Überraschung bei Pisa-ResultatenTrotz geöffneter Schulen in Pandemie: Schwedens Schüler schneiden schlechter ab
Die aktuelle Pisa-Lernstudie wurde mit Spannung erwartet. Wie gross würde das Lerndefizit wegen den Pandemie-Massnahmen sein? Das überraschende Ergebnis: Es gibt keins.
Politiker und Bildungsexperten haben im Jahr 2020 bezüglich der schulischen Corona-Massnahmen vor einer «verlorenen Generation» gewarnt und Schulschliessungen in der verheerenden zweiten Corona-Welle in der Schweiz zum Tabu erklärt.
Während des Corona-Shutdowns im Frühjahr 2020 waren in der Schweiz die Kindergärten, Primar- und Sekundarschulen für 34 Unterrichtstage geschlossen. Im internationalen Vergleich war das wenig. In Polen wurden die Schulen in Europa mit 190 Tagen (Oberstufe) am längsten dichtgemacht. In Tschechien nur unwesentlich kürzer. Aber auch in Portugal, Irland und Italien waren sie weit über drei Monate lang zu, für Primarschüler und Kindergärtner etwas weniger lang.
Nur in Schweden waren die Schulen immer offen. Das Land wurde für seinen liberalen Weg oft gelobt. Der Tenor war eindeutig: Schweden musste zwar im ersten Pandemiejahr eine vergleichsweise hohe Übersterblichkeit hinnehmen, aber dafür wird es künftig keine Bildungsdefizite bei Kindern geben.
Nun sind die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der jüngsten Pisa-Bildungsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) da, die einen Fokus auf die Pandemie legten.
Bei Mathe verloren die OECD-Länder 17 Punkte, Schweden sogar 20 Punkte.
Das überraschende Ergebnis über alle Länder: Der Rückgang beim Lesen und den Naturwissenschaften bewegt sich auf der Trendlinie von vorpandemischen Zeiten. Nur bei der Mathematik ist der Leistungsknick von 2018 auf 2022 etwas stärker als zuvor. Ob es an den Schulschliessungen während der Pandemie liegt?
Eher nicht, denn noch überraschender ist, dass der Bildungsrückgang bei Schwedens Schülerinnen und Schülern noch stärker ist als im OECD-Durchschnitt, obwohl dort die Schulen immer offenblieben.
Dies zeigt sich vor allem beim Lesen und bei der Mathematik von 2018 auf 2022 deutlich. So sank die durchschnittlich erreichte Pisa-Punktzahl in der gesamten OECD beim Lesen von 487 auf 476 (–11 Punkte), in Schweden waren es –19 Punkte. Bei Mathe verloren die OECD-Länder 17 Punkte, Schweden sogar 20 Punkte.
Vergleicht man im selben Zeitraum die kumulierten Pisa-Leistungen von Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften in 25 europäischen Ländern, gehört Schweden zu jenen Nationen mit höheren Einbussen. Länder mit langen und strikten Corona-Massnahmen wie Irland oder Italien büssten hingegen fast keine Pisa-Punkte ein. Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen der Dauer von geschlossenen Schulen und Bildungsleistungen ist nicht zu erkennen. Das bestätigen auch die Autorinnen und Autoren des offiziellen Schweizer Pisa-Berichts.
Im Bericht heisst es: «Schulschliessungen zwischen einem und sechs Monaten weisen keine negativen Zusammenhänge mit den Kompetenzen bei Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften auf.»
Zu diesem Schluss kam bereits eine von den Medien unbeachtete Studie der Universität Zürich vom Sommer 2023: Die Ergebnisse zeigten damals für die Schweiz keine signifikanten Unterschiede in den mathematischen Kompetenzen vor und nach der Pandemie. Die befürchteten negativen Auswirkungen auf die mathematischen Kompetenzen durch Schulschliessungen wurden stark relativiert.
«Froh darüber bin ich aber allemal.»
Das erstaunt auch bei den Lehrerinnen und Lehrern. Dagmar Rösler, die Präsidentin des Dachverbands, warnte während der Pandemie bei jeder Gelegenheit vor Schulschliessungen. Gerade auf Primarstufe bräuchten Kinder «die reale Klassenzimmersituation». Die Kritiker des digitalen Unterrichts verwiesen damals auf eine niederländische Studie, die zeigte, wie wenig Primarschüler im Lockdown lernten. Der Lernfortschritt blieb gemäss den Autoren bei rund 20 Prozent unter dem erwarteten Wert.
Heute sagt Rösler, viele Lehrpersonen hätten kurzfristig Lücken festgestellt. «Das habe ich selber bei einer 3. Klasse erlebt, die beim Übergang in die 4. Klasse das grosse 1x1 noch nicht beherrschte. Denn das gemeinsame Üben konnte nicht stattfinden.»
Dass die Pandemie und die kurzzeitigen Schulschliessungen gar keine nachhaltigen Lücken hinterliessen, überrascht sie. «Froh darüber bin ich aber allemal.»
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