Bundespräsident macht DruckParmelin warnt Kantone in vierseitigem Brief
Die Ansteckungszahlen könnten rasch ansteigen, Spitäler sollen sich darauf vorbereiten, schreibt der Bundespräsident. Deutliche Worte gibt es an die Kantone mit hohen Ansteckungszahlen. Jetzt antworten die Kantone.
Der Brief der Landesregierung, der dieser Redaktion vorliegt, hat es in sich: Auf vier Seiten liest der Bundesrat den Kantonen die Leviten. Der Absender symbolisiert auch gleich sein Gewicht: Nicht etwa der Gesundheitsminister Alain Berset richtet sich in dem gestern verschickten Schreiben an die Kantonsregierungen. Sondern Bundespräsident Guy Parmelin persönlich.
Erst schildert er die Lage: Diese sei «kritisch», und obwohl die Spitäler derzeit nicht stark belastet seien (die Zahlen im Detail), könne sich das «jederzeit und sehr rasch» ändern, «wie zuletzt in unseren Nachbarländern zu beobachten war». Die Delta-Variante führe zu schwereren Krankheitsverläufen als alle bisherigen Varianten. «Das bedeutet, dass ungeimpfte Personen nach einer Infektion öfter und länger intensivmedizinisch betreut werden müssen.»
Der Bundesrat ruft die Kantone darum dazu auf, das Gesundheitssystem auf eine erneute sehr hohe Belastung vorzubereiten. Konkret müssten die «Privatspitäler, freischaffende Anästhesistinnen und Anästhesisten sowie Fachpersonen aus den ambulanten Operationszentren» in die Behandlung der Corona-Patienten eingebunden werden. «Auch die Verschiebung von nicht dringlichen Eingriffen muss sorgfältig vorbereitet werden.»
Szenarien wie in den Nachbarländern
Privatspitäler einspannen, Eingriffe verschieben, externe Fachleute aufbieten: Die Kantone müssen sich auf Szenarien wie in den Nachbarländern vorbereiten. Gleichzeitig erklärt der Bundesrat klipp und klar, dass er selbst nichts unternehmen wird, um die dramatische Entwicklung zu stoppen. Er werde erst schweizweite Massnahmen in die Konsultation schicken, wenn die «Kantone ihrerseits alle Massnahmen ergriffen haben und ihre Möglichkeiten erschöpft sind, die negative Entwicklung zu stoppen.»
Der Grund dafür sind die grossen regionalen Unterschiede: «Der Bundesrat erwartet, dass die Bereitschaft, sich erneut an einschneidende schweizweite Massnahmen zu halten, in Regionen mit tiefer Inzidenz gering sein dürfte.» Ergreife man zu früh einschneidende schweizweite Massnahmen, würde das die Solidarität zwischen Geimpften und Ungeimpften einerseits und Regionen mit hoher und tiefer Impfquote andererseits strapazieren.
«Dasselbe gilt auch, wenn als Folge einer Überlastung der Spitalstrukturen in Kantonen mit besonders hoher Viruszirkulation Patientinnen und Patienten verlegt werden müssen und in der Folge auch die Spitäler in denjenigen Landesteilen ausgelastet werden, die sich weiterhin besser an die Massnahmen halten und eine höhere Impfrate aufweisen.»
Wenn also die Innerschweizer Kantone mit tiefen Impfquoten mit ihren schweren Fällen die Zürcher Spitäler füllen, werde das Ärger geben, prophezeit der Bundespräsident. Überhaupt scheint das der zentrale Punkt des Briefes zu sein. Kantone mit hohen Fallzahlen – und tiefen Impfquoten (zum Impfmonitor) – stünden in der Pflicht, rechtzeitig Massnahmen zu ergreifen, damit die Situation nicht ausser Kontrolle gerate. «Sie müssen einen Beitrag zu leisten, dass die Spitalstrukturen in ausserkantonalen Zentrumsspitälern nicht übermässig belastet werden.»
Parmelin geht sogar noch weiter. In verschiedenen Kantonen seien die Fallzahlen mittlerweile so hoch, «dass rasch Massnahmen zur Kontaktreduktion angezeigt sind.» Also kein Weihnachtsshopping mehr, keine grossen Veranstaltungen, Maske auf.
