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Wildwest im Playoff
Im Schweizer Eishockey herrscht plötzlich das Faustrecht

Eishockeyspiel mit einem Spieler im weissen Trikot der sich neben einen Schiedsrichter auf dem Eis positioniert. Zuschauer im Hintergrund.
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In Kürze:
  • Nach umstrittenen Entscheiden des Player Safety Officer herrscht bei Eishockeyclubs grosse Verunsicherung.
  • Das Sounding Board lehnte eine Bestrafung für den Schiedsrichter-Check von Bayreuther ab.
  • Ligachef Vaucher will die Kompetenzen des Sounding Board nach der Saison einschränken.
  • Ein früherer Spieler fordert ein Safety-Board ähnlich dem VAR-System im Fussball.

Dass die Gangart im Playoff ruppiger ist als zuvor, gehört zur Natur der Sache. Denn jetzt wird Abend für Abend ums sportliche Überleben gekämpft. Doch im diesjährigen Playoff ist die Situation eskaliert. Ein Schiedsrichter wird ungestraft umgecheckt, brutale Checks gegen den Kopf bleiben reihenweise unbestraft. Dabei hätte die National League ein System, gemäss dem Vergehen nachträglich geahndet und mit Spielsperren bestraft werden können, wenn sie die Schiedsrichter in der Hitze des Gefechts übersehen oder falsch beurteilt haben. Doch wieso greift das nicht?

Bei den Clubs ist man dieser Tage höchst verunsichert. Was geht? Was geht nicht? Wieso zieht die eine Attacke eine Sperre nach sich, eine vergleichbare oder gravierendere aber bleibt unbestraft? Der frühere Nationalverteidiger und heutige Juniorentrainer Félicien Du Bois sagt im «Eisbrecher»-Podcast: «Ich verstehe ein bisschen was von Eishockey. Aber auch ich bin mir nicht mehr sicher, was nun ein Check gegen den Kopf ist und was nicht.» 

Man hat das Gefühl, dass im Schweizer Eishockey plötzlich das Faustrecht herrscht. Im Zentrum der Kritik steht Ryan Gardner, früherer Meisterstürmer mit Lugano, den ZSC Lions und dem SC Bern und seit 2019 Player Safety Officer, kurz PSO. Der 46-jährige Kanada-Schweizer weilt in Toronto und beurteilt da wegen der Zeitverschiebung die umstrittenen Aktionen, derweil wir in der Schweiz schlafen. Oder zumindest sollte er das tun.

Es begann mit einem Schiedsrichter-Fall

Erstmals so richtig in den Fokus geriet Gardner im Nachgang zu Spiel 4 der Serie Lausanne gegen SCL Tigers. Lausannes Gavin Bayreuther checkte Linesman Dario Fuchs in den Rücken, die Unparteiischen bestraften ihn dafür nicht, und alle erwarteten, dass Gardner ein Verfahren gegen den Amerikaner eröffnen würde und dieser gesperrt würde.

Doch weit gefehlt: Das sogenannte Sounding Board mit Gardner, Marc Reichert als Vertreter der Spielergewerkschaft und Philipp Rytz als Vertreter der Schiedsrichter entschied mit 2:1 Stimmen, dass der Vorfall nicht weiterverfolgt wird. Rytz wurde überstimmt. Die ganze Hockeyschweiz staunte.

Eishockeyspieler in Aktion auf dem Eis in einem hart umkämpften Spiel.

Es folgten weitere strittige Fälle auf dem Fuss: die Attacke von Lausannes Aurélien Marti gegen Juuso Riikola, jene von Saku Mäenalanen gegen ebendiesen Marti, Julien Sprungers Check gegen den Kopf von Berns Waltteri Merelä. Die Schiedsrichter verzichteten jeweils darauf, eine Strafe auszusprechen. Und PSO Gardner blieb im fernen Toronto stumm. Für zwei Spiele gesperrt wurden hingegen die ZSC-Verteidiger Christian Marti und Yannick Blaser, die während des Spiels zu Recht mit 5-Minuten-Strafen belegt worden waren.

Wer sich nicht erwischen lässt, kommt davon

Neu scheint also das Motto zu gelten: Wer sich auf dem Eis nicht erwischen lässt, kommt davon. Gardner äussert sich nicht zu den Fällen. Überhaupt hört man nichts von ihm. «Wir befinden uns im luftleeren Raum», sagt Mysports-Experte Ueli Schwarz. «Es wird nicht kommuniziert, ob etwas begutachtet wurde, und wenn, warum nicht angeklagt wurde. Das heizt unnötig Spekulationen und Emotionen an, statt das Verständnis zu fördern.»

Auch Du Bois sieht eine gefährliche Nachricht in der Nichtkommunikation: «Wenn man deswegen das Gefühl bekommt, dass diese Aktionen okay sind, überlegen sich viele Eltern, ob sie ihr Kind wirklich Eishockey spielen lassen sollen.» 

