Ralph Krueger: «Ich werde die Schweiz nie mehr coachen»
Der frühere Schweizer Nationaltrainer hat als Coach bei den Buffalo Sabres eine Euphorie ausgelöst.

Sie kamen nach sechs Jahren wieder zurück in die NHL als Coach. Welche Erwartungen stellten Sie an sich selbst?
Dass ich meine ganze Lebenserfahrung in dieses Projekt der Buffalo Sabres einbringen kann, sei es die Erfahrung aus dem Eishockey oder generell als Leader. Ich sehe den Zeitpunkt als ideal, hierher zu kommen. Ich erwarte von mir, dass ich als Leader noch mehr wachsen und das Bestmögliche aus diesem Club herausholen kann. Es ist mein ultimatives Ziel, herauszufinden, wo das Potenzial der Sabres liegt.
Sie wurden dieses Jahr 60. Gab es dennoch auch Nervosität oder Zweifel, es packen zu können nach all dieser Zeit fern des Trainerberufs?
Zweifel ist vielleicht das falsche Wort. Aber ich hatte einen grossen Respekt vor dieser Herausforderung. Wenn du so lange nicht mehr gecoacht hast, fragst du dich schon einige Dinge. So wie ich trainieren lassen will, wie ich eine Mannschaft spielen lassen will, wie ich mit ihr kommuniziere: Hat sich da in der Zwischenzeit einiges getan? Werde ich da hineinpassen? Dies in einer komplett anderen Rolle als zuvor, als ich Chairman in einem Fussballclub war.
Was gab Ihnen Mut?
Der World Cup 2016, das Eishockey-Länderturnier, an dem ich das Team Europa coachen konnte. Ich sagte mir darum: Jetzt oder nie mehr! Angst hatte ich keine, es war eher eine Art Druck, kombiniert mit dem Verlangen, es tun zu wollen. Und als das Trainingcamp begann, spürte ich ein unglaubliches Glücksgefühl. Seither fühle ich mich wieder zuhause in meinem Beruf.
«Ich mache nichts zwei Mal, werde wohl überhaupt keine Nationalteams mehr coachen»
In einem Interview sagten Sie, Coachen mache Sie glücklicher als alles andere. Warum ist das so?
Ich begann schon mit 29, jetzt sitzen wir hier, und ich bin 60! 25 Jahre davon war ich Headcoach eines Hockeyteams. Das ist meine wirkliche Rolle im Leben: Ein Lehrer des Eishockeysports sein. Das zu tun, fühlt sich einfach so natürlich an.
Wie schwierig war es am Anfang, wieder zu den Spielern durchzudringen? Der Altersunterschied ist noch grösser geworden, es ist eine andere Generation, als die letzte, die Sie erlebten.
Es war wirklich einfach. Ich konnte zunächst kaum glauben, wie empfänglich die jüngeren Spieler waren. Ich traf mich als allererstes mit Sam Reinhart und Jack Eichel, beide 23, an der WM in der Slowakei. Danach sah ich einen Spieler nach dem anderen, das waren meine Highlights im Sommer, weil auch diese Begegnungen sich so natürlich anfühlten.

