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Überlastete Politiker und Politikerinnen
«Das Milizsystem ist den Aufgaben kaum noch gewachsen»

Ein Parlament am Anschlag: Viele Nationalratsmitglieder wünschen sich professionelle Unterstützung bei ihrer Arbeit. 
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Eine zweitägige Session zum CS-Deal, eine dreitägige Sondersession im Mai, die ordentliche Frühlings- und Sommersession plus Kommissionssitzungen: Allein von März bis Juni kommen die Nationalratsmitglieder auf 35 bis 40 Sitzungstage, die Vorbereitungszeit nicht einberechnet. Dennoch hält die Schweiz das Prinzip des Milizparlaments hoch: Die Mitglieder von National- und Ständerat sollen einem Beruf nachgehen. Damit wissen sie, wo der Bevölkerung der Schuh drückt, so die gängige Erzählung.

Allerdings können viele Parlamentarier ihr politisches Mandat neben einer Erwerbsarbeit nur ausüben, weil sie von Interessenverbänden bei ihrer Parlamentsarbeit unterstützt werden, weil Umwelt- und Wirtschaftsverbände sowie Gewerkschaften sie mit Argumentarien und Gesetzesvorschlägen beliefern. Andere haben ein Backoffice in einer Anwaltskanzlei oder sind Unternehmer und setzen jemanden aus der eigenen Firma zu ihrer Unterstützung ein.

Die Parlamentsdienste stellen den Parlamentariern persönliche Mitarbeitende zur Verfügung. Oder der heutige Pauschalbetrag von 33’000 Franken für eine Assistenz soll namhaft erhöht werden.

«Viele Ratsmitglieder laufen zurzeit am Anschlag», sagt eine GLP-Nationalrätin. Mit ihrer Erwerbsarbeit komme sie auf eine 80- bis 90-Stunden-Woche. «Ich brauche für meine Ratsarbeit dringend mehr logistische und organisatorische Unterstützung.»

Die Nationalrätin ist nicht die Einzige, die so denkt. Deswegen fordert nun eine Gruppe von Parlamentariern Hilfe ein. Zur Debatte stehen zwei Varianten: Die Parlamentsdienste stellen den Parlamentariern feste persönliche Mitarbeitende zur Verfügung, deren Lohnkosten und Infrastruktur vom Bund bezahlt werden. Oder der heutige Pauschalbetrag von 33’000 Franken für eine Assistenz soll namhaft erhöht werden.

Abhängig von der Verwaltung 

Ratsmitglieder erhalten heute neben dem Pauschalbetrag 26’000 Franken Grundlohn, rund 43’000 bis 48’000 Franken Sitzungsgelder sowie 10’000 bis 20’000 Franken Spesenentschädigungen und ein GA der 1. Klasse. «Davon bleiben mir nach Abzug all meiner Aufwendungen für meine politische Arbeit und des Beitrages an meine Partei rund 20’000 Franken», sagt die GLP-Nationalrätin. Dass sie daneben einer Erwerbsarbeit nachgehe, sei deshalb zwingend. Sie will nicht mit Namen genannt werden, weil sie weiterhin mit wichtigen Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft auf Augenhöhe reden wolle. «Wenn die wissen, was ich als Nationalrätin verdiene, nehmen die mich kaum mehr ernst.» Denn die Entschädigung der Parlamentsarbeit sage auch etwas über deren Wertschätzung aus. «Wenn ich die Situation mit ausländischen Parlamenten vergleiche, kommt mir das Schweizer Parlament wie ein Abnickerparlament aus den 50er-Jahren vor.»

«Das Milizparlament ist den komplexen Aufgaben kaum mehr gewachsen», sagt GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser.

GLP-Fraktionschefin Tiana Moser hat Verständnis für die Kritik ihrer Parteikollegin. «Das Milizparlament ist den komplexen Aufgaben kaum mehr gewachsen.» Bei anspruchsvollen Reformen wie jener der zweiten Säule (BVG), bei Steuervorlagen oder in der Energiepolitik seien die Räte stark von der Bundesverwaltung abhängig, die die meisten Gesetzesgrundlagen ausarbeite. In Krisensituationen sei die Abhängigkeit von der Verwaltung noch grösser. «Notverordnungen, wie sie während der Pandemie oder bei der CS-Krise verfasst wurden, kann das Parlament schlicht nicht selbst verfassen», sagt Moser.