Schwarz schlägt vor: «Anders als der Einzelrichter, der im Zweifelsfall für den Angeklagten urteilt, müsste der PSO nach der Maxime ‹in dubio pro duriore› handeln. Will heissen: Ist etwas grenzwertig gefährlich, wird Anklage erhoben. Dann müsste eben die Anklage oder das Unterlassen entsprechend transparent kommuniziert werden.»

Anders als früher, als Einzelrichter Reto Steinmann sowohl Ankläger wie Richter war, ist seit 2015 die Gewaltentrennung eingeführt. Das heisst: Der Einzelrichter kann nur Fälle beurteilen, die ihm der PSO vorlegt. Selber kann er nicht aktiv werden.

Ligachef Denis Vaucher führt aus: «Bei allen strittigen Szenen gibt es stets Spielraum zur Interpretation. Ich äussere mich nicht zu einzelnen Fällen. Aber meines Erachtens führt der PSO die Linie weiter, welche er in der Regular Season angewendet hat. Der Unterschied gegenüber der Regular Season ist einfach, dass das Spiel im Playoff intensiver ist. Ich erwarte aber natürlich, dass der PSO im Zweifelsfall alle gesundheitsgefährdenden Regelverletzungen beim Einzelrichter zur Anklage bringt.»

Denis Vaucher, CEO der National League, bei den Swiss Ice Hockey Awards 2022 in Bern.

Vaucher ist schon lange dabei und clever genug, um zu wissen, dass er nur noch mehr Öl ins Feuer giessen würde, wenn er den PSO während des Playoffs kritisieren würde.

Zum Fall Bayreuther hat er indes eine klare Meinung: «Es ist unverständlich und nicht nachvollziehbar, dass das Sounding Board keine Anklage erhoben hat. Es ist ein reglementarischer Fehler, dass die Mehrheit des Sounding Board zustimmen muss, damit ein solcher Fall zum Einzelrichter geht. Wir werden nach der Saison von der Ligaführung einen Antrag machen, dass das Sounding Board zwar eine Meinung abgeben kann, aber der Antrag zuhanden Einzelrichter beim Officiating liegt.»

Philipp Rytz, der Verantwortliche für die Schiedsrichter, will den Fall Bayreuther nicht erneut aufrollen. Er habe seinen Standpunkt bereits dargelegt. Für Rytz stellt sich aber die Frage, wie er die Schiedsrichter in diesem emotional aufgeheizten Playoff-Umfeld bestmöglich coachen kann. Fakt ist: Die Unparteiischen können bei einer strittigen Szene nur dann das Video konsultieren, wenn sie eine 5-Minuten-Strafe oder zwei plus zwei Minuten wegen hohen Stocks ausgesprochen haben.

Die Idee des ehemaligen Spielers: Eine Art VAR

Ex-Spieler Philippe Furrer findet das falsch. Er sagt: «Ich plädiere für ein Safety Board analog zum VAR im Fussball. Dieses soll zumindest im Playoff zum Einsatz kommen und die Schiedsrichter genau bei solch strittigen Situationen informieren, damit sie sich das Video eben doch anschauen dürfen.» Rytz sagt: «Dass jede heikle Szene am Video angeschaut werden soll, ist laut dem aktuell definierten Prozess problematisch. Dann wären wir nonstop beim Video-Review, und der Spielfluss würde gestört.»

Man könne diskutieren, ob die Schiedsrichter in gewissen Fällen eine grosse Strafe hätten aussprechen und dann das Video hätten konsultieren sollen, sagt Rytz. Aber grundsätzlich einmal eine 5-Minuten-Strafe verhängen, wenn man nicht sicher sei, sei nicht Sinn der Sache. «Denn es kann sein, dass die Bilder keinen Aufschluss geben. Und dann bleibt die Strafe bestehen, obschon sich die Schiedsrichter nicht sicher waren.»

Es geht um mögliche schwere Verletzungen

Ein Aspekt der ganzen Geschichte rund um Checks gegen den Kopf geht fast unter: das Verhalten der Spieler, sowohl jener, die checken, als auch jener, die gecheckt werden. Auch wenn es das Foul nicht entschuldigt: Doch in Christian Martis Fall zum Beispiel brachte sich der junge Klotener Rafael Meier in einer heiklen Spielsituation in eine gefährliche Position. Darum plädiert Klotens Sportchef Ricardo Schödler dafür, dass Clubs mit ihren Spielern beide Perspektiven anschauen und ihre Spieler sensibilisieren: «Wir werden das im Sommer tun.» 

Nicht vergessen werden darf: Diese Debatte findet mitten in der wichtigen Diskussion rund um Gehirnerschütterungen statt. Und klar ist auch: Gerade deshalb gibt es einen PSO. Doch das Vertrauen in Gardner ist erschüttert, nachdem er die Schiedsrichter-Attacke Bayreuthers als nicht ahnungswürdig eingestuft hat. Ist Gardner noch tragbar? Hinter vorgehaltener Hand heisst es in der Szene, man habe momentan leider keine valable Alternative zu ihm.

Wohl oder übel muss das Playoff mit der aktuellen Besetzung und dem reglementarischen Fehler beim Sounding Board fertig gespielt werden – Risiken und Nebenwirkungen inklusive.