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Analyse zu EU-Gipfel über Corona-Hilfen
Rauft euch zusammen!

Vier Frauen unter Männern am EU-Gipfel, bei dem eine Maskenpflicht gilt: Sophie Wilmes, Regierungschefin Belgiens, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Sanna Marin, Ministerpräsidentin von Finnland.
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Rauft euch zusammen! Das möchte man ihnen gern zurufen. Die Staats- und Regierungschefs der EU stehen unter Beobachtung wie selten zuvor. Schaffen sie es, sich auf eine kraftvolle Antwort zur Wirtschaftskrise zu einigen, die nach Corona die EU zu zerreissen droht? Oder brauchen sie mehrere Anläufe, bis das Hilfspaket über 750 Milliarden Euro zerredet ist und am Ende nur ein winziger gemeinsamer Nenner steht, mit dem alle gerade noch leben können, der aber dem drohenden dramatischen Einbruch nicht gerecht wird?

Erstmals seit Ausbruch der Pandemie und nach Monaten der Videokonferenzen ist das wieder ein physischer Gipfel in Brüssel. Aber das Virus verändert die Choreografie. Auch für die Staats- und Regierungschefs gilt in den Gängen Maskenpflicht. Man tagt im Europagebäude in Brüssel im grössten Raum: Merkel, Macron und Co. müssen weit auseinander sitzen können. Statt der üblichen grossen Delegationen darf jeder Staats- und Regierungschef nur sechs Mitarbeiter ins Gipfelgebäude mitbringen.

Am heutigen ersten Tag des Gipfels sind die Erwartungen vorsichtig formuliert worden. «Ich kann nicht sagen, ob wir ein Ergebnis erzielen werden», sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Brüssel. Und der niederländische Regierungschef Mark Rutte schätzte die Erfolgschancen auf weniger als 50 Prozent ein.

Komplizierte Fronten

Es wird spekuliert, dass es vielleicht einen zweiten Gipfel braucht, möglicherweise Ende Juli, also mitten in der Sommerpause. Die Europäer schauen zu, doch auch in den USA, Russland oder China dürfte man interessiert beobachten, ob und wie sich die EU behauptet. Ein Scheitern würde Standing und Glaubwürdigkeit der EU auf der globalen Bühne nicht gerade stärken. In den EU-Mitgliedsstaaten mit hohen Opferzahlen und starkem Wirtschaftseinbruch wegen der Corona-Krise würde die Euroskepsis frische Nahrung bekommen.

Das alles wissen natürlich die Staats- und Regierungschefs auch, und trotzdem scheinen die Fronten verworren und festgefahren. Es liegt nicht an Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die diesmal eng kooperieren und mit einem deutsch-französischen Kompromiss die Grundlage für eine grosse Lösung gelegt haben. Es geht um sehr viel Geld, um rund 1,8 Billionen Euro.

Rund eine Billion Euro ist für den siebenjährigen Finanzrahmen vorgesehen, also für die üblichen Programme der EU, von der Landwirtschaft über die Struktur- und Kohäsionsfonds bis hin zur Forschung. Neu und historisch ist, dass die EU-Kommission zusätzlich erstmals Schulden machen beziehungsweise Geld aufnehmen können soll, und zwar in Höhe von 750 Milliarden Euro für den Corona-Wiederaufbaufonds.

Die Zeit drängt, wenn die EU sich vor den Augen ihrer Bürger und der Weltöffentlichkeit nicht als schwach und zerstritten darstellen will.

Einer schnellen Einigung im Weg stehen die sogenannten geizigen vier, angeführt vom Niederländer Mark Rutte, mit Österreich, Schweden und Dänemark im Schlepptau. Ihnen ist das Ganze zu teuer. Die Hilfsgelder sollen zudem als Kredite mit strengen Reformauflagen und nicht wie geplant zu einem grossen Teil als Subventionen verteilt werden. Das erinnert die Südeuropäer, die auf rasche Hilfe angewiesen wären und sich nicht weiter verschulden wollen, allzu sehr an das unpopuläre Kontrollregime während der Eurokrise.

Eine weitere Konfliktlinie verläuft zwischen Ungarn, Polen, der Slowakei und Tschechien sowie den Nettozahlern im Club, also vor allem den Nordeuropäern. Diese pochen darauf, dass Auszahlungen blockiert werden können, wenn Regierungen wie in Budapest oder Warschau Demokratie und Rechtsstaat abbauen. Ebenfalls nachvollziehbar: Wo kein Rechtsstaat mehr ist, sind auch keine unabhängigen Gerichte mehr, die notfalls gegen Korruption oder Verschwendung von europäischen Steuergeldern vorgehen könnten. Die Nordeuropäer wollen den Umbau Ungarns oder Polens in illiberale Demokratien nicht länger mitfinanzieren.

Wie diese Konfliktlinien überwunden werden können, ist schwer absehbar. Dabei drängt die Zeit, wenn die EU sich vor den Augen ihrer Bürger und der Weltöffentlichkeit nicht als schwach und zerstritten darstellen will.