Getränke im NährstoffvergleichPflanzendrinks sind weniger wertvoll als Kuhmilch
Haferdrinks und Co. haben bei den Konsumentinnen und Konsumenten einen guten Ruf als nahrhafte Alternativen zur Kuhmilch. Doch Forschende sehen das anders.
Manche Konsumentin nutzt pflanzliche Alternativen zu Kuhmilch wegen einer Milchproteinallergie oder einer Laktoseintoleranz. Andere Nutzer haben die Umwelt und das Tierwohl im Blick und verzichten deshalb auf tierische Produkte. Und viele Kunden erwarten zudem, dass «Pflanzenmilch» aus Hafer, Mandeln, Soja und Co. gesünder oder zumindest gleichwertig ist wie das Original.
Den Begriff «Pflanzenmilch» will Barbara Walther, Leiterin der Forschungsgruppe Humanernährung, Sensorik und Aroma bei Agroscope, aber nicht hören. Die Bezeichnung «Milch» ist dem tierischen Produkt von Säugetieren vorbehalten. Die pflanzlichen Alternativen dürfen nach Schweizer Lebensmittelrecht deshalb nicht als «Milch» bezeichnet werden.
Es sind also Pflanzendrinks, die in immer grösseren Mengen und Variationen in den Regalen der Grossverteiler stehen und deren Verpackung frappant der von Kuhmilch ähnelt. Auch die weisse Flüssigkeit soll dem Original möglichst nahekommen. Doch tut sie das auch? Wie gesund sind die pflanzlichen Nachahmerprodukte im Vergleich zur Kuhmilch?
«Wir haben probiert, möglichst alle Inhaltsstoffe anzuschauen.»
Das wollte Walther zusammen mit ihrem Team wissen und hat deshalb 27 Pflanzendrinks aus acht Kategorien (Hafer-, Soja-, Mandel-, Cashew-, Kokosnuss-, Hanf-, Reis- und Dinkeldrinks) genau untersucht sowie zwei Proben von Kuhmilch mit 3,5 Prozent Fett. «Wir haben probiert, möglichst alle Inhaltsstoffe anzuschauen. Das waren sehr kostspielige Untersuchungen», sagt die Biologin. Die Forschenden haben die Ergebnisse vor einigen Monaten im Fachjournal «Frontiers in Nutrition» publiziert.
Walther verglich mit den Mitarbeitenden dabei nicht nur, welche Menge beispielsweise an Makronährstoffen – Proteine, Fette, Kohlenhydrate – jeweils in den Pflanzendrinks enthalten sind. Das ist auf den Zutatenlisten nachzulesen. Das Team ermittelte hingegen, in welcher Qualität diese Nährstoffe zur Verfügung stehen.
Zunächst die Proteine: Dass Pflanzendrinks in dieser Hinsicht der Kuhmilch nicht das Wasser reichen können, war bekannt – mit einer Ausnahme. Am geringsten war die Proteinmenge in den untersuchten Reisdrinks mit weniger als einem Gramm Proteinen pro Kilogramm (g/kg), auch Kokosnuss- und Haferdrinks enthalten mit unter 5 g/kg sehr wenig Proteine. Einzige Ausnahme sind Sojadrinks. Sie übertreffen mit bis zu 43 g/kg sogar den Proteinanteil der Kuhmilch, der knapp 33 g/kg aufwies.
Zusammensetzung der Proteine ist wichtig
Doch Protein ist nicht gleich Protein. Es kommt auf die Zusammensetzung an, aus welchen der möglichen 20 Bausteine, der Aminosäuren, sie bestehen. «Wir haben die Proteine in den untersuchten Proben speziell auf essenzielle Aminosäuren angeschaut», sagt Walther. Essenziell bedeutet, dass Menschen diese Aminosäuren mit der Nahrung aufnehmen müssen, weil der Körper sie nicht selbst herstellen kann. Je grösser das Verhältnis von essenziellen zu nicht essenziellen Aminosäuren in einem Protein ist, desto höher ist der biologische Wert für die Ernährung.
