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Eltern nach Kindstötung vor Gericht
Bremgarten: Abgehörte Gespräche zeigen Abgründe in Familie

Bilder vor dem Bezirksgericht in Bremgarten mit Andreas Glarner und dem Journalisten Hansi Voigt. 07.02.2024

Ist Andreas Glarner rechtsextrem. Um das geht es in diesem Gerichtsfall. Anlass dazu ist ein Tweet des Journalisten Hansi Voigt, der Glarner als «Gaga-Rechtsextremist» betitelte.
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Vor dem Bezirksgericht Bremgarten im Kanton Aargau sind am Dienstag zwei völlig unterschiedliche Motivationen für die Tötung eines behinderten Kleinkindes im Mai 2020 erläutert worden. Die Anklägerin sprach von Egoismus und Skrupellosigkeit, die Verteidiger von Liebe und Ohnmacht.

Unbestritten ist: Am Abend des 6. Mai 2020 wurde in Hägglingen ein zerebral schwer behindertes dreijähriges Mädchen von seinen Eltern mit Ecstasy betäubt und anschliessend durch Bedecken der Atemwege erstickt.

Wie die heute 32-jährige Mutter und der 34-jährige Vater dazu kamen, die Tat zu verüben, dazu präsentierten Anklage und Verteidigung diametral unterschiedliche Versionen.

Egoismus versus Liebe als Tötungs-Motivation

Nach dem Tod des Kindes wurden dessen Eltern überwacht. Die aufgezeichneten Gespräche zeigen ein Familienleben, das jenem widerspricht, das die beiden als Beschuldigten am Montag geschildert haben.

Schimpfwörter der übelsten Sorte, Respektlosigkeit, Ungeduld, Aggressivität prägten das Familienleben, in der das zerebral beeinträchtigte Mädchen aufwuchs. Dies machten einige Chats und Protokolle von Gesprächen unter den Eltern deutlich, welche die Staatsanwältin am Montag im Rahmen ihres Plädoyers vorlegte.

Das Kind habe zwar eine lebenslange Beeinträchtigung gehabt. Dass diese nicht heilbar war, bedeute aber nicht, dass der Zustand des Mädchens nicht hätte verbessert werden können, sagte sie.

Dies sei auch die Ansicht der Ärzte und Therapeuten gewesen. Die Eltern hätten sämtliche Massnahmen abgelehnt oder gar aktiv verhindert, wie etwa das Einsetzen einer Magensonde.

Als das Ausmass der Behinderung klar war, sei für die Eltern festgestanden, dass ihre Tochter sterben musste, wie die Anklägerin sagte. Sie hätten nicht abgewartet, welche Verbesserungsmöglichkeiten es gegeben hätte. Die Staatsanwältin präsentierte Fotos des Kindes, aufgenommen kurz vor dessen Tod, die ein fröhlich wirkendes kleines Mädchen zeigten.

Auch dies widersprach den Schilderungen der Eltern, wonach das Kind dauernd und zunehmend unter Schmerzen und Krämpfen gelitten habe und immer trauriger geworden sei. Die Anklägerin zitierte die Physiotherapeutin des Kindes, welche dieses als motiviertes, positives, fröhliches Mädchen bezeichnete, es sei «eine Strahlerin» gewesen.

Verteidiger der Mutter plädiert auf Totschlag

Vor dem Bezirksgericht Bremgarten im Kanton Aargau hat der Verteidiger der Mutter am Dienstag auf eine Verurteilung seiner Mandantin wegen Totschlags plädiert. Seine Mandantin habe unter grosser seelischer Belastung gehandelt.

Die Staatsanwältin forderte eine Verurteilung wegen Mordes und Bestrafung mit je 18 Jahren Freiheitsentzug. Zudem seien die aus Deutschland stammenden Beschuldigten für je 15 Jahre des Landes zu verweisen.

