Bilaterale Beziehungen mit der EURahmenabkommen: Welche Exporte auf dem Spiel stehen
Ein Viertel der Exporte der Schweiz profitiert vom Abkommen über technische Handelshemmnisse, das die EU ohne Rahmenabkommen nicht mehr aktualisieren will. Damit drohen zusätzliche Kosten – aber weniger als bisher vermutet.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat erstmals die Exporte in die Europäische Union (EU) nach den sogenannten Kapiteln des Abkommens über die technischen Handelsabkommen aufgeschlüsselt. Daraus lässt sich ablesen, welche Branchen von diesem Abkommen profitieren – und vor allem: welche Exporte gefährdet sind. Denn die EU will dieses Abkommen nicht aktualisieren, solange die Schweiz kein Rahmenabkommen unterzeichnet.
Insgesamt liefen gemäss der Schätzung des Seco im Jahr 2019 Exporte für knapp 72 Milliarden Franken über das Abkommen. Das entspricht 73 Prozent der Industriegüter, die aus der Schweiz in die EU exportiert wurden. Nicht ganz überraschend stehen die Arzneimittel mit gut 38 Milliarden Franken an erster Stelle. Die Maschinenindustrie wickelte gut zehn Milliarden Franken über das Abkommen ab, diagnostische Mittel und chemische Produkte knapp sieben und Medizinprodukte gut fünf Milliarden Franken.
Es überrascht nicht, dass es die gleichen Branchen sind, die sich seit Jahren für ein Rahmenabkommen der Schweiz mit der EU einsetzen und vor einer «Erosion» der Bilateralen warnen, sollte die EU weiterhin Aktualisierungen des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse blockieren. Am schnellsten könnte es die Medizinprodukte treffen, denn ab Mai sollen in der EU neue Vorschriften in Kraft treten. Diese hat die Schweiz zwar ebenfalls eingeführt, aber die EU weigert sich seit Jahren, diese anzuerkennen. Auslöser dafür war das Ja zur Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung», jetzt ist es das nicht unterzeichnete Rahmenabkommen.
Die Schweiz protestierte schon 2017 öffentlich dagegen und bezeichnete die «Blockade» als «inkohärent» und «unglücklich». Noch weiter ging Bundesrätin Karin Keller-Sutter, damals FDP-Ständerätin und Mitglied der aussenpolitischen Kommission. Gegenüber Radio SRF bezeichnete sie die Blockade des Abkommens über technische Handelshemmnisse als eine «Verletzung von Treu und Glauben».
Noch 40 Prozent der Exporte gehen in die EU
Dabei geht es um viel Umsatz der Exportindustrie, allerdings um weniger als auch schon. Auch das zeigt die Berechnung des Staatssekretariats für Wirtschaft. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreiches und wegen Steigerung der Exporte nach Asien machen die Exporte in die Europäische Union noch gut vierzig Prozent der gesamten Exporte der Schweiz aus. Vor Jahren waren es noch über 50 Prozent gewesen. Der Anteil der durch das Abkommen über technische Handelshemmnisse erleichterten Exporte in die EU beträgt 23 Prozent.
Medizintechnik muss sich anpassen
Betroffen von einer Erosion des Abkommens über technische Handelshemmnisse wären Branchen immer dann, wenn die EU neue Regeln erlässt und den Schweizer Nachvollzug nicht anerkennen würde, wie jetzt bei der Medizintechnik. Diese muss möglicherweise ab Mai ihre Produkte wieder im EU/Efta-Raum zertifizieren lassen, weil eine schweizerische Zertifizierung nicht anerkannt wird, und sie muss im Binnenmarkt über einen Repräsentanten verfügen. Allerdings könnte die Schweiz Zertifizierungen aus der EU einseitig anerkennen, womit Schweizer Firmen weiterhin ihre Produkte nur einmal zertifizieren müssten, einfach in der EU statt in der Schweiz. (Lesen Sie hier die Kolumne dazu von Rudolf Strahm.)
Zahlreiche Unternehmen der Branche machen das bereits, wie aus dem Umfeld von Swissmedic zu vernehmen ist. (Lesen Sie hier, was der Branchenverband Swiss Medtech vorschlägt.) Das hat dazu geführt, dass eine Zertifizierungsstelle in der Schweiz diese Prüfung gar nicht mehr anbietet. Der Repräsentant kann ein Bevollmächtigter bei einer Verkaufsgesellschaft in der EU sein, oder dann lässt man dies durch spezialisierte Unternehmen machen, das ist günstiger, als wenn dafür Schweizer Löhne bezahlt werden müssten. Der Europäische Verband der Unternehmen, die solche Dienste anbieten, hat 15 Mitglieder.
Unklare Folgen
Was die befürchtete Erosion des Abkommens für die betroffenen Branchen genau bedeutet, ist unklar. Der Bundesrat und Studien der Konjunkturforschungsstelle KOF, Ecoplan und von BAK Economics aus dem Jahr 2015 rechnen mit Kosten von einem halben bis einem Prozent des Warenwerts. Das würde pro Jahr 360 bis 720 Millionen an Kosten bedeuten.
Die Studien stützen sich dabei auf eine Annahme des Seco und eine Dissertation an der Universität Genf aus dem Jahr 2008. Letztere hat allerdings nicht die Kosten bei einem Wegfall, sondern den Nutzen bei der Einführung des Abkommens untersucht und einen Effekt von 0,4 bis 0,6 Prozent festgestellt, was 287 bis 431 Millionen Franken entsprechen würde. Ob der Nutzen den Kosten bei einer Erosion entspricht, war nicht Teil der Studie. Hinzu kommt: Basis bilden Exportdaten aus den 1990er-Jahren und bis 2006. Das Seco schreibt auf Anfrage, dass es unklar sei, ob die Annahme noch zutreffe.
Besser untersucht sind die Auswirkungen einer Erosion des Abkommens auf die Bevölkerung: Eine Studie von Ecoplan von 2015 berechnete den Wachstumsverlust der Löhne der heutigen Bevölkerung der Schweiz von 0,7 Prozent während 18 Jahren, also rund 0,04 Prozent pro Jahr. Die Rendite auf Kapital dürfte laut der Studie in 18 Jahren ebenfalls um 0,7 Prozent sinken.
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