht des australischen Dschungels zurückkehrt, daher erst einmal als parteiloser Abgeordneter auf den grünen Unterhausbänken sitzen. 

In seinem Wahlkreisverband, in West Suffolk, herrscht helle Empörung über den «Deserteur». Andy Drummond, der Vizevorsitzende des Verbandes, gab die ziemlich zornige Stimmung unter den örtlichen Tories wieder und nahm dabei kein Blatt vor den Mund: «Mich würde es freuen, wenn er Känguru-Penis essen muss!»

Dabei ist Hancock nicht der erste Politiker, der im Dschungel sein Glück zu machen sucht. Seine Parteikollegin Nadine Dorries verlor für ihre «I’m a Celebrity»-Teilnahme 2012 ebenfalls ihre Parteimitgliedschaft. Allerdings nur für sechs Monate. Danach wurde ihre Stimme wieder gebraucht im Regierungslager. Jahre später schaffte sie es sogar zur Kulturministerin. 

«Es ist unser Job als Politiker, dahin zu gehen, wo die Leute sind.»

Matt Hancock, ehemaliger Gesundheitsminister

Auch andere sogenannte Celebrities nahmen schon an der Show teil, etwa Boris Johnsons Vater Stanley. Aber so witzig viele Briten das damals auch fanden, bei Matt Hancock hört der Spass offensichtlich auf. Der «Mann, der keine Scham kennt», schrieb der «Daily Mirror» am Mittwoch. Wenn der Westminster-«Clown» im australischen Dschungel auftauche, müsse einem «das Ungeziefer leidtun», giftete der «Daily Star». Besser wäre es, erklärte ein Regierungssprecher, wenn Abgeordnete «in dieser schwierigen Zeit fürs ganze Land sich daheim für ihre Wähler einsetzen würden», statt sich in fernen Ländern herumzutreiben.

Gar skeptische Geister mutmassen sogar, dass Matt Hancock vor allem auch an Publizität für seine demnächst erscheinenden «Pandemischen Tagebücher» gelegen sei. Regelrecht zornig reagieren Familien, die in der Pandemie Angehörige verloren haben. «Matt Hancock ist kein Star irgendwelcher Art, kein Celebrity», erklärte Lobby Akinnola von der Kampagne für die Covid-Opfer: «Er ist der frühere Gesundheitsminister, dem eine der höchsten Todesraten der Welt von Covid-19 zur Last gelegt werden muss.» Die Tatsache, «dass er jetzt versucht, dieses schreckliche Erbe auch noch für sich auszubeuten, statt etwas Demut zu zeigen oder über die schlimmen Folgen seiner Zeit in der Regierung nachzudenken», zeige doch, was für eine Person er wirklich sei.

Hancock seinerseits kann die Aufregung um sein TV-Engagement indes nicht verstehen. Er wolle ja nur, sagte er am Mittwoch, seine «menschliche Seite» zeigen und sich mit einer speziellen Kampagne gegen Legasthenie, gegen Leseschwäche, «direkt an die Massen» wenden. «Es ist unser Job als Politiker, dahin zu gehen, wo die Leute sind – sonst sitzen wir nur im Elfenbeinturm von Westminster herum.»