Letzter Besuch in RusslandPutin erteilt Merkel eine Abfuhr nach der anderen
Zum wohl letzten Mal in ihrer Amtszeit trifft sich die deutsche Kanzlerin in Moskau mit Russlands Präsident. Der verteilt zum Abschied keine Geschenke.
Man hatte gemunkelt, ob Wladimir Putin womöglich deswegen einen besonders schönen Saal für die Pressekonferenz ausgewählt hatte, um der Bundeskanzlerin ein Abschiedsgeschenk zu machen. Dann aber konnte auch der ganze vergoldete Stuck nicht darüber hinwegtäuschen, dass da zwei nebeneinanderstanden, die sich kaum vermissen werden. Bei all den Meinungsverschiedenheiten, sagte Merkel zwar zu Beginn, sei sie «froh, dass wir miteinander reden». Doch das war auch schon der einzige Punkt auf der Haben-Seite.
Die Problemliste, die die beiden Staatschefs dann herunterratterten, erschien dagegen länger als je zuvor: Alexej Nawalny im Gefängnis, die Taliban in Afghanistan, der Diktator in Belarus, der Konflikt in der Ostukraine, Syrien, Libyen, das Arbeitsverbot für drei deutsche Nichtregierungsorganisationen in Russland – zu alten ungelösten Konflikten kommen immer neue hinzu. Vielleicht – so raunte es nach der Konferenz durch den prunkvollen Saal, habe man wegen Corona einfach mehr Platz gebraucht. Geschenke machte Putin Merkel auch bei diesem Treffen nicht.
Die Bundeskanzlerin begann mit einem Reizthema: «Ich habe vom Präsidenten noch einmal die Freilassung von Alexej Nawalny gefordert», sagte sie. Merkels Abschiedsbesuch ist ausgerechnet auf den Tag gefallen, an dem der Oppositionelle vor einem Jahr mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden war. Sie sprach schon damals von «versuchtem Giftmord» und gab dem Kreml die Schuld daran. Seither ist es zwischen ihr und Putin noch eisiger geworden.
Nawalny sitzt nun nach einem Verfahren im Straflager, das Merkel genauso wie der europäische Gerichtshof für Menschenrechte als politisch motiviert betrachten. Auf die Frage, unter welchen Umständen Nawalny denn freigelassen werden könne, antwortete Putin nur, dass «diese Person» allein wegen ihrer Straftaten hinter Gittern sitze. Man solle die russischen Gerichtsurteile doch bitteschön respektieren.
Merkel erhält eine Abfuhr nach der anderen
Nawalny und sein Team fordern von Brüssel nun zusätzliche Sanktionen gegen russische Oligarchen, die Putins System stützen. Während Merkel betonte, sie glaube «sehr wohl» dass «Korruption und politische Systeme miteinander verbunden sind», wollte Putin keinen Zusammenhang sehen. Überhaupt: «Korruptionsbekämpfung» solle nur von Menschen durchgeführt werden, «die selbst alle Gesetze makellos berücksichtigen». Ein Seitenhieb auf Nawalny, eine Abfuhr für Merkel.
Bei ihrem zweiten grossen Anliegen hätte die Bundeskanzlerin eigentlich mehr Entgegenkommen erwarten dürfen. Es ging um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, über die sich Berlin zuletzt mit Washington gestritten hatte, nicht mit Moskau.
Nun kam Merkel mit einer konkreten Aufgabe in den Kreml: Sie sollte dafür sorgen, dass der Kreml trotz neuer Ostsee-Leitung weiterhin Gas durch seine Pipeline durch die Ukraine pumpt – und zwar über 2024 hinaus. Im Gegenzug muss die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 keine Sanktionen mehr aus Washington fürchten.
Die «Frau Bundeskanzlerin», sagte Putin, habe sich schon immer dafür eingesetzt, dass Moskau die ukrainische Leitung auch nach dem Vertragsende 2024 weiter nutze. Letztlich, so liess Putin durchblicken, hänge das aber doch von den Gasbestellungen aus Europa ab.
Auch hier schenkte er Merkel nichts. Die hatte zuvor erklärt, sie werde sich «bis zu meinem letzten Amtstag» für die territoriale Souveränität der Ukraine einsetzen. Der Friedensprozess, in dem sie sich gemeinsam mit Putin sowie dem französischen und dem ukrainischen Präsidenten um eine Lösung bemühen wollte, stagniert seit Jahren.
Schadenfreude in Moskau
Das aktuellste und wohl drängendste Thema auf der Krisenliste ist Afghanistan. Das Land ist an die Taliban zurückgefallen, noch bevor alle amerikanischen Truppen abziehen konnten. Seither spürt man bei aller Sorge wegen neuer Terrorgefahren auch Schadenfreude in Moskau. Er glaube, sagte Putin, dass viele westliche Politiker «allmählichen verstehen», dass sie ihre demokratischen Werte «anderen Völkern nicht aufdrängen dürfen».
Moskau pflegt Kontakt zu den Taliban, die russische Botschaft in Kabul blieb geöffnet. Merkel bat den Kremlchef sogar, sich im Gespräch mit den Taliban dafür einzusetzen, dass die Helfer der westlichen Truppen und Organisationen das Land verlassen dürfen. Putin sagte dazu nichts.
Merkels Schlusswort fasste die Lage gut zusammen. In ihren 16 Jahren als Bundeskanzlerin hätten sich die politischen Systeme von Deutschland und Russland noch weiter auseinanderentwickelt. Trotzdem werde sie immer dafür werben, «dass das Nicht-Sprechen keine Lösung ist». Verschwurbelter geht es kaum.
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