Ihr Trainerkollege Marc Crawford benennt den grössten Unterschied zwischen den letzten Generationen so, dass die neue alles hinterfragt, während man zuvor einfach Anweisungen geben konnte. Erleben Sie es nun ähnlich?
Ich sorgte von Beginn an für einen sehr klaren Kommunikationsfluss. Die Spieler konnten mitreden, ihre Stimmen zählten, erst danach legten wir den Plan fest. Das basiert auf gegenseitigen Respekt und einer sehr offenen Kommunikation. Darauf legten wir bereits im Trainingscamp wert. Das war die Grundlage, damit sich die Spieler wohl fühlen können. Auch wenn wir mit Dingen unglücklich sind, sprechen wir sehr ehrlich miteinander, es gibt kein Gerede hinter dem Rücken der Spieler, ich bin sehr transparent diesbezüglich. Ich bin gut darin, klare Erwartungen zu definieren. Das ist sehr wichtig für mich, erst dann gibt es ehrliche Kommunikation. Und dann gibt es auch keinen Graben zwischen den Generationen. Ich auf jeden Fall spüre hier keinen.
Wie gross ist der Unterschied zwischen dem Coach Ralph Krueger von 2012/13, als Sie in Edmonton arbeiteten und dem Coach Ralph Krueger nun in Buffalo?
Sehr gross. Damals war ein Grossteil meiner Arbeit, die NHL kennen zu lernen. Und diese sechs Jahre in der englischen Premier League haben mir extrem geholfen.
Auch wenn Sie gar nicht als Coach tätig waren?
Ja. Und auch wenn es eine andere Sportart war. Ich hatte sehr viel zu tun mit den Spielern. Ich war sehr nahe beim Team, ich reiste mit an die Spiele, schaute bei den Trainings zu. Ich dachte in dieser Zeit sehr oft nach, was ich tun würde, wenn ich wieder die Position des Headcoachs einnehmen würde. Und momentan erlebe ich noch einen weiteren, sehr grossen Unterschied.
Der wäre?
Ich lebe extrem im Moment und versuche, jeden Tag zu geniessen. In Edmonton war ich oft in Sorge wegen allen möglichen anderen Dingen, über die Zukunft, was sie mir bescheren würde. Das ist nun überhaupt nicht mehr so. Ich erledige einfach das, was ich an diesem einen Tag machen kann. Das ist eigentlich lustig. Je älter und erfahrener ich werde, desto kleiner wird das Gesamtbild.
Wie wirkt sich das auf die Arbeit mit dem Team aus?
Ich glaube, ich bin gut darin, dieses Denken auf die Spieler zu übertragen. Wir haben noch gar nie gross über die Zukunft gesprochen, genauso wenig wie über die Vergangenheit. Darin bin ich viel besser geworden.
«Schauen Sie doch, was mit meinem Leben passierte! Alles kam gut, weil ich so positiv blieb.»
Wie sehr verfolgen Sie noch die Schweizer Nationalmannschaft?
Seit 2010, also seit ich nicht mehr ihr Coach bin, war ich an jeder WM dabei. Mein Sohn Justin spielte ja an sieben davon für Deutschland.
Was fällt Ihnen spontan zur aktuellen Schweizer Nationalteam ein?
Die unglaubliche Tiefe sowie das Talent und die Skills, die mittlerweile vorhanden sind. Wir haben, da ich jetzt auch Schweizer bin, fast ein ganzes Team in der NHL. Das ist speziell! Ich bin nun ein Fan, auch davon, was Patrick Fischer als Coach mit der Mannschaft macht.
Wenn Sie «Ihre» Schweizer Nationalmannschaften mit der heutigen vergleichen: Fragten Sie sich nie, wie schön es wäre, ein Schweizer Team mit Nico Hischier, Nino Niederreiter, Roman Josi, Timo Meier etc. coachen zu können?
Ich habe ja ein paar Schweizer gecoacht an jenem World Cup 2016. Und ich finde es sehr aufregend, der aktuellen Nationalmannschaft zuzuschauen. Die Schweiz wird meine Heimat bleiben für den Rest meines Lebens. Aber ich werde die Schweiz nie mehr coachen. Ich werde wahrscheinlich überhaupt keine Nationalmannschaft mehr coachen.

Warum nicht?
Ich bin eine «Projekt-Person». Das heisst, ich will nichts zwei Mal machen. Ich war Club-Trainer in Österreich, danach Nationaltrainer in der Schweiz. Danach war ich auch tätig in Funktionen fernab des Sports, zum Beispiel am World Economic Forum. Nun bin ich hier in Buffalo. Und ich erlebe hier Neues. Ich hatte noch nie so einen Staff um mich herum, spürte noch nie so eine grosse Unterstützung wie hier in Buffalo. Sowas hatte ich in Edmonton nie. Das fühlt sich so richtig vollkommen an, wie wir hier ein Programm vorantreiben. Der GM, die Besitzer, alle ziehen hier in die gleiche Richtung. Das war in Edmonton nicht der Fall. Darum ist das hier auch ein komplett neues Projekt für mich.
Sie haben in Buffalo ein wirklich unglaubliches Kader, extrem talentiert.
Das ist so, es ist eine sehr aufregende Mannschaft.
Ist es sogar schwieriger, einer spielerisch derart starken Mannschaft eine Struktur zu verleihen? Das war ja Ihre Stärke mit der Schweizer Nationalmannschaft, dafür steht Ihr Name auch heute noch. Sehr kreative Spieler sehnen sich normalerweise aber vor allem nach etwas: Spielen.
Das ist der Job des Coachs. Auch talentierte Spieler dazu zu bringen, defensiv spielen zu können, auch ohne Puck gut spielen zu können. Bei einer so talentierten Mannschaft wie hier musst du ein System kreieren, in welchem sich diese Spieler dennoch ausdrücken können. Das ist mir ein grosses Anliegen: Diesen Spielern in der Offensive die Möglichkeit geben, sich zu entfalten mit all ihren Stärken. Ohne Puck müssen wir aber als Team arbeiten, mit Struktur. Das ist für mich so, das ist für Patrick Fischer mit der Schweizer Nationalmannschaft so, das ist für alle Coaches so.

Die WM 2020 findet in der Schweiz statt. Kommen da bei Ihnen emotionale Erinnerungen an die Heim-WM 2009 hoch?
Natürlich. Aber noch mehr an 1998. Das war auch eine Heim-WM mit der Schweiz und mein erstes Turnier mit ihr. Meine Tochter Geena arbeitet in der OK für 2020, ich bekomme also regelmässig mit, was dort nun passiert.
Dieses letzte Gruppenspiel der Schweiz 2009 gegen die USA, als die Schweiz auf dramatische Art und Weise den Viertelfinaleinzug verpasste …
… ja, das war crazy. Wir gewannen ja, aber mit einem Siegestor, der 13 Sekunden zu spät fiel, in der Overtime. Wir hatten einen Sieg nach 60 Minuten benötigt.
Hat dieses Spiel Sie noch lange verfolgt?
Ja, das war sehr schmerzhaft. Und nach diesem Spiel wusste ich tief in mir, dass Olympia 2010 mein letztes Turnier sein würde. Es war klar für mich, dass meine Zeit zu Ende war. Aber ich habe so vieles gelernt an dieser Heim-WM, das Team auch. Das war der Grund, warum wir an den Winterspielen in Vancouver ein so gutes Turnier spielten. Das war quasi die Antwort auf den Schmerz von 2009.