Die Kantone reagieren mit einem eigenen Brief
Das Problem: Mehrere Kantone halten sich noch nicht einmal an die bisherigen Empfehlungen des Bundesrats, etwa was repetitive Tests in Schulen sowie eine Zertifikatspflicht für Mitarbeitende und Besuchende in Spitälern und Altersheimen betrifft. Dazu gehört etwa der Kanton Schwyz, der die zweithöchste Zahl der Neuinfektionen aufweist und die zweittiefste Impfquote. Aber auch Uri und Obwalden kennen keine 3G-Regel in den Spitälern.
Die Gesundheitsdirektoren, die heute ihre Plenarversammlung abhielten, reagieren nun prompt auf den Anwurf des Bundespräsidenten – und reichen die Verantwortung wieder zurück. Die Kantone könnten zwar die Maskenpflicht erweitern, Maskenpflicht und repetitives Testen an den Schulen verstärken und die Zertifikatspflicht ausdehnen – also das, wozu sie der Bundesrat wiederholt «eindringlich» aufgefordert hat. «Viele Kantone haben in diesen Tagen Regelungen zur Verstärkung des Infektionsschutzes beschlossen, weitere Beschlüsse werden folgen.» Allerdings, schreibt die Gesundheitsdirektorenkonferenz, habe man ja sonst auch einiges zu tun: «Zu den Aufgaben der Kantone gehören ausserdem die Durchführung der Impfungen, die Kontrolle der Schutzkonzepte sowie die Sicherstellung der Kapazitäten auf den Intensivstationen.»
«Ich hätte mir gewünscht, dass der Bund mehr tut.»
Die Kantone seien «entschlossen, ihre Verantwortung wahrzunehmen.» Dass das durchaus ernst gemeint ist, zeigt etwa das Beispiel Uri: «Der Brief des Bundesrats hat uns darin bestärkt, dass es zusätzliche Massnahmen braucht», sagt Roland Hartmann, Vorsteher des Urner Gesundheitsamts. Entscheide fällt der Regierungsrat morgen. Denkbar sei eine Zertifikatspflicht in den Gesundheitseinrichtungen ab Montag.
Allerdings rufen die Gesundheitsdirektoren den Bundesrat ebenfalls dazu auf, seinen Teil mitzutragen. «In Frage kommen etwa eine nationale Ausweitung der Maskenpflicht primär in Innenräumen, vermehrtes Homeoffice, Kapazitätsbeschränkungen oder strengere Anforderungen an Schutzkonzepte.» Das sind fast die identischen Forderungen, die der Bundesrat auch an die Kantone richtet. Pikant: Kapazitätsbeschränkungen kann der Bundesrat gar keine mehr erlassen – so stehts im Covid-Gesetz. Die einzigen, die hier handeln könnten, wären also die Kantone.
Bereits gestern machte Gesundheitsminister Alain Berset klar, dass der Bundesrat noch keine schweizweiten Massnahmen durchsetzen will, sondern auf die Kantone setzt. Das kam nicht überall gut an. Guido Graf, Gesundheits- und Sozialdirektor des Kantons Luzern, meinte: «Manchmal habe ich das Gefühl, der Bundesrat sieht da ein kantonales Virus vor sich.» Und so der Mitte-Politiker weiter: «Ich hätte mir gewünscht, dass der Bund mehr tut.» Wenn im einen Kanton im Kino Maskenpflicht gelte, im anderen aber nicht, werde das nicht verstanden. «Zudem haben wir den Bund seit Monaten gebeten, mit den Booster-Impfungen vorwärtszumachen. Jetzt sind wir damit sehr spät dran.»
Grafs Zuger Amtskollege Martin Pfister (Mitte) gab sich versöhnlicher: «Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und bereiten verschiedene Massnahmen vor.» Auch Pfister erwartete aber, dass der Bundesrat Verschärfungen beschliesst, falls die Situation in den Spitälern sich weiter verschlechtert: «Einheitliche Massnahmen lassen sich einfacher kommunizieren und werden von der Bevölkerung auch besser verstanden.»
Die Innerschweizer Regierungsräte liegen damit auf der Linie der Konferenz der Gesundheitsdirektoren (GDK). «Aus unserer Sicht muss jetzt auch über weitere nationale Massnahmen diskutiert werden», sagte gestern GDK-Sprecher Tobias Bär. «Dann kann man sie ergreifen, wenn sich die Lage weiter zuspitzt.» Infrage kämen auf nationaler Ebene eine Ausweitung der Maskenpflicht in Innenräumen, vermehrtes Homeoffice oder Kapazitätsbeschränkungen – also ziemlich genau die Massnahmen, welche der Bundesrat den Kantonen nahelegt.
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