Kommentar zu Racial ProfilingUrteil zu Diskriminierung ist ein Grund zum Schämen
Der Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt die Schweiz wegen rassistischer Polizeikontrolle. Das kommt überraschend.
Ein Schweizer Bibliothekar kenianischer Herkunft, Mohamed Wa Baile, wird im Februar 2015 am Hauptbahnhof Zürich von der Stadtpolizei angehalten. Er ist gerade auf dem Weg zur ETH, wo er arbeitet. Er weigert sich, grundlos seinen Ausweis zu zeigen. Er sei es leid, wegen seiner Hautfarbe immer wieder kontrolliert zu werden, obwohl er ganz gewöhnlich zur Arbeit gehe, erklärt er sich.
Trotzdem erhält er eine Busse von 150 Franken wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnungen. Weil er damit nicht einverstanden ist, verlangt er eine gerichtliche Beurteilung und macht eine Verletzung des Diskriminierungsverbots geltend.
Doch sowohl das Bezirksgericht Zürich als auch später das Ober- und das Bundesgericht erkennen in der Identitätskontrolle kein Racial Profiling. So nennt sich die Methode, die vermutete Herkunft einer Person – etwa aufgrund der Hautfarbe oder von Gesichtszügen – zum Anlass für polizeiliche Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen zu nehmen. Racial Profiling gilt als diskriminierend und ist deshalb illegal.
Wa Baile zieht den Fall nach Strassburg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter. Erst dort erhält er recht.
Der Menschenrechtsgerichtshof rüffelt die Schweiz: Die hiesigen Gerichte hätten die Frage der Diskriminierung nicht genügend genau geprüft. Dies, obwohl das Verwaltungsgericht festgestellt habe, dass die polizeiliche Durchsuchung aus diskriminierenden Gründen erfolgt sei. Zudem würden mehrere internationale Organisationen über Fälle von Racial Profiling durch die Polizei in der Schweiz berichten, heisst es im Urteil.
Das ist ein Paukenschlag. Viel zu oft wurde Racial Profiling in der Schweiz auf die leichte Schulter genommen. Bis heute gibt es keine unabhängige Ombudsstelle, die Fälle von Polizeigewalt und Racial Profiling überprüft, obwohl Menschenrechtsorganisationen seit vielen Jahren dafür lobbyieren.
Niemand darf wegen der Rasse diskriminiert werden. Das steht in Artikel 8 der Bundesverfassung. Dennoch hat Wa Baile neun Jahre und den Gerichtshof für Menschenrechte benötigt, um sich Gehör zu verschaffen. Die Schweizer Institutionen waren nicht in der Lage, dem Racial Profiling bei Wa Baile angemessen und entschieden entgegenzutreten, wie dies ihre Aufgabe gewesen wäre.
Zum Glück ist wenigstens Strassburg gewillt, grundlegende Menschenrechte zu gewährleisten. Es zeigt sich aber auch, dass es in der Schweiz nicht immer so gut um die Menschenrechte bestellt ist, wie sie selbst gern behauptet.
Es stünde der Schweiz gut an, beim Schutz vor Polizeigewalt einen höheren Standard zu etablieren als das Minimum, das durch den Gerichtshof für Menschenrechte geschützt wird. Dadurch würden nicht nur Verurteilungen in Strassburg verhindert. Auch die Freiheit des Individuums wäre besser gewährleistet.
Jedenfalls haben sich die Schweizer Institutionen – sowohl Polizei als auch Gerichte – des Themas Racial Profiling nun ernsthaft anzunehmen. Wegen Racial Profiling verurteilt zu werden, ist ein Grund, sich zu schämen.
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