Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Leitartikel zur Taiwan-Krise
Pelosi ist eine Botschafterin der Demokratie

Taiwan hiess Nancy Pelosi, Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, willkommen. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Chinas aggressive Reaktion zeigt es: Es ist gut, dass Nancy Pelosi nach Taiwan gereist ist. Kaum war sie wieder weg, starteten Pekings Streitkräfte rund um die Insel ein grosses Militärmanöver inklusive scharfer Munition. Offenbar handelt es sich um einen Probelauf für die Abriegelung Taiwans, das die Führung in Peking als Teil der Volksrepublik China betrachtet. In den Gewässern nördlich, südlich und östlich der Insel schlugen Raketen ein – der mächtige chinesische Drache speit Feuer wie selten, und das nur wegen des Besuchs einer Politikerin.

Pelosi ist die ranghöchste US-Vertreterin, die seit einem Vierteljahrhundert Taiwan die Aufwartung gemacht hat. Als Vorsitzende des Repräsentantenhauses ist sie politisch die Nummer drei in Washington. Pelosi kam aber vor allem – und das scheint Peking ganz besonders zu irritieren – als Botschafterin der Demokratie, jener Staatsform, die Diktatoren und Autokraten verabscheuen.

Taiwan ist heute das leuchtende Beispiel einer lebendigen, jungen Demokratie, angeführt von einer Frau, der stolzen Präsidentin Tsai Ing-wen.

Eine Lehre aus dem Krieg in der Ukraine ist, dass sich Herrscher wie Wladimir Putin und Xi Jinping ermutigt fühlen, ihren Machtbereich auszuweiten. Mehrere Demokratien sind angeschlagen, gerade die amerikanische. Deshalb sind sie mit sich selbst beschäftigt und funktionieren nur eingeschränkt. Des Weiteren agieren internationale Institutionen wie die EU zögerlich und unentschlossen, weil ihre Mitglieder selten einig sind.

Diese Schwächen des Westens wollen Putin und Xi ausnutzen, denn sie fühlen sich von der Idee der Demokratie bedroht: Wären Russland oder China traditionelle Rechtsstaaten mit freien Medien, Menschenrechten und fairen Wahlen, die beiden Machthaber wären wohl längst verschwunden.

Dagegen ist Taiwan heute das leuchtende Beispiel einer lebendigen, jungen Demokratie, angeführt von einer Frau, der stolzen Präsidentin Tsai Ing-wen. Gemäss dem US-Thinktank Freedom House ist Taiwan gar eines der freiesten Länder der Welt. Und das nur 130 Kilometer entfernt vom kommunistischen Festland. Womit Xi und seine Partei widerlegt sind, die seit je behaupten, die Chinesen seien demokratieuntauglich.

Bis 2049 soll China gemäss Xi die Insel heimholen ins kommunistische Reich.

Was Pelosis Besuch betrifft, ist also nicht Taiwan das Problem, sondern China, wo sich seit der Teilung 1949 eine menschenverachtende Diktatur entwickelt hat. Die Militärmanöver in der Taiwanstrasse sind lediglich die Fortsetzung der chinesischen Politik mit den bekannten Mitteln Grenzverletzungen und Einschüchterungen, Drohungen und tägliche Cyberangriffe. Bis 2049 soll China gemäss Xi die Insel heimholen ins kommunistische Reich. So wie bereits geschehen mit Tibet, Hongkong und Macao. Und auch auf das Südchinesische Meer erhebt Peking unverfroren Anspruch. Früher nannte man das Imperialismus.

Mag sein, dass die chinesischen Streitkräfte noch nicht in der Lage sind, Taiwan einzunehmen. Die Zeit aber läuft für Peking. Umso bedeutender ist Pelosis Besuch. Sie richtete den Scheinwerfer auf eine strategisch und wirtschaftlich bedeutende Insel der Demokratie. Nicht zum ersten Mal: Auch die Ukraine hat Pelosi mit ihrem Prestige gestärkt, als sie im April nach Kiew reiste. Ebenfalls als Botschafterin der Demokratie: Taiwan und die Ukraine sind zurzeit die Frontstaaten im globalen Wettstreit zwischen Diktaturen und Demokratien, der die kommenden Jahre prägen wird.

Pelosi wollte ihre vielleicht letzte Möglichkeit nutzen, die chinesische Diktatur anzuprangern.

Angesichts der geopolitischen Grossbaustelle Ukraine mag man den Zeitpunkt für Pelosis Reise nach Taiwan ungeschickt finden. Putins Angriffskrieg bindet bereits die westliche Aufmerksamkeit. Pelosi wegen der anstehenden US-Kongresswahlen nur innenpolitische Motive zu unterstellen, ist jedoch nicht angemessen. Ohne Zweifel hofft sie, dass die Publicity nebenbei ihrer Partei hilft, die drohende Niederlage im November abzuwenden. Zumal diese Niederlage die Karriere der 82-jährigen Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus beenden würde.

Umso mehr wollte Pelosi ihre vielleicht letzte Möglichkeit nutzen, die chinesische Diktatur anzuprangern. Bereits vor dreissig Jahren war sie als Abgeordnete nach Peking gereist. Auf dem Tiananmen-Platz, wo kurz zuvor kommunistische Schergen für ihre Freiheit demonstrierende Studentinnen und Studenten massakriert hatten, entrollte sie ein Transparent. Die Aufschrift: «Für jene, die für die Demokratie in China gestorben sind».

Seither haben sich die westlichen Demokratien in eine gefährliche wirtschaftliche Abhängigkeit vom chinesischen Drachen begeben. Hauptsache, Smartphones und Computer, Kleider und Spielzeug, Autobatterien und Veloketten sind billig. Wenn es um die Menschenrechte, die Uiguren, Tibeter, Hongkong oder eben Taiwan geht, schaut der Westen lieber weg. Das gilt für die USA, die EU und auch die Schweiz. Dabei sind wir von China noch weit abhängiger als von Russland. Davon muss der Westen wegkommen und gleichzeitig die Demokratie in Taiwan unterstützen, auch wenn es etwas kostet. Nancy Pelosi hat dafür ein Zeichen gesetzt.