Premiere für Prinz Charles«Queen’s Speech» ohne Queen weist auf das nahe Ende einer Ära hin
Weil Elizabeth II. aus Gesundheitsgründen unpässlich war, verlas der britische Thronfolger die Regierungserklärung. Der Inhalt: harsche neue Gesetze und eine Provokation gegen die EU.
Die Hauptperson fehlte am Dienstag im Thronsaal von Westminster in London. Erstmals seit 59 Jahren musste die Queen ihren wichtigsten jährlichen Auftritt als Staatsoberhaupt absagen. Die 96-jährige Monarchin kämpfe mit «sporadischen Mobilitätsproblemen», erklärte man ihre Abwesenheit bei Hofe. Ihre Ärzte hätten ihr nahegelegt, auf den Termin im Parlament zu verzichten.
In den letzten Monaten hatte Elizabeth II. schon mehrfach grossen Anlässen fernbleiben müssen, weil sie zu einer Teilnahme gesundheitlich nicht in der Lage war. Vertreten liess sich die Königin durch den Prinzen von Wales, Prinz Charles, und dessen ältesten Sohn, Prinz William, die beide dem vierköpfigen Kronrat angehören. Die anderen Räte sind Prinz Andrew und Prinz Harry, die für Staatsfunktionen nicht zur Verfügung stehen.
Charles und William waren über Nacht in aller Form bevollmächtigt worden, für die Thronrede der Queen einzuspringen. Premierminister Boris Johnson erklärte, er «respektiere die Wünsche Ihrer Majestät» und sei «dem Prinzen von Wales dankbar» für die Vertretung der Monarchin. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Unersetzlich» und das Interview mit Bundespräsident Ignazio Cassis «Die Queen hat grosse Bewunderung für die Schweiz».)
Immer mehr öffentliche Absenzen der Königin
Die Thronrede ist die jährliche Regierungserklärung, die vom jeweiligen Regierungschef verfasst und seit alters her vom Staatsoberhaupt verlesen wird. Wiewohl die Vollmacht nur für diesen einen Auftritt galt, wurde ihre Ausstellung als bisher klarstes Zeichen für die Übergabe neuer, entscheidender Verantwortung an den Thronfolger gewertet. Charles beginnt, seine Mutter immer häufiger zu vertreten.
In den britischen Medien hat die Abwesenheit von Elizabeth II. erneut Spekulationen über ihre künftige Präsenz in der Öffentlichkeit ausgelöst. Auch bei den vier königlichen Gartenpartys dieses Sommers, von denen die erste diese Woche stattfindet, ist sie nicht mit dabei. Anfang Juni, wenn die viertägigen Feiern zu ihrem «Platinum-Jubiläum» stattfinden, will sie an mehreren Veranstaltungen teilnehmen – wenn sie kann.
Die Regierungserklärung kündigte neue Gesetze an, die «die öffentliche Ordnung» stärken sollen. Diese richten sich gegen Demos.
Für die Thronrede, die vom Prinzen von Wales verlesen wurde, hatte man den Thron etwas zur Seite gerückt, um zu verdeutlichen, dass Charles (noch) nicht die massgebliche Person ist im Land. Leicht nach vorne gerückt, auf einem Tischlein mit rotem Samtkissen, lag die grosse Staatskrone, um die abwesende Monarchin zu repräsentieren. Camilla und William bezogen auf den Flügeln Position.
Der Autor der Thronrede, der Premierminister, lauschte der Verlesung «seiner» Erklärung wie üblich von den Seitenrängen des Saals, flankiert von Ministern und Oppositionspolitikern. Noch in den 24 Stunden vor der Thronrede hatte Boris Johnson ein paar ursprünglich geplante und wenig umstrittene Gesetzesvorhaben «gekippt», um Platz zu schaffen für eine Reihe harscherer Pläne, von denen er sich positive Reaktionen erhoffte bei seinen Hinterbänklern und beim konservativen Wählervolk. (Lesen Sie dazu die Analyse «Johnson betreibt Wahlkampf, statt zu regieren»).
Unter anderem kündigte die Regierungserklärung neue Gesetze an, die «die öffentliche Ordnung» stärken sollen. Gemeint sind damit Massnahmen, die Protestveranstaltungen unterbinden sollen, wenn diese «das öffentliche Leben stören» – auch wenn sie völlig gewaltlos ablaufen.
Der Plan zielt vor allem darauf, Anti-Rassismus-Proteste, Demonstrationen gegen Klimawandel oder Aktionen gegen Flughafenerweiterungen oder neue Bahntrassen zu begrenzen. Zuwiderhandeln soll künftig mit Gefängnis bestraft werden können, wo Demonstranten etwa beharrlich öffentliche Gebäude belagern oder den Verkehr blockieren. Harte Worte fielen auch zum Zuzug von Flüchtlingen über den Ärmelkanal. Zur «Sicherung der Grenzen» werde man rücksichtslos gegen «illegale Migranten» vorgehen.
Als «enttäuschend» wurden von der Opposition die Teile der Thronrede quittiert, die sich mit den bedrohlich steigenden Lebenshaltungskosten in Grossbritannien beschäftigten. Neuesten Schätzungen britischer Wohlfahrtsorganisationen zufolge sehen sich inzwischen bereits zwei Millionen Briten gezwungen, an manchen Tagen auf eigene Mahlzeiten zu verzichten, um ihre Kinder versorgen zu können.
Auch Geld fürs Heizen von Wohnungen ist vielfach knapp geworden. Im Herbst sollen die Energiepreise noch einmal dramatisch anziehen, aber ob die Regierung Hilfsmassnahmen ergreift, ist derzeit noch nicht klar.
«Jedes Pfund an Steuergeldern, das wir jetzt zur Reduktion von Rechnungen ausgeben würden», hiess es dazu in der Thronrede, «wäre ein Pfund, das wir nicht investieren können in die langfristige Senkung von Rechnungen und Preisen.» Am wichtigsten sei es, die Wirtschaftskraft des Landes zu stärken und neue Arbeitsplätze zu schaffen überall.
Grossbritannien vor Verstoss gegen Nordirland-Protokoll
Nur andeutungsweise nahm die Regierungserklärung Bezug auf eins der heissesten politischen Themen – die Frage, ob der Premier vor hat, im gegenwärtigen Streit um das sogenannte Nordirland-Protokoll gegen das erst vor zwei Jahren mit der EU geschlossene Brexit-Abkommen zu verstossen, also Vertragsbruch zu begehen.
Nordirlands Unionisten haben Johnson aufgefordert, die im Protokoll vereinbarten Grenzkontrollen zwischen Grossbritannien und Nordirland zu stoppen, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs absetzten. Dazu hiess es in der Thronrede, «die Intaktheit des gesamten Vereinigten Königreichs» sei für London «von oberster Bedeutung»: Und das schliesse «die internen wirtschaftlichen Bande zwischen allen seinen Teilen» ein.
Tatsächlich hatte Aussenministerin Liz Truss schon vorige Woche signalisiert, dass ein Gesetz in Vorbereitung sei, das gewisse Bestimmungen des Nordirland-Protokolls auf britischer Seite für null und nichtig erklären würde. Die oppositionelle Labour-Partei warnte, dass eine derart feindselige Aktion unweigerlich zu einem Handelskrieg mit der EU führen würde. Irlands Regierungschef Micheál Martin berichtete, Johnson habe sich bei einem Telefongespräch geweigert, einseitige britische Aktionen in dieser Frage auszuschliessen.
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