Sie erlebten Heim-Weltmeisterschaften mit der Schweiz, Patrick Fischer wird der nächste Coach sein, dem diese spezielle Ehre zuteil wird. Was können Sie ihm empfehlen?
Sicherstellen, dass die Jungs Spass haben. Rausgehen und spielen, nicht zu viel nachdenken, ob man jetzt zuhause oder auswärts oder wo auch immer ist. Ans Potenzial glauben. Und sehr wichtig: Auch als Coach jeden Tag geniessen. Wenn ich zurückdenke, hätte ich das damals auch vermehrt tun sollen. So wie ich es nun hier in Buffalo mache.
Sie leben im Sommer in Davos und treffen dort regelmässig NHL-Star und ex-HCD-Lockout-Stürmer Joe Thornton. Er ist begeistert von Ihnen und Ihrer Arbeit, sagte kürzlich, dass Sie damals in Edmonton keine faire Chance erhalten hätten. Hat er Recht?
Ich beurteile das nicht. Ich passte nicht zum General Manager, er passte nicht zu mir. Das habe ich akzeptiert, ich bereue nichts. Edmonton gab mir die Chance, in die NHL zu kommen. Ich coachte drei Jahre lang, das hat mich vorbereitet auf das, was ich nun hier in Buffalo mache. Schauen Sie doch, was nach Edmonton mit meinem Leben passierte! Ich wurde Chairman in der Premier League. Wer hätte denn sowas gedacht? Alles wurde gut, weil ich so positiv blieb, trotz allem, was in Edmonton passierte.
Der Start mit Buffalo ist Ihnen sehr gut gelungen, Sie haben eine Rieseneuphorie ausgelöst. Letzte Saison begannen die Sabres allerdings ebenfalls stark und brachen dann fast schon auf legendäre Art und Weise ein. Ist es besser, dass Sie nun neu hier sind? Oder würde es helfen, letzte Saison hautnah erlebt zu haben, um zu wissen, was schief lief?
Nein, nein. Es war viel Schmerz hier in Buffalo letzte Saison. Meine Zeit ist jetzt. Wie gesagt: Das ist eine sehr gute Zeit, hier zu sein.
Die Erwartungen der Fans sind in die Höhe geschnellt, sie sind teilweise kaum noch realistisch. Wie sorgen Sie dafür, dass nicht auch die Mannschaft plötzlich die Bodenhaftung verliert?
Indem ich eben das Gesamtbild klein halte. Wir konzentrieren uns nur aufs Heute. Und darauf, wie wir uns verbessern können. Das tun wir immer, unabhängig der Resultate. Die Tabelle zählt nur an einem einzigen Tag: Dem 4. April 2020, dem Ende der Regular Season.
Sie haben etwas «Neues» in Buffalo eingeführt: Die Trainings vor den Spieltagen gestrichen.
Wir hatten 13 Spiele in 24 Tagen, das war crazy. Es ging rein ums Management der Energie. Ich denke, dass wir Vorteile daraus ziehen konnten. Zwei Mal gewannen wir bei Back-to-back-Spielen nach einer Niederlage das folgende Spiel.

In Ihrem Team spielt ein Teenager, dem viele Experten zutrauen, der beste Eishockey-Verteidiger aller Zeiten zu werden: der Schwede Rasmus Dahlin. Wie erleben Sie ihn?
Er ist 19, er hat eine sehr aufregende Zukunft vor sich, er wird irgendwann ein grosser Star sein. Er muss noch viel lernen, unser Defensiv-Trainer mag es aber ausserordentlich, mit ihm zu arbeiten, da er ein sehr gut coachbarer Spieler ist.
Er hört und liest seit Jahren, dass er der Beste sei. Das tut jungen Spielern selten gut …
Er ist sehr bescheiden. Er hat einen grossartigen Background. Er wird das handeln, weil er eben sehr gut coachbar ist.
Wo steht er jetzt?
Verteidiger brauchen mehr Zeit, um ihr Potenzial ausschöpfen zu können. Er ist zwei, drei Jahre entfernt vom Zeitpunkt, an dem er alles entfalten können wird. Und er ist dennoch bereits jetzt ein exzellenter Verteidiger. Bei ihm ist wirklich nur der Himmel die Grenze. Er wird einst einer der Besten der Welt sein.
----------
Eisbrecher – der Hockey-Podcast von Tamedia
Die Sendung ist zu hören auf Spotify sowie auf Apple Podcast. Oder direkt hier:
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch