Zwischen Biden und PutinParmelins Moment für die Geschichtsbücher
Der Bundespräsident persönlich eröffnet das historische Gipfeltreffen in Genf – und vermeidet dafür jede auch noch so leise Kritik an Putins Russland.
Das Foto, das Guy Parmelin einen Platz in den Geschichtsbüchern sichert, wird um 13.20 Uhr geschossen. Da steht er, der frühere Weinbauer aus dem Waadtland, zwischen Joe Biden und Wladimir Putin – und begrüsst die Präsidenten von Amerika und Russland zu ihrem allerersten Gipfeltreffen überhaupt. «In Genf, der Stadt des Friedens», wie Parmelin vor der Weltöffentlichkeit erklärt.
Er wirkt in diesem Moment fast ein wenig wie ein gütiger Vater, der seine längst erwachsenen, aber zerstrittenen Kinder sanft dazu bewegen will, sich doch wieder zu vertragen. Neben Parmelin erkennt man jetzt auch, wie vergleichsweise klein Wladimir Putin im realen Leben eigentlich ist. Und selbst den gross gewachsenen Joe Biden überragt Parmelin noch um mehrere Zentimeter.
Zu diesem Zeitpunkt haben Parmelin und die Schweizer Diplomatie die erste Zitterpartie des Tages bereits glücklich überstanden. Denn eine der im Vorfeld absolut nicht planbaren Fragen lautete: Würde sich Putin für einmal an die Spielregeln halten? Oder würde er seinen Gesprächspartner wieder einmal extra warten lassen – wie schon so oft in der Vergangenheit?
Doch in der Schweiz, für ihre Pünktlichkeit bewundert und verspottet, erlaubt sich auch ein Putin keine Verspätung.
Guy Parmelins Kurt-Furgler-Moment
Dass Parmelin persönlich den Gipfel zwischen den beiden Weltmächten eröffnen würde, war erst am Morgen selber bekannt geworden. Bis ins Detail ist sein Auftritt durchorchestriert und in wochenlangen Gesprächen mit Russen und Amerikanern ausgehandelt worden.
Und so wird dieser 16. Juni 2021 zu Guy Parmelins Kurt-Furgler-Moment.
Der damalige Bundespräsident hatte 1985 beim historischen Gipfeltreffen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow eine ähnliche Rolle gespielt – und dabei vor der ganzen Welt brilliert. Und just mit diesem 1985er-Gipfel vergleicht Aussenminister Ignazio Cassis den Biden-Putin-Gipfel denn auch. In den ganzen 36 Jahren, die seither vergangen seien, sei Genf nie mehr derart im Fokus der Weltmedien gestanden wie jetzt, sagt Cassis am Abend vor den Medien. 1250 Journalisten aus 44 Ländern hätten sich akkreditiert, um zwei Tage lang direkt aus Genf zu berichten.
Doch anders als Furgler, der 1985 längere Ansprachen hielt, beschränkt sich Parmelin 2021 auf ein paar wenige, wohlüberlegte und im Vorfeld mutmasslich x-fach redigierte Sätze. «Ich wünsche Ihnen einen fruchtbaren Dialog im Interesse Ihrer beiden Länder und der Welt», sagt Parmelin auf Französisch. Selbst bei der Sprache demonstriert der Schweizer damit die absolute Neutralität zwischen Russen und Amerikanern. Schöner Nebeneffekt: Parmelin kann so in seiner Muttersprache reden und erspart sich damit Zungenbrecher auf Englisch.
Und so ist es die Nachrichtenagentur AP, die sich Minuten darauf den sprachlichen Lapsus des Tages leistet. Sie schickt eine Depesche in die Welt hinaus, in der es heisst, der Schweizer Bundespräsident habe Biden und Putin nicht einen fruchtbaren, sondern einen «furchtbaren Dialog» gewünscht.
Neutralität mit der Stoppuhr
Nach seinen kurzen Eröffnungsworten überlässt Parmelin die beiden Präsidenten sich selber. Erst als der historische Gipfel vorüber ist, rund fünf Stunden später, kehrt Parmelin zusammen mit Cassis in die Villa zurück für ein kurzes Treffen mit Putin und seinem Aussenminister Sergei Lawrow – analog zum bilateralen Gespräch mit den Amerikanern am Tag zuvor. Auch hier gilt absolute Gleichbehandlung: Die Delegation auf Schweizer Seite ist bei beiden Treffen identisch zusammengesetzt. Und auch die Dauer der beiden Gespräche ist mit je einer halben Stunde fast auf die Minute gleich lang. Neutralität mit der Stoppuhr.
Doch anders als mit Biden ist das Gespräch mit Putin für die beiden Schweizer Bundesräte politisch ungleich heikler. Als «sehr herzlich» hatte Parmelin die Atmosphäre im Gespräch mit Biden beschrieben. Jetzt bei Putin spricht er von einer «entspannten Atmosphäre» – eine Nuance, die einem ausländischen Journalisten auffällt. Auf die Frage, welcher der beiden Kontakte besser gewesen sei, antwortet Parmelin wiederum höchst diplomatisch, er habe mit beiden einen «exzellenten persönlichen Kontakt gehabt». Spannungen habe es in keinem der beiden Gespräche gegeben.
Nach gut 28 Stunden ist der Spuk vorbei
Damit solche Spannungen gar nicht erst entstehen konnten, vermieden es die beiden Schweizer aber tunlichst, gewisse Themen gegenüber Putin auch nur anzutippen – etwa den Fall des zuerst vom russischen Staat vergifteten und jetzt inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny. Man habe zwar generell Menschenrechtsbelange angesprochen, aber «nicht über einzelne Fälle» geredet, sagt Parmelin nach dem Treffen mit Putin auf eine Journalistenfrage. Auch Kritik an der völkerrechtswidrigen russischen Besatzung der Krim oder ihrer Einmischung in der Ostukraine bringen die beiden Bundesräte an ihrer Medienkonferenz nicht an.
Über den Genfer Gipfel als Ganzes ziehen die beiden Bundesräte eine fast schon überschwängliche Bilanz. «Der Gipfel war gut für die Glaubwürdigkeit der Schweiz in der Welt», sagt Cassis. Und Parmelin meint, schon dass sich die beiden Grossmächte in Genf getroffen hätten, sei «eine gute Nachricht». Er hoffe, dass die hier in Genf begonnenen Diskussionen nun «gute Auswirkungen für die beiden betroffenen Länder und die ganze Welt haben werden». Doch dafür brauche es natürlich Zeit.
Nach seinem kurzen Gespräch mit den Schweizern bleibt Putin keine Minute länger in der Schweiz als absolut notwendig. Unverzüglich lässt er sich in seinem langen Auto-Konvoi zurück zum Flughafen eskortieren und bereits um 20.01 hebt sein Flugzeug wieder in den Genfer Abendhimmel ab. Rund 40 Minuten später startet auch die Air Force One mit Joe Biden zurück nach Washington.
Gut 28 Stunden nach der Landung von Joe Biden ist der ganze Spuk in Genf vorbei.
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