Dabei schnitten die Proteine in der Kuhmilch im Vergleich zu denen in den pflanzlichen Alternativen sehr viel besser ab. Wiederum kamen nur die Sojadrinks in die Nähe des Originals. Alle anderen untersuchten Pflanzendrinks – etwa aus Hafer, Mandeln, Cashews und Co. – zeigen eine schlechtere Proteinqualität. Deshalb seien diese Produkte beispielsweise nicht als Milchersatz für Kinder unter sechs Monaten geeignet, fasst Barbara Walther zusammen.
Aber selbst die Sojaproteine schneiden in Studien am Menschen schlechter ab, wie David Fäh von der Berner Fachhochschule anfügt. Der Ernährungsmediziner war nicht an der Studie von Barbara Walther beteiligt. «Bei der Regeneration, für die Muskulatur, das Wachstum und die Entwicklung im Körper sind Sojaproteine denen der Kuhmilch deutlich unterlegen», sagt Fäh. Beispielsweise brauche es fast die doppelte Menge an Sojaprodukten, um den gleichen Effekt auf die Synthese von Muskelfasern zu erzielen, im Vergleich zu Milch oder Milchprodukten. «Das ist bei jungen Menschen in der Regel kein Thema», sagt Fäh. «Aber bei älteren Menschen könnte es ein Problem sein, weil sie insgesamt weniger Nahrung aufnehmen und mehr Proteine benötigen, um Muskelregeneration und -wachstum zu stimulieren.»
Omega-3-Fettsäuren oder Omega-6
Bei den Fetten sah es beim Vergleich von Pflanzendrinks und Kuhmilch in der Studie ähnlich aus. Zwar war der Fettanteil in einigen Pflanzenalternativen ähnlich hoch wie in der Kuhmilch, etwa in einem Hanfdrink, gefolgt von Cashew-, Mandel- und Sojadrinks mit etwas geringeren Fettanteilen. Doch auch hier schaute das Team von Barbara Walther auf die Qualität.
«Wir haben beispielsweise die wichtigen Fettsäuren Omega-6 und Omega-3 untersucht», sagt Walther. Ernährungsphysiologisch betrachtet, sollte das Verhältnis dieser beiden Fettsäuren in einem Lebensmittel möglichst gering sein, idealerweise nicht über 4:1. Beide Fettsäurearten sind wichtig für den Körper, Omega-3-Fettsäuren haben jedoch entzündungshemmende Eigenschaften, wohingegen Omega-6-Fettsäuren Entzündungen fördern können. Sind jedoch deutlich zu viele Omega-6-Fettsäuren im Körper vorhanden, können sie die positive Wirkung der Omega-3-Fettsäuren blockieren.
Das erwünschte Fettsäureverhältnis kommt sowohl bei der Kuhmilch mit 3:1 als auch bei den Sojadrinks mit 7:1 den Empfehlungen am nächsten. «In den meisten anderen untersuchten Pflanzendrinks ist das Verhältnis schlechter, bei Mandeldrinks mit über 200:1 sogar sehr viel schlechter», sagt Walther. Das hänge damit zusammen, dass vielen Pflanzendrinks Sonnenblumenöl hinzugefügt werde, das per se dieses ungünstige Verhältnis aufweise. Mit der Wahl eines anderen Öls, das ein besseres Verhältnis dieser beiden Fettsäurengruppen aufweist, etwa Rapsöl, könnten die Pflanzendrinks aufgewertet werden, sagt Walther. «Aber diese Öle sind teurer.» Die Forscherin empfiehlt Konsumentinnen und Konsumenten, auf die Zutatenliste zu schauen, welche Pflanzenöle zugesetzt wurden.
