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Meinung

Lesende fragen Peter Schneider
Warum sind Promis nie so, wie sie vorgeben zu sein?

Trennung von öffentlich und privat bis zur Selbstverleugnung: Die Queen (gespielt von Imelda Staunton) und Prinz Philip (Jonathan Pryce).
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Wie erklären Sie sich, dass herausragende Persönlichkeiten aus Kultur, Sport, Politik in ihrem privaten Leben immer wieder in krasser Weise gegen die Ideale verstossen, die sie in ihren öffentlichen Funktionen hochhalten? Wie ist es möglich, dass diese Menschen meist über ihren Tod hinaus eine so grosse Wirkungsmacht ausüben? U.Z.

Lieber Herr Z.

Weil das private und das öffentliche Leben nach je anderen Gesetzen funktioniert. Zwischen beiden Sphären verläuft eine Membran, die beide Seiten voreinander abschirmt. Man könnte auch sagen: voreinander schützt. Davor, dass das Öffentliche nicht allzu privat wird, aber auch davor, dass das Private nicht zu sehr von den Anforderungen der Öffentlichkeit erdrückt wird.

Die Durchlässigkeit dieser Membran ist nicht immer und überall gleich; die Membran kann zudem kleinere und grössere Risse bekommen. Was dann geschieht, bekommen Sie in der Serie «The Crown» im Zeitraffer vor Augen geführt. Die Queen versucht, geradezu bis zur privaten Selbstverleugnung, die Trennung «der Krone» (des «Systems», wie es Prinz Philip abwertend nennt) vom Privaten aufrechtzuerhalten, und dehnt dabei ihre öffentliche Funktion tief in das Privatleben aus, während Charles und Diana und die Boulevardpresse für den Durchbruch des Privaten in das Öffentliche stehen.

Was Sie als Doppelmoral empfinden, ist also nur ein Spezialfall des Eindringens des Privaten in die Öffentlichkeit. In einem gewissen Sinne hat die Schranke zwischen den Bereichen eine für beide Seiten nützliche Entlastungsfunktion, die man erst spürt, wenn sie nicht mehr richtig funktioniert.

Auch historische Figuren müssen sich dieser Beurteilung stellen

Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Trennung zwischen privatem Leben und öffentlichem Wirken ist nicht sakrosankt, das heisst über den Tod hinaus garantiert. Denn das Private ist (ungeachtet der notwendigen Trennung) tendenziell politisch beziehungsweise kann es aus politischen Gründen werden. Das bekommen nicht nur Klimakleber zu spüren, die beim Flug in die Ferien erwischt werden. Auch historische Figuren sind nicht davor gefeit, vom Sockel gestossen zu werden. Dabei kann es natürlich geschehen (Metaphernwechsel!), dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Wie weit ist es berechtigt, in historischer Hinsicht «relativistisch» zu sein, Menschen als Kinder ihrer Zeit zu betrachten und auf eine Bewertung nach heutigen Massstäben zu verzichten? Oder ist auch in der Betrachtung der Geschichte jener Universalismus notwendig, dessen Fehlen man dem «Wokeismus» und dessen Kultur-Relativismus vorwirft? Nicht ohne Ironie ist, dass die antiwoken Kultur-Universalisten bei ihrer Abwehr einer auf die Vergangenheit ausgedehnten «Cancel-Culture» sich meistens als glühende Geschichts-Relativisten aufführen.

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.