Eine deutlich mildere Strafe forderte der Verteidiger. Sie seien weder egoistisch gewesen, noch seien sie skrupellos oder grausam vorgegangen. Von Mord könne keine Rede sein. Die Eltern hätten unter dem Einfluss einer lange gewachsenen, schweren seelischen Belastung gehandelt. Sie seien wegen Totschlags zu verurteilen. Angemessen sei jeweils eine teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Auf eine Landesverweisung der aus Deutschland stammenden Beschuldigten sei zu verzichten, sagte der Verteidiger. Er berief sich auf das Freizügigkeitsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz. Eine Bedingung für eine Landesverweisung wäre eine schwerwiegende Gefährdung der Gesellschaft in der Schweiz. Eine solche liege nicht vor.

Niemand bestreite, dass 2020 in Hägglingen der dreijährigen schwer behinderten Tochter seiner Mandantin das Leben genommen worden sei, sagte der Verteidiger. Für die Staatsanwältin sei schnell klar gewesen: Eine überforderte Mutter habe ihr Kind loswerden wollen und habe es – zusammen mit ihrem Partner – kaltblütig ermordet.

Voreingenommene Anklägerin

Der Verteidiger warf der Anklägerin eine voreingenommene, einseitige Untersuchung vor. In ihrem Plädoyer habe sie jene Belege herausgepickt, die in ihre Theorie passen würden. Bezeichnenderweise habe sie unter anderem keine Aussagen der Ärzte des Kindes zitiert.

So habe sie etwa Aussagen der Ärzte verschwiegen, die für das Kind zwar kleine Fortschritte für möglich hielten – insgesamt aber werde es sein Leben lang von Schmerzen, Lähmungen und Krämpfen geplagt sein und rund um die Uhr Betreuung benötigen.

Angesichts der Leiden des Kindes, gegen die sie nichts hätten tun können, seien die Eltern verzweifelt. Schliesslich hätten sie beschlossen, ihr Kind zu erlösen. Sie hätten dies aus Liebe und aus Ohnmacht getan.

Die aufgeführten Chats und Abhörprotokolle seien auch einseitig. Es sei klar, dass Eltern in einer Ausnahmesituation auch mal ausfällig würden. Es gebe genauso Belege für ruhige, sachliche Gespräche.

In der Familie habe es durchaus glückliche Momente gegeben. Die Fotos seien in solchen Augenblicken entstanden. Alle Eltern fotografierten ihre Kinder in glücklichen Momenten und nicht, wenn sie vor Schmerzen schrien oder Krämpfe erlitten.

Der Anwalt bekräftigte die Aussagen, welche die 32-jährige Mutter am Montag vor Gericht gemacht hatte: Dass sie und der Kindsvater angesichts des Leidens ihrer Tochter diese «erlösen wollten». Sie hätten das Kind keineswegs loswerden wollen – das wäre einfach gewesen: Man hätte ihm eine Magensonde einsetzen lassen und es in eine Institution abgegeben.

Freispruch für Grossmutter

Die Grossmutter des Kindes wird von der Staatsanwaltschaft der Gehilfenschaft zum Mord beschuldigt. Bestraft werden solle sie mit fünf Jahren Freiheitsentzug und 15 Jahren Landesverweis. Sie habe vom Plan gewusst und ihre Tochter und deren Freund darin bestärkt.

Der Verteidiger der 52-Jährigen stellte dies in Abrede. Seine Mandantin habe zwar vom Tötungsplan gewusst, aber davon abgeraten. Sie sei vollumfänglich freizusprechen.

In ihren Schlussworten betonten die Eltern, sie hätten ihre Tochter aus Liebe von ihren Leiden erlöst. Die Mutter versicherte, ihre der Gehilfenschaft beschuldigte Mama habe nichts mit der Tat zu tun, sie sei dagegen gewesen. Der Vater sagte unter Tränen, er wolle «die Unterstellung aus der Welt schaffen», sie hätten «keine Lust auf unsere Tochter» gehabt und sie «aus der Welt haben» wollen.

Das Urteil wird am Freitag eröffnet.

SDA/oli