Zürcher GerichtsposseMutmasslich getötete Milieufigur soll vor Richter erscheinen
Seit Ende Juli ist Damir K., Geschäftsführer des berühmt-berüchtigten Lokals Neugasshof, verschwunden. Nun sollte er sich gleich vor zwei Zürcher Gerichten verantworten.
Taucht er auf oder nicht? Diese Frage beschäftigte kürzlich das Bezirksgericht Zürich. Damir K., enger Vertrauter des stadtbekannten Milieubeizers Roland Gisler, sollte sich wegen Verstössen gegen die Covid-Verordnung vor Gericht verantworten.
Doch die Zürcher Milieufigur ist seit mehr als zwei Monaten wie vom Erdboden verschluckt. Zuletzt lebend gesehen wurde der 46-Jährige Ende Juli in Olten, wo es zu einer mutmasslich tödlichen Auseinandersetzung um Geld mit einem seiner Geschäftspartner gekommen sein soll, wie gut informierte Kreise berichten. Aus diesem Anlass führten die Zürcher und Solothurner Kantonspolizeien Mitte August eine Grossrazzia im Oltener Milieu durch.
Ein Sprecher des Bezirksgerichts teilte vor der geplanten Verhandlung mit: «Abgesehen von den Spekulationen in den Medien haben wir keine Kenntnis über den Verbleib des Beschuldigten. Nach aktuellem Stand kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass er zur Verhandlung erscheinen wird.»
4 Jahre U-Haft und 7 Jahre Vorstrafen
Damir K. ist für die Zürcher Justiz alles andere als ein unbeschriebenes Blatt: Wie sein Compagnon, der Neugasshof-Besitzer Roland Gisler, ist er in das Datenleck der Justizdirektion verwickelt, das inzwischen eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) beschäftigt.
Lange vor dessen Bekanntwerden sass der gebürtige Montenegriner über vier Jahre am Stück in Untersuchungshaft und häufte wegen Drogendhandels und Drohungen Vorstrafen von mehr als sieben Jahren an. Nach dem zweimaligen Weiterzug ans Bundesgericht sollte sich der 46-Jährige – zusätzlich zum Verfahren am Bezirksgericht – vor dem Zürcher Obergericht verantworten. Sein Verteidiger Daniel Walder sagt: «Auf diesen Prozess hatte er sich gefreut.»
Busse nicht akzeptiert
Vor dem Bezirksgericht ging es um einen Strafbefehl, den Damir K. vor seinem Verschwinden angefochten hatte. Er sollte 6200 Franken Busse und Gebühren zahlen. Das Statthalteramt wirft ihm vor, im September 2020 als Geschäftsführer und Stellvertreter der damaligen Pächterin des Lokals Neugasshof gegen 23.30 Uhr bei geöffneten Türen und Fenstern laute Musik abgespielt und den Lärm der vor dem Lokal sitzenden Gäste nicht unterbunden zu haben.
Einen Monat später stellte die Polizei bei einem Konzert im Neugasshof kurz nach Mitternacht fest, dass trotz Pandemie die Abstandsvorschriften sowie die Maskentragepflicht nicht eingehalten und auch die Kontaktdaten der Gäste nur «lückenhaft und teilweise gar nicht» erfasst worden waren.
Ein knappes Jahr später, im Juni 2021, soll Damir K. bei einem Public Viewing zur Fussball-EM im Neugasshof erneut gegen die Covid-Verordnung verstossen und ein TV-Gerät auf die Strasse gerichtet haben.
Eine sehr spezielle Gerichtsverhandlung
Kurz vor Verhandlungsbeginn erkundigt sich der Bezirksrichter bei Verteidiger Walder, ob sich Damir K. bei ihm gemeldet habe und auftauchen werde. «Nein, er kommt nicht, weil er wahrscheinlich tot ist», sagt der Anwalt sichtlich verärgert.
In solchen Fällen ist die Strafprozessordnung eindeutig: Bleibt ein ordnungsgemäss geladener Beschuldigter unentschuldigt seinem Prozess fern, wird der Strafbefehl gegen ihn rechtskräftig. Ist er aber vor der Verhandlung gestorben, gibt es ein Prozesshindernis.
Die Verhandlung beginnt, Damir K. erscheint nicht. «Haben Sie irgendwelche Erkenntnisse, wo sich Ihr Klient befindet?», fragt der Richter. Walder schüttelt den Kopf: «Seit 27. Juli hat er sich weder bei seiner Familie noch bei sonst jemandem gemeldet.»
Am Tag seines Verschwindens nahm eine Mitarbeiterin des Neughasshofes die Vorladung von Damir K. zum Prozess vor dem Bezirksgericht entgegen – wohl ohne, dass dieser davon erfuhr, wie sein Anwalt vermutet. Er beantragt, das Verfahren zu sistieren.
«Nicht jede Person, die nicht auftaucht, ist Opfer eines Gewaltverbrechens», sagt der Richter. Weder gebe es eine Verschollenenerklärung noch sonst etwas, das er zu den Akten nehmen könne. Zudem drohe eine Verjährung der Gesetzesverstösse. «Ich kann nicht sagen, ob Ihr Klient gegen seinen Willen von der heutigen Verhandlung ferngehalten wird oder ob er noch lebt», so der Richter. Deshalb werde er das Verfahren nicht sistieren, sondern Damir K. erneut vorladen – diesmal mit einer öffentlichen Bekanntmachung.
«Auseinandersetzung im Milieu»
Empört reagiert der Verteidiger: «Ich komme mir verkohlt vor. Ihre Erwägungen, dass er noch am Leben sein könnte, halte ich für völlig absurd, die öffentliche Vorladung für nicht sachgerecht.» Damir K. werde nicht am Strand auf den Bahamas irgendwelche Zeitungen mit Bekanntmachungen lesen, nur weil eine Verjährung des Strafbefehls drohe. «Das ist das geringste Problem, das die Justiz hat», sagt Walder.
Er gehe von einer «Auseinandersetzung im Milieu» aus und wisse, dass die Staatsanwaltschaft I für schwere Gewaltkriminalität ein Verfahren führe, bei dem sein Klient der Geschädigte sei. Die Oberstaatsanwaltschaft Zürich bestätigt, dass in Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in Olten wegen eines «möglichen Delikts gegen die Freiheit (…) in alle Richtungen» ermittelt werde. Mehr will sie nicht preisgeben – auch nicht auf Anfragen des Richters und des Anwalts von Damir K., wie beide erklären.
«Irgendwo verscharrt»
«Wenn der Staatsanwalt wüsste, wo mein Klient ist, dann würde er das dem Obergericht, Ihnen und mir sagen – aber wahrscheinlich ist er nicht mehr am Leben, sondern irgendwo verscharrt», sagt Walder zum Richter.
Das Obergericht sei dieser Argumentation gefolgt und habe darum die für den 3. Oktober angesetzte Verhandlung gegen Damir K. wegen Drogendelikten einstweilen abgesagt. Eine Sprecherin des Obergerichts bestätigt: «Da der Beschuldigte derzeit nicht auffindbar ist, musste das Obergericht das Verfahren sistieren.»
Das Bezirksgericht hält hingegen an der öffentlichen Vorladung von Damir K. fest und schliesst nach rund 20 Minuten die Verhandlung.
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