Offener Brief ans ParlamentPflegefachleute fordern Covid-Zulage
Bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine Stärkung der Ausbildung: Das verlangt der Pflegefachverband von den Parlamentariern – und überdies einen Corona-Bonus.
Es sind ungewohnt harsche und deutliche Worte, welche der Berufsverband der Pflegefachkräfte (SBK) an die Adresse des Parlaments richtet: «Leere Worte haben wir genug gehört», und «Wir sind mit der Geduld am Ende». Die Covid-Krise habe gravierende Schwächen des Gesundheitswesens schmerzhaft offengelegt. In einem offenen Brief an sämtliche National- und Ständeräte listet der Dachverband die Versäumnisse auf.
Der Mangel an Schutzmaterial sei ein Skandal, die Aufweichung der Arbeits- und Ruhezeiten inakzeptabel und die Abhängigkeit der Schweiz von ausländischem Gesundheitspersonal gefährlich. «Die Krise zeigt, wie systemrelevant die Pflege ist», sagt SBK-Geschäftsführerin Yvonne Ribi. Eine Covid-Zulage sei deshalb mehr als angezeigt. Ribi will sich allerdings nicht auf einen Frankenbetrag festlegen lassen. Weil die Situation in den verschiedenen Regionen unterschiedlich sei, müssten die Kantone zusammen mit den Gesundheitsinstitutionen die Höhe einer solchen Anerkennung aushandeln.
Möglicher Rückzug der Initiative
Der Verband fordert aber nicht bloss einen Bonus von den Parlamentariern. Ihm geht es in erster Linie um die Pflegeinitiative, die derzeit mitten in der parlamentarischen Beratung steckt. Das Volksbegehren fordert eine Aufwertung der Pflegeberufe, um den dort herrschenden Personalmangel zu beheben. So sollen Pflegefachleute gewisse Leistungen ohne ärztliche Anordnung ausführen und direkt mit der Krankenkasse abrechnen können. Weiter fordert die Initiative eine bedarfsgerechte Personaldotation und bessere Arbeitsbedingungen, die in Gesamtarbeitsverträgen geregelt werden, sowie mehr staatliche Gelder für die Aus- und Weiterbildung.
«Es ist nun an Ihnen, die Forderungen der Pflegenden in den Beratungen zur Pflegeinitiative endlich und vollumfänglich umzusetzen.» Mit diesen Worten endet der offene Brief an die Parlamentarier. Bedeutet dies, dass die Initianten zu keinerlei Kompromissen mehr bereit sind und den Rückzug des Volksbegehrens nicht mehr in Betracht ziehen? Nein, sagt Ribi, aber sie fordert, dass die Ständeräte und in einer zweiten Phase auch die Nationalräte den Gegenvorschlag deutlich verbessern: «Wir haben ein grosses Interesse, dass unsere Anliegen schnell umgesetzt werden. Und das geht mit einem indirekten Gegenvorschlag am schnellsten.» Dieser könnte bereits nächstes Jahr in Kraft treten. Der Weg über eine Volksabstimmung hingegen ist viel beschwerlicher und länger. Bis die Räte bei einer allfälligen Annahme der Initiative deren Anliegen in ein Gesetz gegossen haben, dürften mehrere Jahre verstreichen. Falls nötig, sei man aber bereit, diesen Weg zu gehen, betont Ribi.
Es fehlt an Pflegefachleuten
Die Geschäftsführerin des SBK spricht von einem Pflegenotstand, der jetzt ein schnelles Handeln erfordere. Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium Obsan hat errechnet, dass bis ins Jahr 2030 zusätzliche 65’000 Berufsleute für die Pflege nötig sein werden. Derzeit sind insgesamt rund 120’000 Menschen im Pflegebereich tätig. Und viele steigen frühzeitig wieder aus: Bei den unter 30-jährigen Pflegenden sind ein Drittel nicht mehr in ihrem Beruf tätig, bei den über 50-Jährigen sind es gar 55 Prozent.
«Die Volksinitiative dürfte an der Urne gute Chancen haben, deshalb braucht es einen Gegenvorschlag mit Hand und Fuss.»
Eine davon ist Manuela Weichelt-Picard, grüne Nationalrätin aus dem Kanton Zug. Sie hat den Pflegeberuf aufgegeben, wegen der fehlenden Attraktivität und Eigenständigkeit, aber auch wegen des Missverhältnisses zwischen Lohn und Anforderung. «Die Volksinitiative dürfte an der Urne gute Chancen haben, deshalb braucht es einen Gegenvorschlag mit Hand und Fuss.» Der Nationalrat hat in der Dezembersession einen solchen verabschiedet. Laut Weichelt müsste er noch nachgebessert werden.
Geschehen ist bisher allerdings das Gegenteil dessen, was sich die Pflegenden erhofften. Die Sozial- und Gesundheitskommission (SGK) des Ständerats hat am 17. Februar, als sich die Corona-Krise erst anbahnte, Kürzungen vorgenommen. Anstatt der vorgesehenen 469 Millionen Franken hat die Kommission den Bundesbeitrag an die Ausbildung auf 268 Millionen Franken für acht Jahre zusammengestutzt. Am 25. Mai wird die SGK ihre Beratungen fortsetzen. Die Ereignisse der letzten Wochen dürften dabei an den Ständeräten nicht spurlos vorbeigehen. «Wir werden unter dem Eindruck der Corona-Krise unsere Entscheide überdenken müssen», sagt Erich Ettlin, CVP-Ständerat und Vizepräsident der SGK.
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