Rarer WildgenussSo schmeckt der Murmeli-Burger
In Tessiner und Bündner Restaurants werden Murmeltiere öfters serviert. Anders im Flachland: Hier ist es eine lange Suche, bei der unsere Autorin beinahe scheiterte.
Da liegt er endlich vor mir. Eigentlich sieht er unspektakulär aus. Doch die lange Jagd – im wahrsten Sinne – macht ihn anziehend. Es ist nicht irgendein Burger, sondern ein Murmeltier-Burger.
Aber von vorne: Die Wildsaison hat Anfang September begonnen, was ich als Anlass für diesen Artikel nahm. Thema: Hirsch? Langweilig. Reh? Schon 100-mal gelesen. Wildschwein? Zu wild. – Also Murmeltier? Noch nie gehört, das kennen wenige. Doch: Hätte ich gewusst, wie schwierig es ist, diese Delikatesse aufzutreiben, hätte ich die Flinte schon vor Wochen ins Korn geworfen.
Die Recherche startet mit meiner Jägerin des Vertrauens, Renate Fahrni. Die Emmentalerin hat sofort Antworten: «Die Jagdsaison hat gerade erst begonnen, du musst dich gedulden. Und garantieren kann ich schon gar nichts.» Ich, von Natur aus ungeduldig, beende das Telefonat und warte.
Ganz untätig bin ich nicht und fahre nach Frutigen. Wenn einer über Murmeltiere Bescheid weiss, dann ist es Andreas Schmid. Der Berner Oberländer produziert Naturkosmetik, darunter eine Murmelifettsalbe, die für Muskeln und Gelenke wohltuend sein soll. «Das Murmeli hat kortisonähnliche Stoffe. Das Fett stinkt halt ein bisschen», sagt der rüstige Rentner.
Als Beweis hat Schmid Fett in einer Pfanne erhitzt. Er hat recht: Es stinkt zum Himmel, nach ranzigem Öl. «Das Fleisch schmeckt wild – wie Hirsch oder Gams», sagt sein Sohn Silvan Schmid. Manche legen das Fleisch vor dem Kochen in Milch ein, um es zu neutralisieren. Drei Tage lang. Langsam frage ich mich, ob ich das überhaupt essen sollte.
Der Sohn Silvan Schmid sagt: «Für unsere Salbe ist das Fett der wichtige Rohstoff. Das Fleisch behält der Jäger für sich selber.» Beim Jagen herrscht Kantönligeist, denn die Freigabequote ist kantonal reglementiert: Im Kanton Bern darf gerade ein einziges Tier erlegt werden. Im Tessin sind mehr zum Abschuss freigegeben, weshalb man dort häufiger «Marmotta» auf den Speisekarten findet. Im letzten Jahr wurden laut Bundesamt für Statistik schweizweit 6660 Murmeltiere erlegt.
In Graubünden ist die Murmeltierpopulation so gross, dass deren Abschuss sogar als Schädlingsbekämpfung gilt. Bis zu 20 Tiere dürfen mit Zusatzlizenzen erlegt werden. Dorthin führt Schmids nächste Autofahrt: Er will 80 Murmeli für seine Salbe abholen.
Ab Anfang September sind Restaurantgäste wild auf Wild. Dabei dürfen die Jägerinnen und Jäger erst jetzt auf die Pirsch. Die Nachfrage nach Wildgerichten sei viel grösser als das Angebot, versichern mir Wirte und Jägerinnen. Viele Jäger seien nicht interessiert, das Fleisch zu verkaufen, frieren es lieber für den Eigenbedarf ein. Apropos Einfrieren: Wer in Restaurants jetzt Wild bestellt, der hat meist Restposten der Grossisten aus der letzten Jagdsaison auf dem Teller, verraten mir die Köche.
Man muss gut vernetzt sein, um überhaupt an Schweizer Wild – geschweige denn an Murmeltiere – zu kommen. Vernetzt bin ich offensichtlich nicht, das Publikationsdatum rückt näher, der Teller ist noch immer leer. Ein Walliser Koch, der aus Murmeltierfleisch Gehacktes produziert, weilt in den Ferien. Am Telefon erklärt er mir, es sei sehr aufwendig, Murmeli zu schlachten. «Sie schwitzen nicht, deshalb müssen Fett und Schweissdrüsen unbedingt abgeschnitten werden. Mit einem Skalpell.» Gut zu wissen, hätte man denn ein Tier zur Hand. Meine Suche geht weiter.
Ich starte einen Aufruf über Instagram. Dort bekomme ich raffinierte Menüvorschläge von Köchen. Und konsternierte Nachrichten von Vegetariern. Dabei geniessen doch gerade Wildtiere die grösste Freiheit und das natürlichste Leben. Doch ich erhalte dort auch Kontakte, unter anderem zu Beat Caduff in Zürich. «Da in Graubünden gerade eine Jagdpause ist, wird es schwierig. Aber ich versuche es», verspricht der Koch, der auch Jäger ist.
Das ist mir zu unsicher. Ich klingle wieder bei meiner Jägerin. Renate Fahrni ist – wie könnte es anders sein – auf der Pirsch. Und im Jagdglück: Sie hat kein Murmeli, aber eine Gämse erlegt. Zeit hat sie jetzt während der Jagdsaison nicht wirklich, dennoch beenden wir das Gespräch mit der Abmachung, dass sie ein Murmeltier organisiert. Selbst geschossen oder von einem anderen Jäger. Ich wünsche also «Waidmannsheil».
Einige Tage später kommt die Nachricht: «Es klappt. Ich hab eines und mach dir einen Burger», schreibt die Jägerin. Das Tier stammt vom Murmeli-Experten Andreas Schmid, der eines von den 80 abgeholten Exemplaren verkauft hat.
Tage später stehen wir in Fahrnis Küche. In einer Schüssel sehe ich Gehacktes. Es sieht genauso aus wie Rindfleisch. Der Metzger hat das Fleisch bereits durch den Fleischwolf gedreht, damit Renate Fahrni weniger Arbeit hat.
Sie wirkt zufrieden. «Kein Fett dran.» Das klingt vielversprechend. Ob man das denn auch als Tatar aufschneiden könnte? Ihre Augen zeigen Entsetzen, also nein, wohl nicht. Sie hat zwei Burger-Varianten zubereitet: eine mit Steinpilzen, Bergkäse-Splitter und in Ahornsirup gekochte Birnen. Dazu eine Honig-Senf-Sauce.
Ich beisse rein und schmecke eine süss-salzig-sämige Wucht. Das Fleisch-Patty hat einen waldig-archaischen Geschmack. Was für eine Geschmacksexplosion. Komplettiert wird das mit einem Glas kräftigen Cornalin aus dem Wallis. Wir prosten mit Links, wie das Jägerinnen tun.
Die zweite Variante besteht aus Murmeli und getrockneten Pflaumen, dazu Zwiebelringe, Cherrytomaten, Cornichons und eine Cocktailsauce. Auch hier denke ich, dass das Fleisch lange abgehangen ist. Nur so kann ich mir den herzhaften Geschmack erklären. Doch dafür hatte niemand Zeit: letzte Woche geschossen, danach von Graubünden nach Frutigen transportiert, ab zum Metzger und nun hier im Emmental auf dem Teller. Waidmannsdank.
Wie hats geschmeckt? Der erste Biss im Video:
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