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Umstrittenes Überwachungsgesetz
Polizei soll Handy-Chats lesen dürfen – jetzt krebst der Thurgau zurück

Die Thurgauer Regierungsrätin Cornelia Komposch will der Polizei mehr Kompetenzen geben.
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Verträge, Liebesgrüsse und Familienfotos: Auf unseren Handys sind viele unserer intimsten Informationen gespeichert. Nur die Nächsten dürfen uns aufs Display schauen – und vielleicht bald auch die Thurgauer Polizei. Der dortige Grosse Rat berät zurzeit ein neues Polizeigesetz, das der Polizei mehr Befugnisse geben würde als überall sonst in der Schweiz. Besonders umstritten ist Paragraf 47, Absatz 3. Nach der ersten Lesung im kantonalen Parlament stand dort: «Zur Gefahrenabwehr und zur Erkennung von Vergehen und Verbrechen dürfen elektronische Geräte vor Ort in Anwesenheit der betroffenen Person eingesehen werden.» 

Damit hätte die Polizei das Recht, praktisch jedes Handy und jeden Laptop zu durchsuchen. Die betroffene Person muss dabei noch nicht einmal einer Straftat verdächtigt werden. Es würde bereits reichen, wenn auf dem Handy Hinweise zu einer Straftat sein könnten. Zum Beispiel das Video einer Schlägerei, das über die sozialen Medien geteilt wurde.

Dieser Entwurf hat national für Schlagzeilen gesorgt. «Das wäre ein krass tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte», sagt Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft Schweiz. «Für viele ist das Handy wie die zweite Hälfte des Gehirns.» Darauf befänden sich sensible Informationen wie Geschäftsgeheimnisse oder Gesundheitsdaten. Ein Eingriff in diese Intimsphäre dürfe nur die Ultima Ratio sein, wenn es zum Beispiel um schwere Straftaten gehe. «Dass es sogar aus der politischen Mitte bekämpft wird, ist ein gutes Zeichen dafür, dass es zu weit geht», sagt Schönenberger. 

«Herzlich willkommen im Schnüffelstaat.»

Michèle Strähl, FDP-Kantonsrätin

Die schärfste Kritik am neuen Gesetz im Grossen Rat kommt tatsächlich aus der FDP. Die FDP-Kantonsrätin Michèle Strähl bekämpfte den Paragrafen vehement. «Herzlich willkommen im Schnüffelstaat», sagte sie während der ersten Lesung im Rat. So könnte man in Zukunft Besucherinnen und Besucher im Kanton Thurgau willkommen heissen, falls das Gesetz angenommen würde. Dennoch nahm der Kantonsrat Anfang Mai den Handy-Paragrafen mit 62 zu 56 Stimmen in den Gesetzesentwurf des neuen Polizeigesetzes auf. Dafür stimmten in erster Linie SVP, Mitte und EVP. 

Die FDP gab sich damit jedoch noch nicht geschlagen. Sie beauftragte ein juristisches Gutachten, an dem unter anderem die Rechtsprofessorin Regina Kiener der Universität Zürich mitarbeitete. Das Gutachten kam zum Schluss, dass der Handy-Paragraf «nicht mit der Verfassung zu vereinbaren» wäre, weil dieser zu wenig «griffige Konturen» habe und keinen genügenden prozeduralen Schutz bieten würde. Es bestünde deshalb die Gefahr, dass Beweise, die dank dem Gesetz gesammelt würden, vor Gericht nicht zulässig seien. «Das würde zu immensen Kosten führen und wäre am Schluss einfach in den Sand gesetztes Steuergeld!», ärgert sich FDP-Frau Strähl am Telefon. 

Gesetz muss zurück in Kommission

Ganz geheuer mit dem Gesetz scheint es einen Monat später auch den ursprünglichen Befürworterinnen und Befürwortern nicht mehr zu sein. So stimmte am Mittwochmorgen der Grosse Rat einstimmig dafür, das Gesetz zurück in die beratende Kommission zu schicken. Dort soll noch einmal vertieft diskutiert werden, ob die entsprechenden Paragrafen mit dem Bundesgesetz vereinbar sind. 

Der Handy-Paragraf war von Beginn an umstritten. Zuerst war dieser im Entwurf der Regierung enthalten, wurde dann auf Anraten der vorbereitenden Kommission wieder gestrichen. Diese hatte ihn mit 12 zu 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen abgelehnt. An der ersten Lesung des Gesetzes stellte der Mitte-Kantonsrat Franz Eugster dann aber den Antrag, den Absatz in leicht veränderter Form wieder hinzuzufügen. In der Kommission hatte er noch nicht für den Paragrafen gestimmt.

Er habe sich das Gesetz nochmals durch den Kopf gehen lassen, erklärt Eugster seinen Gesinnungswandel. «Mein Ziel ist es, dass die Polizei pragmatisch feststellen kann, ob jemand an einer Straftat beteiligt sein könnte oder nicht.» Sobald sich ein Verdacht erhärte, könnte dann ganz regulär nach Beweisen gesucht werden. «Kontraproduktiv wäre das Gesetz dann auf jeden Fall nicht», sagt Eugster. Ihm sei bewusst, dass das Durchsuchen des Handys ein grosser Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sein könne. «Aber ich denke, dass dieser gerechtfertigt ist, wenn wir dadurch mehr Sicherheit erlangen können.» Eugster bezweifelt, dass die Polizei das Gesetz ausnutzen könnte. «Sie muss sich sowieso bei jedem Einsatz an die Verhältnismässigkeit halten.» Ob das Gesetz tatsächlich gegen das Bundesrecht verstosse, müssten letzten Endes die Gerichte entscheiden, sagt er. 

Dieser Ansicht ist auch SP-Regierungsrätin Cornelia Komposch. Sie ist Vorsteherin des Departements für Justiz und Sicherheit und unterstützt im Namen des Regierungsrats den Handy-Paragrafen. Ihr sei bewusst, dass der Paragraf in seiner aktuellen Form gegen Bundesgesetze verstossen könnte. «Bei dem Gesetz geht es aber um die Prävention und nicht darum, Beweise zu sammeln», sagt Komposch. Dass also Straftaten erkannt werden, bevor diese begangen werden – zum Beispiel, indem die Polizei verdächtige Nachrichten oder Fotos einsehen kann. Präventiv handeln zu können, sei das Ziel der Polizei in allen Kantonen, sagt die Regierungsrätin. «Der Thurgau ist dabei einfach gerade in einer Vorreiterrolle.»

Ob die Thurgauer Polizei dafür in Zukunft auf die Handys der Bürgerinnen und Bürger schauen darf, ist jedoch fraglich. Mehrere mit der Sache vertraute Personen gehen davon aus, dass der Handy-Paragraf in der weiteren Debatte einen schweren Stand haben wird.