Moser gehört einer Subkommission des Nationalratsbüros an, die Vorschläge zur besseren Vereinbarkeit des Parlamentsmandats mit Beruf und Familie ausarbeitete. Geprüft wurden zahlreiche Ideen, darunter auch eine parlamentsinterne Kinderkrippe oder eine Stellvertreterregelung, die in erster Linie Ratsmitglieder mit Kindern entlasten sollte. Übrig blieb der Vorschlag, Parlamentarier stärker durch persönliche Mitarbeitende zu unterstützen. Zudem sollen die Ratsmitglieder künftig in der zweiten Säule versichert werden. Heute erhalten sie einen jährlichen Vorsorgebeitrag von rund 14’000 Franken, jedoch ohne Anschluss an eine Pensionskasse.

«Der heutige Beitrag reicht gerade mal, um jemanden zur Erledigung der Post zu beschäftigen.»

Edith Graf-Litscher, SP-Nationalrätin

Die heutigen 33’000 Franken für persönliche Mitarbeitende reichten kaum, um einen Mitarbeiter zu bezahlen, sagen viele Parlamentarier. SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher beschäftigt sich schwergewichtig mit Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik und zusätzlich mit Sicherheitspolitik. Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin zu finden, die sich in all diesen Dossiers genügend auskenne, sei kaum möglich, sagt Graf-Litscher, die wie Moser in der Subkommission mitgearbeitet hat. Kommt dazu, dass mit der Pauschale auch noch der Sachaufwand der Mitarbeitenden bezahlt werden muss. «Der heutige Beitrag reicht gerade mal, um jemanden zur Erledigung der Post zu beschäftigen» sagt Graf-Litscher.

Wie hoch die künftige Entschädigung für persönliche Mitarbeitende sein soll, wurde in der Subkommission nicht festgelegt. Das Büro des Nationalrats hat nun die staatspolitische Kommission damit betraut, eine konkrete Vorlage auszuarbeiten.

SVP droht mit Referendum

Klar ist allerdings, dass eine solche Reform etwas kostet. Moser könnte sich vorstellen, dass pro Parlamentarier künftig ein persönlicher Mitarbeitender finanziert wird. Eine andere Möglichkeit wäre, die zusätzliche Unterstützung vom individuellen Bedarf der Parlamentarier abhängig zu machen. Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit, Präsident der Subkommission, denkt an einen Beitrag für Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Kindern in Ausbildung sowie für solche, die kranke Angehörige betreuen. Damit würde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Betreuung von Kindern oder Angehörigen eine zusätzliche Berufstätigkeit neben dem Parlamentsmandat erschwert. Profitieren könnten dann jene 73 Ratsmitglieder, die für insgesamt 144 Kinder Familienzulagen beziehen.

Benjamin Roduit, Präsident der Subkommission des Nationalratsbüros, die Vorschläge zur besseren Vereinbarkeit des Parlamentsmandats mit Beruf und Familie ausarbeitete, während der Frühlingssession.

Doch die zusätzliche finanzielle Unterstützung stösst vor allem bei der SVP auf Widerstand. Falls das Parlament eine Erhöhung der Entschädigung für persönliche Mitarbeitende beschliesse, werde die Partei das Referendum prüfen, sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Die SVP wehre sich dagegen, dass das Milizparlament immer mehr zum Berufsparlament werde. Moser hat für dieses Argument kein Verständnis. Persönliche Mitarbeiter stärkten das Parlament und damit die demokratische Legitimation der Gesetzgebung. Wer gegen persönliche Mitarbeitende sei, verstärke nur den Einfluss der Verwaltung oder der Verbände im Parlament, sagt Moser. «Eine Entlastung der Parlamentarier ist eine Stärkung des Milizparlaments.»