Medien zerreissen Biden-Auftritt«Das war wie ein Autounfall in Zeitlupe»
US-Präsident Joe Biden habe in der TV-Debatte einen miserablen Auftritt hingelegt, schreiben Medien weltweit. Eine Frage steht im Zentrum: Brauchen die Demokraten einen Ersatz?
Es gibt in den US-Medien momentan kaum ein anderes Thema als die erste TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und Donald Trump (lesen Sie hier den Kommentar zum Duell). Auch europäische Leitmedien arbeiteten sich am TV-Duell ab. Für Joe Bidens Auftritt gab es im In- und im Ausland klare Worte.
Im Ton zurückhaltend, in der Analyse aber schonungslos beschreibt die «New York Times» die Debatte. Präsident Joe Biden hatte gehofft, seinem Wahlkampf neue Impulse zu verleihen, indem er sich zur Debatte bereit erklärt hatte. «Stattdessen löste sein stockender und unzusammenhängender Auftritt am Donnerstagabend eine Welle der Panik unter den Demokraten aus.» Jetzt sei die Diskussion erneut eröffnet, ob Biden überhaupt der Kandidat sein solle, so die «New York Times». Die Zeitung zitiert einen ungenannten demokratischen Strategen, der dem US-Präsidenten harte Monate prophezeit: «Biden steht vor einem Crescendo von Aufrufen zum Rücktritt», so der Stratege.
Die Demokratische Partei sei nach Bidens stockendem Auftritt in einen Aufruhr geraten, schreibt das «Wall Street Journal». Seit Monaten würden viele Demokraten argumentieren, dass der 81-Jährige fit für eine zweite Amtszeit sei, so das «Wall Street Journal». Nach dem TV-Duell habe jetzt aber der Wind gedreht. Einige Strategen, Spender und Berater seien «schockiert» gewesen von Bidens Auftritt. In privaten Diskussionen hätten sich viele dafür ausgesprochen, Biden zu ersetzen, schreibt die Zeitung, die schon vor ein paar Wochen gross über Bidens fahrige Auftritte in Sitzungen geschrieben hatte. Die Quellen des «Wall Street Journals» räumen aber ein, dass die Chancen für einen Rückzug Bidens gering seien.
Brutaler Boulevard
Auf dem Boulevard geht man mit Biden naturgemäss härter ins Gericht. Die «New York Post» titelt: «Einfach nur traurig, Präsident murmelt, stolpert, erstarrt in der Fiasko-Debatte.» Bidens Kandidatur sei infrage gestellt, nachdem dessen «schwacher, eingefrorener Auftritt» in der Debatte gegen Trump die Demokraten in «aggressive Panik» versetzt habe, so die stets unzimperliche «New York Post».
Die möglicherweise brutalste Einschätzung kam von Chris Wallace, der 2020 die erste Debatte zwischen Biden und Trump moderiert hatte. Bei CNN sagte er: «Ganz ehrlich, das war wie ein Autounfall in Zeitlupe.» Biden habe seine eigene Kampagne mit der TV-Debatte «versenkt», so Wallace.
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Auch auf der CNN-Website ist die Analyse schonungslos: «Objektiv betrachtet lieferte Biden die schwächste Leistung ab, seit John F. Kennedy und Richard Nixon 1960 die Tradition der Fernsehdebatten begründeten», heisst es dort. Es sei noch zu früh, um zu beurteilen, wie die Wählerschaft reagieren würde und ob sich Biden noch retten könne, so CNN. Aber die Chancen stünden schlecht für Biden. Dieser habe Trump in wichtigen umkämpften Staaten 2020 nur knapp geschlagen. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass er und Trump etwa gleichauf seien. «Es bräuchte nur ein paar Tausend Wähler, die Biden im Stich lassen, um Trump wieder ins Weisse Haus zu bringen», so CNN.
Wenig Gnade erhält Joe Biden auch in europäischen Medien. «Joe Bidens Auftritt beim ersten Fernsehduell war eine Katastrophe», schreibt der deutsche «Spiegel». Die Demokraten müssten sich nach einer Alternative umsehen. «Sonst ebnen sie Donald Trump den Weg ins Oval Office», heisst es in einem Leitartikel.
«Der grösste anzunehmende Unfall»
Die Zuschauer, schreibt der «Spiegel», «sahen einen Joe Biden, der schwer zu verstehen war, der über seine Worte stolperte, der den Faden verlor, der bleich und mit starrem Gesicht in die Kamera blickte und der nicht einmal sein Schlussstatement unfallfrei zu Ende sprechen konnte. Mit einem Wort: Es war eine Katastrophe, der grösste anzunehmende Unfall.» Bidens Auftritt sei so schlecht gewesen, dass selbst seine treuesten Freunde nicht mehr wussten, wie sie ihn verteidigen sollten.
Ein brutales Verdikt zieht die britische «Financial Times». Das Biden-Lager habe sich im Wahlkampf selber belogen, heisst es in der Analyse. Sämtliche Debatten um Bidens Alter habe man unterdrückt und weggeredet. Und dies, obwohl Bidens Zustand seit einem Jahr Tuschelthema Nummer eins in Washington sei. Diese kognitive Dissonanz sei nun zusammengebrochen. «Jetzt geht es darum, ob Biden zum Rücktritt überredet werden kann», heisst es.
Stehen Kamala Harris und Gavin Newsom bereit?
Das spanische Leitmedium «El País» ging in einem Artikel auf mögliche Alternativen zu Biden ein und fokussiert dabei auf Vizepräsidentin Kamala Harris und Gavin Newsom, den Gouverneur von Kalifornien. Harris’ Aussage («Es gab einen schwachen Anfang, aber ein starkes Ende. Biden ist ausserordentlich stark») wird als Notlüge klassiert. Und ob Newsom sich tatsächlich nicht für eine Kandidatur bereitstelle, das sei unklar. Es gebe starke Strömungen bei den Demokraten, Biden zu ersetzen.
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