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Zürcher Milieu-Figur verschwunden
«Damir muss an Leute geraten sein, die brandgefährlich sind»

Roland Gisler (links) und Damir K. (rechts) laden am 19. Dezember 2022 geleakte Justiz-Akten und Datenträger vor dem Zürcher Kantonsrat ab. In der Bildmitte: Der damalige SVP-Kantonsrat Valentin Landmann.
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Eine Grossrazzia in Olten hat am Freitag die Zürcher Unterwelt und ihre Ausläufer erschüttert. Laut einem Augenzeugen waren rund 200 Polizisten aus Zürich und Solothurn auf der Suche nach der Langstrassen-Milieufigur Damir K. und seinen mutmasslichen Entführern, wie der «SonntagsBlick» berichtete. «Wir machen uns seit Wochen Sorgen um ihn», sagt der bekannte Zürcher Milieubeizer und Neugasshof-Betreiber Roland Gisler dieser Redaktion über seinen verschwundenen Vertrauten.

Gisler und Damir K. verbindet eine einschlägige Vergangenheit: Vor Jahren lernten sie sich im alten Zürcher Gefängnis kennen, später teilten sie sich in Winterthur eine Zelle. Sie wurden zu engen Freunden und Geschäftspartnern – mit besten Kontakten ins organisierte Verbrechen. Der 46-jährige Montenegriner Damir K. führte laut Gisler die Buchhaltung für seine Firmen und erledigte die Abrechnungen.

Die beiden sind auch in das Zürcher Justizdatenleck verwickelt, über das diese Redaktion im Dezember als erste berichtete und das inzwischen eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) beschäftigt.

Das letzte Lebenszeichen

Am 27. Juli, einen Tag nach dessen 46. Geburtstag, habe Gisler seinen Vertrauten das letzte Mal lebend gesehen, wie der 59-Jährige erzählt. Am späten Nachmittag sei Damir K. in den Wagen seines türkischen Freundes E. gestiegen, der vor rund zwei Jahren erstmals im Neugasshof aufgetaucht sei.

Bei E. handelt es sich um ein ehemaliges Mitglied des Rockerclubs Hells Angels mit Wohnsitz im Kanton Zürich. «Damir hatte nur sein Handy und seinen grossen Schlüsselbund dabei und hätte am Abend wieder zurück sein sollen – wir haben fast jeden Tag Znacht miteinander gegessen», schildert Gisler.

2020 prangerte Damir K. (links) gemeinsam mit Roland Gisler einen Zürcher Staatsanwalt auf Plakaten an, weil er diesen als Schuldigen dafür ausmachte, dass er vier Jahre in U-Haft sass.

Gegen 18 Uhr soll Damir K. ein letztes Mal mit seiner Freundin per Video-Anruf telefoniert haben. «Da waren er und E. zu sehen», sagt Gisler. Um 18.08 Uhr setzt der 46-Jährige sein letztes Lebenszeichen ab: Er versucht Gislers in Montenegro lebenden Bruder zu erreichen, doch der verpasst den Anruf. Als Gislers Bruder gegen 20 Uhr zurückrufen will, ist das Handy von Damir K. bereits ausgeschaltet – bis heute, wie ein Anruf dieser Redaktion ergab.

«Kein Anhaltspunkt für Untertauchen»

E. hat sich laut einem gut informierten Insider mit seiner Familie ins Ausland abgesetzt, sei aber erreichbar gewesen. Im Milieu soll er laut «Blick» erzählt haben, er habe Damir K. in Olten aussteigen lassen. Auch der Zürcher Milieuanwalt und Ex-Kantonsrat Valentin Landmann kennt E. und traf ihn ein oder zwei Mal, wie er sagt.

Der 73-jährige Landmann zählte Damir K. zu seinen Freunden und traf ihn regelmässig zum Abendessen. «Schon nach ein, zwei Tagen ist klar gewesen, dass ihm etwas Schlimmes zugestossen sein muss. Es gibt keinen Anhaltspunkt, der ihn zum Untertauchen veranlasst hätte», sagt der erfahrene Strafverteidiger.

Am 30. Juli, drei Tage nach seinem Verschwinden, meldet ein Familienmitglied Damir K. als vermisst, wie Gisler erzählt. Zunächst habe die Stadtpolizei noch abgewartet. Als die Zuständigkeit zur Zürcher Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft I für schwere Gewaltkriminalität wechselt, geht es laut dem Neugasswirt schnell. Die Ermittlungen münden am Freitag in einen Grosseinsatz der Strafverfolgungsbehörden. 

