Pro und KontraSoll man Tempo 30 auf Hauptstrassen verbieten?
Die Bürgerlichen im Bundesparlament wollen den Gemeinden untersagen, das Tempolimit auf Hauptstrassen unter 50 zu senken. Eine sinnvolle Idee?
Ja. Bummeltempo 30 auf Hauptstrassen ist verkehrter Populismus.
Ist es wirklich so schwierig zu begreifen?
Hauptstrassen heissen Hauptstrassen, weil sie keine Quartierstrassen sind, keine Wohnstrassen, und Spielstrassen schon gar nicht. Auf Hauptstrassen, das lässt sich nun mal nicht vermeiden, fahren Automobile, Lastwagen gar. Und es ist richtig, dass dies bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von Tempo 50 erlaubt ist – niemand kann ernsthaft wollen, dass ein auf Tempo 30 ausgebremster Hauptstrassenverkehr in die Quartiere und Wohngebiete ausweicht, um dort die Luftqualität zu vermindern und die Lärmbelastung zu erhöhen.
Ja, es trifft zu, dass sich mit Tempo 30 die Unfallzahl reduzieren lässt. Doch um eine Hauptstrasse sicherer für alle Verkehrsteilnehmenden zu machen, gibt es bessere Methoden als eine Zwangsdrosselung der Geschwindigkeit: intelligente Verkehrsleitsysteme beispielsweise, Mittelinseln und Schwellen, dedizierte Velowege.
Kriechtempo 30 hingegen verlängert die Fahrzeiten – um bis zu 20 Prozent. Mehr Autos sind gleichzeitig länger unterwegs, die Folge: Staus und Verkehrsbehinderungen, insbesondere in Stosszeiten. Wollen wir das auf unseren Hauptstrassen? Für die Automobilistinnen und Automobilisten mag das ein Ärgernis sein – für die schwächeren Verkehrsteilnehmenden allerdings wirds existenziell: Zähflüssiger Verkehr und lange Kolonnen erschweren das Überqueren der Fahrbahn, für Kinder und Alte steigt das Unfallrisiko. Und weil mit Tempolimite 30 die Autos häufiger abbremsen und wieder beschleunigen müssen, verbrennen sie obendrein mehr Benzin. Den damit zwangsläufig verbundenen CO₂-Ausstoss kann sich doch wirklich niemand wünschen.
Eine verkehrspolitische Sackgasse
Tempo 30 für Hauptstrassen führt in die verkehrspolitische Sackgasse, dafür gibt es ausreichend wissenschaftliche Evidenz. Indes, wenn die autokritischen Städte dies nicht wahrhaben wollen, ist es nur richtig, wenn der Bund sie überholt und mit einer Änderung des Strassenverkehrsgesetzes entsprechende Pläne ein für alle Mal stoppt.
Ohnehin scheint es, als ob mit einem flächendeckenden Tempo-30-Diktat so manche linke Stadtregierung nur vom eigenen Versagen ablenken will. Beispiel Zürich: Die grösste Stadt der Schweiz wird seit 1990 links-grün regiert, mehr als 30 Jahre später ist gemäss Umfragen der Verkehr für rund die Hälfte der Bevölkerung das grösste Problem überhaupt. In drei Jahrzehnten hat es das links-grün regierte Zürich unter anderem nicht geschafft, die Interessen der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden einigermassen zu versöhnen, beispielsweise ein respektables Velonetz zu bauen, das im Vergleich mit europäischen Metropolen bestehen kann.
Jetzt mit Bummeltempo 30 auf Hauptstrassen die Seele des urbanen Volkes beruhigen zu wollen, das ist verkehrter Populismus.
Nein. Mit Tempo 30 lässt sich die Zahl der Unfallopfer senken.
Zunächst einmal erstaunt der Absender der Idee. Ausgerechnet Bundesparlamentarier von FDP, SVP und Mitte versuchen, den Städten ein Tempogebot für den Strassenverkehr aufzudrücken. Es sind dieselben Leute, die sonst gerne schwärmerische Vorträge über den Schweizer Föderalismus halten: Demokratie von unten! Der Bund regelt nur das Nötigste! Unsere Gemeinden wissen am besten, was gut für sie ist!
Doch wehe, ein paar linke Städte machen von der Gemeindeautonomie in ihrem Sinne Gebrauch. Wenn auf einigen Hauptstrassen Tempo 30 verordnet wird, heisst der Föderalismus im bürgerlichen Sprech plötzlich «Wildwuchs» (Zitat FDP-Nationalrat Peter Schilliger). Dann ist offenbar zentralistisches Durchregieren von oben angesagt.
Dabei ist ein Tempo-30-Verbot auch inhaltlich verkehrt. Tempo 30 ist eine enorm effiziente Methode, um die Sicherheit auf den Strassen zu verbessern – viel günstiger als umständliche und teure Baumassnahmen. Die Zahl der Unfallopfer auf Strassen mit Tempo 50 liesse sich halbieren, würde man konsequenter auf Tempo 30 setzen: So hat es die Beratungsstelle für Unfallverhütung vor einigen Jahren errechnet. Zu danken wüssten das vor allem die Schwächsten im Umzug, nämlich jene, die zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs sind. Ausserdem sinken mit der Fahrgeschwindigkeit der Autos auch der Lärmpegel sowie der Ausstoss an CO₂ und Feinstaub. Und das wiederum erhöht die Lebensqualität für die Bevölkerung.
Tempofetischisten im Parlament
Die Tempofetischisten im Parlament sehen es anders. Sie wollen auf sämtlichen Hauptstrassen 50 Stundenkilometer als Mindestgeschwindigkeit vorschreiben. Andernfalls sehen sie die «Hierarchie des Strassennetzes» gefährdet, wie es in Peter Schilligers Vorstoss heisst – ein befremdlich akademisches Argument, weit weg von den realen Problemen in vielen städtischen Quartieren.
Wenn Zürich die schwierige Situation auf der Rosengartenstrasse mit Tempo 30 beruhigen will, wenn Freiburg seine Attraktivität durch Tempo 30 auf allen Hauptverkehrsachsen zu steigern versucht – warum lässt man es diese Städte nicht einfach mal ausprobieren?
Die Bürgerlichen mögen andere Prioritäten haben. («Freie Fahrt für freie Bürger», wie es die Auto-Partei einst formulierte.) Sie mögen sich über den Stau und die «linke» Verkehrspolitik in den Städten nerven. Doch es ist billig, wenn sie nun einfach ihre Macht auf Bundesebene ausspielen. Wer mit städtischer Politik nicht einverstanden ist, soll versuchen, städtische Wahlen zu gewinnen.
Dem Wahlvolk überzeugende Lösungen für Verkehrsprobleme vorzulegen, wäre mal ein erster Schritt dorthin.
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