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Interview mit Nawalny-Vertrautem
«Putin hat von Lukaschenko gelernt»

«Putin ist unglücklich mit der politischen Lage im Land»: Leonid Wolkow (r.) mit Oppositionsführer Alexei Nawalny (M.) und dessen Frau Julia Nawalnaja.
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Wenn es richtig stressig wird, gibt Leonid Wolkow auch Zoom-Interviews, während er Auto fährt. Der 40-Jährige gilt als wichtigster Vertrauter von Alexei Nawalny und leitet dessen grosses Netzwerk aus seinem litauischen Exil heraus. Das gerät immer mehr unter Druck: Die regionalen Büros und andere Organisationen Nawalnys sollen als «extremistisch» eingestuft werden, ein Gericht entscheidet bald darüber. Um die Mitarbeiter zu schützen, hat Wolkow die regionalen Gruppen vorsorglich bereits aufgelöst.

Herr Wolkow, hätten Sie gedacht, dass der Kreml Ihr Netzwerk so schnell und anstandslos zerstören kann?

Es ist nicht zerstört, es verändert sich nur. Das ist okay, Flexibilität war immer unsere Stärke. Ja, unsere regionalen Büros existieren nicht mehr als formale Einheiten. Aber daraus sind unabhängige politische Organisationen gewachsen, von denen wir sicher hören werden. Unsere Antikorruptionsstiftung haben wir offiziell schon im August 2020 geschlossen. Trotzdem gehen unsere Recherchen gegen Korruption weiter. Alexei Nawalnys Bewegung ist nicht weg, sondern wird stärker.

«Die Unterstützung für das, was wir tun, wächst.»

Das ändert nichts daran, dass sich Ihre Helfer einem immer grösseren Risiko aussetzen.

Das Risiko wächst. Aber auch das ist nichts Neues. Es begann schon 2017, als die Leute erkannten, dass sie für die Teilnahme an einer Demo ins Gefängnis geschickt werden können. Das war vorher nicht passiert. Als 2019 unsere gesamte Ausrüstung beschlagnahmt, unsere Bankkonten blockiert und unsere regionalen Büros durchsucht wurden, war klar, dass man unsere Organisationen zerstören will. Und jetzt kommen neue Risiken dazu, das stimmt. Putin ist unglücklich mit der politischen Lage im Land und versucht, den Druck zu erhöhen. Wir sehen trotzdem, dass sich uns mehr Menschen anschliessen.

Erklären Sie das.

Die Unterstützung für das, was wir tun, wächst. Manchen Aktivisten wurde das Risiko zu hoch, das stimmt. Einige Mitarbeiter sind gegangen, weil sie Familie haben, Verantwortung für ihre alten Eltern, Kinder. Keiner sollte dafür kritisiert werden. Ihr Platz bleibt nicht leer. Neue Leute kommen, die vielleicht jünger, wütender und bereit sind, diese Risiken einzugehen. Das ist ein natürlicher Prozess. Finde ich gut, dass moderate Leute die Organisation verlassen und wütendere kommen? Nein. Aber dafür ist Putin verantwortlich.

Kürzlich entliess die Moskauer Metro vermutlich mehr als hundert Mitarbeiter, weil sie online für eine Nawalny-Demo gestimmt hatten.

Was die Moskauer Behörden tun, verstösst gegen russisches Gesetz. Demnach kann man ins Gefängnis kommen, wenn man sein Amt missbraucht, um jemanden aufgrund seiner politischen Position zu diskriminieren. Im schönen Russland der Zukunft wird der Moskauer Transportminister Maxim Lixutow bestraft. Generell ist das eine furchtbare Repression und sie ist effektiv. Tatsächlich schreckt sie Leute ab, sich an friedlichen Protestaktionen zu beteiligen oder für Smart-Voting zu registrieren. Das sind sehr schlechte Nachrichten.

«Ich habe absichtlich keinen Kontakt mit der weissrussischen Opposition.»

Apropos Smart-Voting: Die Behörden werden wohl ohnehin alle Kandidaten, die mit Nawalny in Verbindung stehen, von der Parlamentswahl im Herbst ausschliessen.

Für unsere Smart-Voting-Strategie ist das irrelevant. Wir empfehlen den Wählern, in jedem Wahlkreis für den Kandidaten zu stimmen, der die besten Chancen hat gegen den der Kremlpartei Einiges Russland. Uns interessiert die politische Zugehörigkeit dabei nicht, ob dieser Kandidat unabhängig ist oder nicht. Das macht diesen Ansatz so stark, weil der Kreml nichts dagegen tun kann.

Sie leben in Vilnius, wohin auch viele Weissrussen geflüchtet sind. Welche Parallelen sehen Sie zwischen den Repressionen in Weissrussland und in Russland?

Putin hat eindeutig von Lukaschenko gelernt, dass man im Jahr 2021 einen Protest in einer europäischen Hauptstadt niederschlagen und damit davonkommen kann. Aber ich habe absichtlich keinen Kontakt mit der weissrussischen Opposition, weil ich mich um so viele Dinge in Russland kümmern muss. Wir verfolgen die Nachrichten aus Weissrussland mit viel Mitgefühl und Sorge. Aber wir ziehen keine Schlüsse daraus, weil wir wissen, dass es bei aller Ähnlichkeit auch Unterschiede gibt.

Könnte der Kreml irgendwann ähnlich gewaltsam agieren wie Lukaschenko?

Der Kreml nutzt bereits eine vergleichbare Gewalt. Aber Putin läuft immer noch hinter Lukaschenko her. Vor zehn Jahren war Putin wahrscheinlich fünf Jahre hinter Lukaschenko, heute ist er eher fünf Monate hinter ihm. Die Geschichte mit den Entlassungen der Moskauer Metro ist ein klares Zeichen. Niemand konnte sich so etwas vor einem Jahr vorstellen. Die Behörden haben diese Lektion sicher von Belarus gelernt.

«Putins Wunsch, ein Milliardär zu sein und seine Freunde zu Milliardären zu machen, ist eine treibende Kraft hinter den Repressionen.»

Sie werben für individuelle Sanktionen gegen Putins engeren Kreis von Oligarchen.

Sehr richtig. Doch dafür muss man klar und notfalls vor Gericht beweisen können, dass diese Leute etwa für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Das ist wirklich kompliziert, aber sie helfen uns auch dabei. Wladimir Putins Wunsch, ein Milliardär zu sein und seine Freunde zu Milliardären zu machen, ist eine treibende Kraft hinter den Repressionen. Bei allen Oligarchen ist es praktisch dasselbe: Ein System, das auf Menschenrechtsverletzungen aufgebaut ist, macht sie zu den reichsten Leuten des Planeten. Wir können das europäischen Politikern beweisen.

Wenn Putin mehr Druck aus Europa spürt, wird er diesen Druck nicht an die Opposition weitergeben?

Im Gegenteil. Nur wenn Europa endlich eine härtere Position gegen Putin einnimmt und beginnt, Druckmittel wie persönliche Sanktionen aufzubauen, erreicht es auch etwas. Der Westen spricht immer von roten Linien, und Putin überquert diese roten Linien. Das bestätigt ihn darin, dass er machen kann, was er will. Das muss aufhören.