Video sorgt für FurorePolizisten in Florida drohen Achtjährigem mit Gefängnis
Bisher unveröffentlichte Aufnahmen einer Kamera zeigen, wie Polizisten einen handicapierten Jungen festnehmen und abführen. In den USA entfachen die Ereignisse neue Diskussionen über Polizeigewalt.
«Mein Junge, weisst du, wohin du jetzt gehst? Du gehst ins Gefängnis», sagt der Polizeibeamte, ehe er den achtjährigen Schüler abtastet und ihm versucht Handschellen umzulegen. Der Junge ist sichtlich aufgebracht, er weint. «Deine Hände sind zu klein», sagt der Polizist, der soeben realisiert hat, dass die Handschellen nicht passen. Er fordert den Knaben auf, stattdessen die Hände vor seinem Körper zu lassen. Kurz vor dem Ausgang sagt er: «Ich hasse es, dass du mich in diese Position bringst, aber ich muss das tun, verstanden? Die Sache ist die: Du hast einen Fehler begangen, jetzt ist es an der Zeit, daraus zu lernen und daran zu wachsen, richtig?»
Die Szene stammt nicht aus einem Film, ist auch kein schlechter Witz, sondern ist im Dezember 2018 in einer Primarschule im US-Bundesstaat Florida so abgelaufen, wie kürzlich veröffentlichtes Videomaterial der Bodycam eines weiteren, bei der Verhaftung ebenfalls anwesenden Polizisten zeigt. In den USA, wo seit Monaten Proteste gegen Polizeigewalt toben, sorgen die Aufnahmen derzeit für Furore – knapp 3 Millionen Menschen haben das Video auf Twitter bereits angeklickt.
Publik machte sie der Anwalt Benjamin Crump, welcher zusammen mit zwei weiteren Juristen die Mutter des Achtjährigen vertritt. Wegen der Verhaftung haben die Anwälte der Mutter am Dienstag gegen verschiedenste Parteien Klage erhoben, darunter die beteiligten Polizeibeamten, der Schulbezirk sowie die Stadt Key West, wo sich der Fall ereignet hat.
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Gemäss Polizeibericht, welcher dem «Miami Herald» vorliegt, verhafteten die Beamten den Knaben wegen Körperverletzung, nachdem er dessen Lehrerin auf den Brustkorb geschlagen haben soll. Zuvor habe sie den Jungen nach eigenen Angaben dazu auffordern wollen, sich in der Schulcafeteria richtig hinzusetzen, und – als das nicht klappte – sich neben sie zu setzen.
Die Lehrerin näherte sich offenbar dem Jungen, versuchte, ihn mit ihren Händen wegzubewegen, worauf dieser sie gewarnt habe, ihn nicht anzufassen. Er soll ihr mit seiner Mutter gedroht haben, sagte, sie werde ihr «den Arsch versohlen», ehe er handgreiflich wurde. Wie der «Miami Herald» aus dem Bericht zitiert, habe sich die Lehrerin dadurch keine «offensichtlichen» Verletzungen zugezogen.
Der Anwalt der Mutter verteidigte das Verhalten ihres Sohnes mit Verhaltens- und emotionalen Störungen, an denen der Achtjährige leide und von welchen die Schule zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits Bescheid gewusst habe. Die Lehrerin, angeblich nur eine Stellvertretung, sei sich seiner Bedürfnisse nicht bewusst gewesen und hätte die Situation durch ihre Annäherung erst eskalieren lassen, schreibt Benjamin Crump in einem Statement auf seinem Twitter-Account.
Polizeichef: Abläufe standardmässig befolgt
Der Achtjährige musste nach der Verhaftung im Gefängnis offenbar beinahe das ganze Prozedere von der Aufnahme der Fingerabdrücke und eines DNA-Abstrichs bis hin zur Erstellung eines sogenannten Mugshots über sich ergehen lassen, wie die Mutter am Dienstag an einer Online-Pressekonferenz sagte. Laut den Anwälten habe die Verhaftung den Jungen psychisch «schwer geschädigt».
Die Staatsanwaltschaft des Bezirks Monroe County liess sich nach der Verhaftung neun Monate Zeit bis zur Urteilssprechung. In der Zeit wurde der Junge auch auf seine mentale Gesundheit untersucht. Basierend auf dieser Untersuchung und angesichts des Alters, wurde die Anklage schliesslich zurückgewiesen.
Gegenüber dem «Miami Herald» verteidigte der Chef der Key West Police das Vorgehen seiner Polizisten. «Gemäss dem Polizeibericht wurden die Abläufe standardmässig befolgt.» Die Schule und städtischen Behörden äusserten sich auf Anfrage US-amerikanischer Medien aufgrund des laufenden Verfahrens nicht zum Fall.
Vater soll Verhaftung veranlasst haben
Scharfe Kritik wird in den sozialen Medien allerdings auch an den Eltern des Achtjährigen geübt, die für das Verhalten ihres Kindes verantwortlich gemacht werden. Twitter-Nutzer veröffentlichten Screenshots eines Strafregisterauszugs mit dem Bild einer Frau darauf, welche bereits mehrmals wegen Drogendelikten verhaftet wurde. Es soll sich um die Mutter des achtjährigen Jungen handeln. Der Name im Strafregisterauszug deckt sich mit den Angaben US-amerikanischer Medien.
Auch der Vater sieht sich mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. So soll er die Verhaftung seines Sohnes selbst eingefädelt haben. Der Untersuchung nahestehende Quellen gaben gegenüber dem «Miami Herald» an, dass dieser am Tag des Vorfalls die Schule besucht und die Polizeibeamten gebeten habe, seinen Sohn zu erschrecken, um sein Verhalten zu verbessern.
Solche sogenannten «Scared Straight»-Programme werden angewendet, um jugendliche Kriminelle von zukünftigen Verbrechen abzuhalten, sie durch Besuche in Gefängnissen und die dadurch entstehenden Eindrücke so sehr abzuschrecken, dass eine Veränderung in ihrem Verhalten stattfindet. Ihre Wirksamkeit wird jedoch angezweifelt. Verschiedene Untersuchungen kommen gar zum Schluss, dass sie kriminelles Verhalten begünstigen könnten.
In seinem auf Twitter veröffentlichten Statement bezeichnet Crump die Ereignisse als «herzzerreissendes Beispiel dafür, wie unsere Bildungs- und Polizeisysteme Kinder dazu erziehen, Kriminelle zu werden, indem sie wie Kriminelle behandelt werden». «Wäre es zur Verurteilung gekommen, wäre der Junge bereits im Alter von acht Jahren ein verurteilter Verbrecher gewesen», meint Crump und fügt an: «Dieser kleine Junge wurde von allen, die an diesem schrecklichen Vorfall beteiligt waren, im Stich gelassen.»
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