Stundenlange Befragungen

Gegen 4 Uhr früh stürmen zahlreiche schwer bewaffnete Beamte der Zürcher und Solothurner Kantonspolizeien einen Gebäudekomplex in Olten – einen Steinwurf vom Strassenstrich entfernt. Es sei «wie im Krieg» gewesen, sagte ein Augenzeuge gegenüber «TeleM1». Die Einsatzkräfte hätten in mehreren Stockwerken und Gebäuden Türen eingeschlagen, die Räume durchsucht und Computer sowie Hanfpflanzen herausgetragen.

Der Zeuge gab an, die Ermittler hätten ihm Fotos von drei mutmasslichen Tätern gezeigt, die in Zürich einen Mann entführt haben sollen. «Damir muss an Leute geraten sein, die brandgefährlich sind», sagt der Szenekenner Landmann dieser Redaktion.

Obwohl der Zeuge laut eigenen Angaben mit der Sache nichts zu tun habe, sei er stundenlang befragt worden. Laut Beobachtern habe die Polizei zwei Mieter mitgenommen.  «Die Polizei und die Staatsanwaltschaft haben super gearbeitet, sie legen sich richtig ins Zeug», sagt Gisler, der sonst eher selten schmeichelhafte Worte für die Strafverfolgungsbehörden findet. Ex-SVP-Kantonsrat Landmann sieht das ähnlich: «Es sind gute Leute von der Polizei dran. Ich bin erfreut, dass die Behörden die Ermittlungen sehr ernst nehmen.»

Gefährlichkeit gewisser Leute unterschätzt?

Laut Informationen dieser Redaktion gehen die Ermittler inzwischen davon aus, dass Damir K. getötet wurde, worauf auch der Einsatz der Gruppe «Leib und Leben» der Kantonspolizei Zürich hindeutet. «Die Wahrscheinlichkeit, dass er noch lebt, ist ganz gering», sagt auch Landmann. Er wäre mit seinem Freund in der Woche nach dessen Verschwinden zum Essen verabredet gewesen.

Valentin Landmann und Damir K. kurz vor Weihnachten 2022 am Rande einer Sitzung des Zürcher Kantonsrates.

Damir K. sei ein offener Mensch, habe immer leicht Kontakte geknüpft. Er habe eine Lebenspartnerin, ein Kind und viele Freunde. Zudem besitze er eine «fast schon etwas milieufremde Naivität», wie Landmann sagt: «Vielleicht hat er die Gefährlichkeit gewisser Leute ganz massiv unterschätzt.»

Weder Landmann noch Roland Gisler wollen etwas von den Geschäften von Damir K. mitbekommen haben. Sie wüssten auch nicht, um welche Leute es sich bei den mutmasslichen Tätern handeln könnte. «Ich glaube nicht, dass die Hells Angels etwas damit zu tun haben», sagt Neugasswirt Gisler. In seinem Lokal hatten sich die Rocker einst zum Stammtisch getroffen. Auch Strafverteidiger Landmann, der mit den Hells Angels seit Jahrzehnten verbunden ist und sie einmal mit einer Zürcher Zunft verglich, sagt: «Es ist nicht gebräuchlich, dass Hells Angels oder sonstige Motorrad-Rocker jemanden umbringen.»

«Sie haben sich gegenseitig bestohlen»

Das Motiv für das Verschwinden von Damir K. sei «je nach Quelle eine Abrechnung, ein Racheakt oder die Beseitigung eines lästigen Gegners», schrieb der «SonntagsBlick». Wie diese Redaktion von einem Insider erfahren hat, soll es bei dem rätselhaften Fall um viel Geld aus illegalen Geschäften gehen. Seit 2020 soll etwa eine halbe Million Franken, wohl aus dem Drogenhandel und anderen Straftaten in der Schweiz, nach Montenegro transferiert und dort in die Landeswährung Euro umgetauscht worden sein. Damit sollte das illegale Geld «reingewaschen» werden. Damir K. und manche seiner Geschäftspartner «haben sich gegenseitig bestohlen», sagt der Insider zum möglichen Hintergrund der mutmasslichen Tötung. Aus Sicherheitsgründen will er anonym bleiben.

«Ich weiss aus anderen Fällen, wie schnell bei wirklich gefährlichen Leuten aus ein paar Worten eine Tötungshandlung werden kann», sagt Szenekenner Landmann. Dass das Handy von Damir K. bereits zwei Stunden nach seinem letzten Lebenszeichen ausgeschaltet war, deute allerdings auf ein «etwas überlegteres», wohl geplantes Vorgehen hin, so der Milieuanwalt. «Aber das ist Spekulation.»

Die Kantonspolizei Zürich und die Staatsanwaltschaft beantworteten keinen Fragen zu dem Fall. Es gilt die Unschuldsvermutung.