Kolumne von Markus FreitagKann ich überhaupt etwas bewirken?
70 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer vertrauen darauf, dass sie politisch Einfluss nehmen können. In einem Landesteil ist das demokratische Selbstbewusstsein besonders ausgeprägt.
Achtung, heute geht es ans Eingemachte. Erscheinen Ihnen die Dinge um Sie herum nicht auch manchmal kompliziert und schwer verständlich? Oder fühlen Sie sich gar machtlos, auf das, was um Sie herum geschieht, Einfluss zu nehmen? Empfinden Sie sich gerade in politischen Fragen als Nonvaleur? Glauben Sie beispielsweise, die da oben in Bern machen sowieso, was sie wollen?
Wenn ja, dann gehören Sie hierzulande zu einer Minderheit. In unseren Nachbarländern sind solche Eingeständnisse der politischen Bedeutungslosigkeit übrigens weitaus verbreiteter. Aber der Reihe nach.
Die Idee des politischen Selbstwertgefühls wurde in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts in der amerikanischen Politikwissenschaft entwickelt und hat das sozialpsychologische Konstrukt der «Ich-Stärke» in die politische Welt getragen. Es bezeichnet allgemein das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger, dem politischen Prozess ihren Stempel aufdrücken zu können. Dieses Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten hängt zum einen von der wahrgenommenen politischen Kompetenz ab. Zum anderen aber auch vom Eindruck, inwieweit die Eliten oder das politische System Einflussversuche der Regierten zulassen.
Deshalb jetzt einmal direkt gefragt: Was wissen Sie eigentlich über die Politik? Wie sehr vertrauen Sie Ihren Fähigkeiten, sich am politischen Geschehen zu beteiligen? Und: Kümmern sich die Politikerinnen und Politiker in Ihren Augen überhaupt darum, was Leute wie Sie denken?
Spitzenplatz in Europa
Das alles ist beileibe kein akademischer Schnickschnack. Diese Selbstzuschreibung politischer Kräfte ist für den demokratischen Alltag unverzichtbar. Unzählige Studien bestätigen ihren zentralen Stellenwert für das politische Engagement. Und die in der Bevölkerung verankerte Vorstellung, etwas bewirken zu können, stabilisiert die Demokratie sowieso als Ganzes: Verlieren die Bürgerinnen und Bürger nämlich den Glauben an ihren politischen Einfluss und ihr Wirkungsvermögen, ist der Weg zur politischen Entfremdung nicht mehr weit. Mehr noch: Je mehr ich darauf vertraue, politische Vorgänge jederzeit beeinflussen zu können, desto mehr trage ich auch Entscheidungen mit, die nicht meinem Gusto entsprechen oder die ich gar nicht herbeigeführt habe.
In Italien schreiben sich nur gerade 10 Prozent politische Wirksamkeit zu.
Internationale Befragungen zur politischen Kompetenz wie zum gefühlten politischen Einfluss hieven die Schweiz auf einen Spitzenplatz in Europa. Fast 60 Prozent attestieren sich hierzulande einen ausreichenden politischen Sachverstand, und sogar über 70 Prozent glauben, auf die politischen Vorgänge einwirken zu können. Das sind weitaus mehr als in Deutschland, Österreich oder auch in Frankreich. In Italien schreiben sich diese Fähigkeit beispielsweise nur gerade 10 Prozent der Befragten zu.
Das politische Selbstbewusstsein steigt in der Schweiz mit dem Einkommen und mit zunehmendem Alter. Geselligen, spontanen, dominanten und kontaktfreudigen Personen mangelt es zudem von Haus aus weniger an derartiger Selbstsicherheit. Auch schreiben sich die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer einen grösseren politischen Sachverstand zu als die Menschen der anderen Landesteile.
Zum Schluss noch dies: Wer nach selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern statt tumben Untertanen schreit, darf sich dem Ruf nach mehr politischer Bildung auch nicht verschliessen und muss die Türen zur politischen Teilhabe stets weit offen halten. Nur so kann sich in den Köpfen das Vertrauen in Sachverstand und Einflussvermögen etablieren. Nur so wächst das Selbstwertgefühl der Regierten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.