Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Pisa-Studie
Jeder vierte Schweizer Jugendliche kann schlecht lesen

*Reportage aus der Tagesschule Aegerten*: Wie funktioniert das? Wo haperts noch? Wir begleiten die dritte Klasse von Frau Kuhn.
30.08.2022
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Es ist quasi das grösste Schulzimmer-Ranking der Welt. Alle drei Jahre führt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Studie durch, in der sie Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt vergleicht – den Pisa-Test.

Seit dem Letzten vergingen allerdings vier Jahre – Corona-bedingt wurde die umfangreiche Befragung verschoben. Am Dienstag publiziert die OECD nun die neueste Studie für das Jahr 2022. Es wurden Schülerinnen und Schüler in 81 Ländern befragt. In der Schweiz rund 70’000 Jugendliche im Alter von 15 Jahren. 

Sie schneiden insgesamt gut ab – und doch gibt es einige bedenkliche Tendenzen.

Mathematik top …

Wie üblich hat die OECD auch bei dieser Studie einen Fokus gesetzt. Dieses Mal lag er auf der Mathematik. Und da sieht es für die Schweiz auf den ersten Blick gut aus. Die Schülerinnen und Schüler sind überdurchschnittlich gut, nur gerade sieben Länder haben bessere Werte als die Schweiz. Es sind ausschliesslich ostasiatische Länder wie Japan oder Korea. Estland liegt mit der Schweiz praktisch gleichauf.

Doch auch wenn die Schweiz zur Mathematik-Elite gehört: Insgesamt haben die mathematischen Leistungen seit 2015 leicht abgenommen (um 13 Punkte). Das ist auch in allen Vergleichsländern der Fall.

Im Gegensatz zu Estland hat in der Schweiz vor allem der Anteil an Schülerinnen und Schülern zugenommen, die als leistungsschwach gelten. Waren es 2015 noch 16 Prozent, ist es heute jede und jeder Fünfte.

Woran liegt das?

… wäre da nur nicht die Angst

Ein Grund sind die Emotionen. Das halten das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation und die kantonale Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) im nationalen Bericht zur Schweiz fest. Konkret haben viele Schülerinnen und Schüler Angst vor Mathematik. Vor allem bei den Mädchen ist die Angst in den letzten Jahren gestiegen (von 41 Prozent im Jahr 2003 auf heute 68 Prozent). International verglichen ist die Angst in der Schweiz aber eher tief.

Die Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, Dagmar Rösler, nennt es «eine alte Geschichte». Die Studie bestätige offenbar ein Klischee. «Ob diese Mathe-Angst von der Gesellschaft so herangezogen wird oder tatsächlich verankert ist, kann ich nicht beurteilen.» Doch die Schulen täten bereits viel, um Mädchen für Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu begeistern. Trotzdem gelte es, den leichten Abwärtstrend bei den Mathe-Leistungen ernst zu nehmen.

Dagmar Roesler, Zentralpraesidentin, vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) informiert an einer Medienkonferenz ueber den Personalmangel an den Schulen, am Donnerstag, 10. August 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)

Rösler vermutet, dass das auch mit dem Lehrpersonenmangel zusammenhänge. Dass zu wenig qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Zu diesem Schluss kommen auch die Verfasser des nationalen Berichts: Der Personalmangel könne den Unterricht einschränken.

Leseschwäche nimmt stark zu

Eine deutliche Tendenz zeigt sich hingegen beim Lesen: Insgesamt hat die Schweizer Schülerinnen- und Schülerschaft zwar zugelegt. Im letzten Pisa-Test 2018 sank die Leseleistung unter den OECD-Durchschnitt. Nun ist sie wieder leicht darüber.

Mit dem 19. Platz ist die Schweiz aber immer noch weit unter Ländern wie Finnland oder Estland. Und fast gleichauf mit Italien oder Deutschland.

Brisant ist vor allem, dass es immer mehr leistungsschwache Schülerinnen und Schüler gibt. Seit 2015 ist der Anteil von 20 auf 25 Prozent gestiegen. Jeder vierte Jugendliche erreicht die von der OECD definierte Mindestkompetenz nicht.

Bereits in der letzten Pisa-Studie wurde davor gewarnt. 15-Jährige hätten keinen Spass mehr am Lesen, empfänden es als Zeitverschwendung. Und auch der digitale Wandel habe zu einer schlechteren Lesekompetenz geführt, hiess es damals.

Dass sich die Ergebnisse nun noch mehr verschlechtert haben, alarmiert die oberste Lehrerin Rösler: «Das ist einer der wunden Punkte. Da müssen wir genau hinschauen. 25 Prozent sind zu hoch.»

Tun die Schulen zu wenig, um die Lesefreude der Kinder zu fördern? Rösler verneint: «Die Schulen machen viel, indem sie Klassenlektüren lesen, lustige, gute Texte vermitteln und mit den Bibliotheken Angebote schaffen wie Erzähl- oder Lesenächte.» Aber Lesen brauche Übung. «Findet das nur in der Schule statt, ist das zu wenig. Es braucht auch die Unterstützung im Elternhaus, damit Kinder mal eine Zeitung oder ein Buch in die Hand nehmen.»

In Naturwissenschaften holt die Schweiz auf

Im dritten und letzten Fachbereich, den die OECD untersucht hat, hat sich die Schweiz leicht verbessert. In den Naturwissenschaften liegt sie im oberen Feld. Auch wenn Länder wie Kanada oder Estland ein «signifikant höheres Resultat» haben. 

19 Prozent der Schülerinnen schneiden überaus schlecht ab. Sie gelten als leistungsschwach. Das ist zwar unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Doch damit erreicht jeder fünfte Schüler das Mindestniveau nicht.

Soziale Schere öffnet sich

Schülerinnen und Schüler aus privilegierten Verhältnissen haben bessere schulische Leistungen. Das ist an sich nichts Neues. Was im Pisa-Test aber aufhorchen lässt, ist die Erkenntnis, dass sich die Schere immer mehr öffnet. 

Die Studienautorinnen und -autoren haben den Zusammenhang spezifisch im Fach Mathematik betrachtet. Dort zeigt sich: Seit 2015 nehmen die Leistungen bei sozial benachteiligten Schülern ab. Obwohl die Bildungsgerechtigkeit in den letzten Jahren wieder mehr debattiert wurde. «Der Zusammenhang war nie so stark wie bei der Pisa-Studie 2022», schreiben die Autorinnen. Ohne auf die Gründe einzugehen.

Minimaler Corona-Effekt

Speziell untersucht hat die OECD auch, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Leistungen hatte. Insbesondere die Schulschliessungen, die sehr unterschiedlich lange dauerten. Die Schweiz machte die Schulen vergleichsweise kurz dicht. Während durchschnittlich 34 Schultagen mussten die Schülerinnen und Schüler zu Hause Mathe oder Deutsch büffeln.

Zwar wurde damals stark davor gewarnt, dass die Schulleistungen stark leiden könnten. Der Pisa-Test zeigt nun aber: Die Befürchtungen waren unbegründet. Die Pandemie hatte keinen Einfluss auf die Kompetenzen.

Einzig die Lernmotivation hat gemäss der Hälfte der Befragten in der Schweiz gelitten. Was vor allem daran lag, dass viele ihre Lehrpersonen nicht oder zu wenig erreichen konnten, wenn sie Hilfe benötigten.