Zucker und Stärke je nach Drink
Ebenso gibt es bei den Kohlenhydraten, zu denen auch die Zucker gehören, grosse Unterschiede. In den Pflanzendrinks ist die Bandbreite enorm: Während in den ungesüssten Mandeldrinks mit weniger als 2 g/kg kaum Kohlenhydrate enthalten sind, können Reisdrinks mehr als 72 g/kg aufweisen. In Hafer- und Dinkeldrinks ist der Kohlenhydratanteil ebenfalls besonders hoch. Das gilt auch für Kuhmilch, mit einem Kohlenhydratanteil von über 50 g/kg. Wobei sich dieser Wert einzig auf den Milchzucker, die Lactose, bezieht.
In den Pflanzendrinks kommen andere Zucker vor, hauptsächlich Glucose oder der Haushaltszucker Saccharose. Zudem enthalten allen voran Reisdrinks, aber auch Cashewdrinks den Vielfachzucker Stärke, der bei der Verdauung in Glucose zerlegt wird.
Bei dem Vergleich von Mikronährstoffen – Vitamine und Mineralstoffe – wird es unübersichtlich, zumal bei Pflanzendrinks häufig Mikronährstoffe zugesetzt werden. «Für die meisten gesunden Menschen gilt, dass ihr Körper am besten mit Nährstoffen versorgt ist, wenn diese natürlicherweise in einem Lebensmittel enthalten sind», sagt David Fäh.
Überwiegend bei den Pflanzenprodukten kommt jedoch noch eine Besonderheit hinzu. Pflanzen bilden als Schutz vor der Umwelt – etwa vor Frassfeinden oder UV-Licht – bestimmte Stoffe wie Phytinsäure, die zum Beispiel in Hülsenfrüchten oder Getreide vorkommt. Sie gelten als sogenannt antinutritive Stoffe, weil sie die Aufnahme von wichtigen Nährstoffen hemmen, etwa von Zink und Eisen. Deshalb sollten pflanzliche Produkte stets auch im Hinblick auf diese antinutritiven Stoffe untersucht werden, fügt Barbara Walther an. Fäh empfiehlt, generell auf die Zutatenliste zu schauen. «Die Pflanzendrinks sollten möglichst wenige Zutaten enthalten und vor allem keinen zugesetzten Zucker», sagt der Experte.
Frei von Milchzucker, aber nicht von Allergenen
Wo aber können die Pflanzendrinks punkten? Für Betroffene mit einer Laktoseintoleranz können Pflanzendrinks, die keinen Milchzucker enthalten, bekömmlicher sein. Sie könnten allerdings auch auf laktosefreie Milch umstellen. Allergiker, die auf Milchproteine reagieren, sollten hingegen auch bei Pflanzendrinks vorsichtig sein. Vor allem bei Sojaprodukten sind ebenfalls Allergien bekannt. Bei einer Glutenunverträglichkeit sind meist auch Hafer- oder Dinkeldrinks keine Alternative. «Letztlich bleibt den Betroffenen nichts anderes übrig, als verschiedene Produkte auszuprobieren», sagt Barbara Walther.
Und was ist mit der Umwelt? Das schauen sich Fachpersonen von Agroscope zusammen mit Ashley Green und Alexander Mathys von der ETH Zürich genauer an. «Wenn man die Nährstoffkonzentrationen von Pflanzendrinks und Kuhmilch in Ökobilanzen einrechnet, schneiden manche Pflanzendrinks nicht mehr so gut ab», sagt Mathys. Wobei jeder Pflanzendrink gesondert begutachtet werden muss, etwa danach, wo die Rohstoffe herkommen und wie sie angebaut werden.
Was aber die Nährstoffe angeht, da zieht Barbara Walther eine verheerende Bilanz. Zwar räumt sie ein, dass sie mit ihrer Studie zunächst eine Momentaufnahme von einigen untersuchten Pflanzendrinks geben konnte. Die Schlussfolgerung ist: «Aus ernährungsphysiologischer Sicht sind die untersuchten Pflanzendrinks keine Alternative zu Kuhmilch», sagt Walther. «Wer die Milch mit Pflanzendrinks vollständig ersetzt, muss dies in der Gesamtdiät berücksichtigen und die Ernährung entsprechend anpassen.»
Die meisten der untersuchten Getränke auf Pflanzenbasis hätten eine deutlich geringere Makro- und Mikronährstoffdichte im Vergleich zur Kuhmilch – seien dafür aber oft doppelt oder gar dreimal so teuer.
Herstellung und Verarbeitung von Pflanzendrinks und Kuhmilch
Während Milch bereits flüssig und mit an Säugetiere angepassten Nährstoffen aus dem Euter einer Kuh kommt, sind die pflanzlichen Alternativen lebensmitteltechnologisch verarbeitete Nachahmerprodukte. Pflanzendrinks werden aus Feststoffen wie Sojabohnen, Hafer- oder Reiskörnern, Mandeln oder Cashewnüssen als wässrige Extrakte hergestellt. Bei diesem Prozess gehen einige ursprüngliche Nährstoffe verloren. Zum Teil werden gewünschte Nährstoffe wie Fette, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe hinterher als Supplemente zugefügt.
«Pflanzendrinks sind sehr unterschiedlich», sagt Alexander Mathys von der ETH Zürich. Der erste Schritt bei der Verarbeitung sei, die Rohstoffe überhaupt in eine flüssige Form zu bekommen. Dazu müssen erst einmal Schalen entfernt oder die Körner eingeweicht oder blanchiert werden. Es werden auch manche Enzyme inaktiviert, die nachteilige Reaktionen auslösen können. Nach dem Wässern werden die Rohstoffe nass vermahlen, sodass sie sich besser in der Suspension lösen.
Schliesslich werden die Gemische filtriert und getrennt. «Was dabei als Feststoff übrig bleibt, kann noch als Rohstoff für weitere Produkte genutzt werden», sagt Mathys. Darin sind oft viele Fasern enthalten, die meist nicht gut löslich sind und deshalb in den Pflanzendrinks nur begrenzt vorkommen. Je nach Bedarf wird noch Wasser aufgefüllt. Und anschliessend werden zusätzliche Stoffe hinzugefügt. «Das können Nährstoffe sein oder Stoffe, welche die Textur verändern», sagt Mathys. «Sie verbessern zum Beispiel das Mundgefühl beim Konsumieren.» Das sei enorm wichtig bei vielen Nachahmerprodukten, damit die Konsumenten das neue Lebensmittel mit Kuhmilch in Verbindung bringen. «Das erreicht man durch Zusatzstoffe oder technologische Herstellungsprozesse», sagt Mathys. Der Lebensmitteltechnologe plädiert dafür, die Textur durch spezielle physikalische Verfahren zu erreichen und nicht mithilfe von Stabilisatoren oder Verdickungsmittel.
In den finalen Schritten ist die Verarbeitung der Pflanzendrinks sehr ähnlich wie bei der Kuhmilch. «Die Flüssigkeiten werden homogenisiert und danach pasteurisiert oder ultrahoch erhitzt», sagt Mathys. Beim Homogenisieren werden die Fetttröpfchen in der Milch oder den Pflanzendrinks durch hohen Druck verkleinert, sodass sie sich nicht wieder zusammenfinden und sich als Fettschicht abtrennen können.
Pasteurisieren heisst, die Flüssigkeit kurz hoch zu erhitzen. Bei Milch geschieht das für 15 Sekunden bei 72 Grad, sodass relevante Krankheitskeime absterben. Danach müssen die entsprechend behandelten Pflanzendrinks oder Kuhmilch bei 4 Grad gekühlt werden. Oder die Flüssigkeiten werden sterilisiert, zum Beispiel durch das Ultrahocherhitzen bei 140 Grad für wenige Sekunden. Damit werden auch ruhende Formen von schädlichen Mikroorganismen, die sogenannten Sporen, inaktiviert. Diese Pflanzendrinks oder die Milch sind dann bei Raumtemperatur über viele Wochen haltbar.
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